Platoffs Augen wurden feucht, als ein gellender Pfiff der Lