»Hier wurde der Leichnam entdeckt. Die Spuren zeigen, dass Helena Hillerström einmal den Strand hoch und runter gelaufen ist. Am einen Ende des Strandes, an Helenas Ausgangspunkt, ist das Gras platt getreten. Da scheint er auf sie gewartet zu haben. Er kann gewusst haben, welchen Weg sie nehmen würde, und hat sie eingeholt. Vermutlich hat er sie dort ermordet. Die Blutflecken auf dem Boden weisen darauf hin. Und danach hat er den Leichnam ins Wäldchen geschleift.«
»Und der Hund?«, fragte Karin Jacobsson.
»Den musste er wohl zuerst aus dem Weg schaffen. Per Bergdal bezeichnet ihn als aufmerksamen und gehorsamen Wachhund, der sich immer in der Nähe seiner Herrin aufhielt und bereit war, sie zu verteidigen. Der Mörder hat ihn nicht nur fast geköpft, sondern ihm auch eine Pfote abgehackt. Ich wüsste gern, warum.«
Die anderen rutschten unruhig hin und her. Karin schnitt eine Grimasse.
»Wer wusste, dass sie sich auf der Insel aufhielt?«, fragte Norrby.
»Das müssen so um die dreißig Personen sein, wenn ich richtig gezählt habe«, sagte Karin und blätterte in ihren Papieren. »Ihre Familie, Arbeitskollegen und einige Bekannte in Stockholm, ihre Freundin Emma Winarve, die nächsten Nachbarn und natürlich die Partygäste.«
»Warum glauben wir, dass es Per Bergdal gewesen sein könnte?« Wittberg drehte sich zum Oberstaatsanwalt um.
»Belastend für ihn ist die Tatsache, dass er sie als Letzter lebend gesehen hat, und dass sie in der Nacht vor dem Mord handgreiflich aneinander geraten sind. Ich sehe ja ein, dass wir im Moment noch nicht genug haben. Um ihn in U-Haft stecken zu können, brauche ich noch mehr. Wenn ihr keine neuen Beweise bringen könnt, müssen wir ihn auf freien Fuß setzen. Ihr habt maximal drei Tage.«
»Was wissen wir über Helena?«, fragte Karin. »Wie hat sie gelebt?«
Knutas schaute in sein Notizbuch.
»Sie wurde am 5. Juli 1966 geboren, ist also vierunddreißig Jahre alt geworden. Nächsten Monat wäre ihr fünfunddreißigster Geburtstag. Geboren und aufgewachsen auf Gotland. Die ganze Familie ist 1986 nach Stockholm umgezogen; damals war Helena zwanzig. Ihr Ferienhaus in Fröjel haben sie behalten, sie waren jedes Jahr mehrere Male da, haben oft ganze Sommer dort verbracht. Helena hat in Stockholm Informatik studiert und arbeitete seit drei Jahren bei einer Computerfirma. Sie hatte viele Freunde. Vor Bergdal scheint sie keine längere Beziehung gehabt zu haben. Sie war niemals verlobt oder verheiratet. Bergdal zufolge hatte sie mal etwas mit diesem Kristian, der auch auf der Party war. Aber das kann pure Einbildung sein. Die anderen Partygäste konnten das nicht bestätigen. Und irgendwer hätte davon doch wissen müssen. Kristian Nordström ist am Tag nach der Party nach Kopenhagen geflogen. Dort leben seine Eltern. Er kommt morgen aufs Präsidium.«
»War Helena Hillerström vorbestraft?«, erkundigte sich Wittberg.
»Nein. Die Frage ist, wie wir jetzt weitermachen sollen. Wir werden die Partygäste noch einmal vernehmen. Vor allem will ich mit Kristian Nordström sprechen. Irgendwer muss nach Stockholm fahren und mit Helenas Familie, ihren Arbeitskollegen, Freunden und anderen Personen aus ihrem Umfeld reden. Und das muss so schnell wie möglich geschehen. Wir müssen unvoreingenommen arbeiten – es steht durchaus nicht fest, dass es Bergdal war. Und wenn er es nicht war, dann wissen wir nicht, ob der Mörder von der Insel stammt oder ob er ihr vom Festland her gefolgt ist.«
»Ich fahre gern nach Stockholm«, sagte Karin. »Ich kann gleich heute Nachmittag aufbrechen.«
»Das ist gut«, sagte Knutas. »Nimm noch jemanden mit. In Stockholm gibt es viel zu tun. Natürlich wird dir dort das Landeskriminalamt helfen, aber ich finde, ihr solltet zu zweit sein.«
»Ich kann mitkommen«, sagte Wittberg.
Karin lächelte ihn dankbar an.
»Dann ist das geklärt. Außerdem müssen wir feststellen, wie Helenas Bekanntenkreis hier auf der Insel aussah. Mit wem außer ihrer besten Freundin hatte sie zu tun, wenn sie hier war? Wir werden noch einmal mit den Nachbarn sprechen. Und ich unterhalte mich genauer mit Emma Winarve. Was hat Helena an den Tagen vor dem Mord gemacht? Hat sie ihr Mobiltelefon benutzt? Gibt es Kurzmitteilungen? Ihr Lebensgefährte behauptet, dass sie ihre Telefone ausgeschaltet haben, sowie sie von der Fähre kamen. Aber wir müssen trotzdem beide Nummern überprüfen. Wo sollen wir nach ihren Kleidern suchen? Wir erweitern das Suchgebiet rund um den Tatort und führen weitere Befragungen der Anwohner in der Gegend durch. Das halte ich für die beste Vorgehensweise. Was sagt ihr?«, fragte Knutas.
Niemand hatte Einwände, und sie machten sich an die Arbeit.
Nach einem späten Mittagessen fuhren Johan und Peter zum Präsidium, um das Interview mit dem Kommissar nachzuholen. Sie wollten eine Bestätigung für die Sache mit dem Hund, ehe sie ihren Beitrag für die Abendnachrichten fertig machten.
An der Glastür, die zum Morddezernat führte, wäre Johan beinahe mit einer Frau zusammengestoßen. Sie hatte schulterlanges sandfarbenes Haar und schaute ihm mit dunklen Augen ins Gesicht.
Sie grüßte kurz, lief über den Gang und hängte sich ihre Tasche über die Schulter. Sie war groß und sah gut aus, in ihren verwaschenen Jeans und den Cowboystiefeln.
»Kommen Sie rein. Was wollen Sie wissen?«, fragte Knutas müde und ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen. »Ich habe sehr viel zu tun.«
Johan und Peter nahmen auf den Besucherstühlen Platz. Johan beschloss, gleich zur Sache zu kommen.
»Warum haben Sie den Hund nicht erwähnt?«
Knutas verzog keine Miene.
»Welchen Hund?«
»Den Hund des Opfers. Er wurde verstümmelt nahe ihres Leichnams gefunden.«
Knutas’ Hals überzog sich mit roten Flecken.
»Ich kann diese Aussage nicht bestätigen. Damit müssen Sie sich zufrieden geben.«
»Welche Schlüsse ziehen Sie aus der Verstümmelung des Hundes?«
»Da ich das, was Sie sagen, weder bestätigen noch dementieren kann, werde ich auch keine Schlüsse daraus ziehen.«
»Wir haben von zwei unterschiedlichen Seiten gehört, dass sie mit einer Axt ermordet worden ist. Das steht mittlerweile in allen Zeitungen. Können Sie es da nicht gleich bestätigen?«
»Es spielt keine Rolle, wie viele Quellen Sie haben – ich sage dazu nichts. Das müssen Sie akzeptieren«, antwortete Knutas mit kaum verhohlener Ungeduld.
»Ich mache nur meine Arbeit.«
»Natürlich, aber ich werde trotzdem nicht mehr sagen. Da die Schuld des Verdächtigen noch keineswegs als erwiesen gilt, ist es durchaus möglich, dass der Mörder weiterhin frei herumläuft, und deshalb dürfen brisante Informationen noch nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Ich hoffe, Sie haben so viel Verstand, dass Sie das alles für sich behalten werden, bis wir mehr wissen«, sagte Knutas und musterte seine Besucher mit ernster Miene.
Nach diesem für beide Seiten unbefriedigenden Gespräch liefen Johan und Peter zurück in die Redaktion. Sie feilten zwei Stunden lang an drei Beiträgen für die abendlichen Nachrichtensendungen, und ihre Arbeiten fielen unterschiedlich genug aus, um die diversen Redaktionen im Sender zufrieden zu stellen.
Denn Nachrichtensendungen durften einander ja um Himmels willen nicht zu sehr ähneln.
In Übereinstimmung mit Grenfors hatten sie beschlossen, über den toten Hund zu berichten und das Gespräch mit Svea Johansson zu senden. Diese Informationen erschienen ihnen wichtig, denn die Verstümmelung des Hundes sagte etwas über den Charakter des Mörders aus. Außerdem fanden die Zuschauer es sicher interessant, die alte Dame von der schaurigen Entdeckung ihres Bruders erzählen zu hören.
Grenfors freute sich über das Interview mit Svea Johansson, die ohne zu zögern ihre Erlaubnis erteilt hatte, es zu senden. Als Johan sie gewarnt und auf die öffentliche Wirkung des Fernsehens hingewiesen hatte, hatte sie gesagt, so sei es nun eben, und es gebe keinen Grund, den Leuten zu verheimlichen, was passiert war. Die Alte hätte Journalistin werden sollen, dachte Johan.
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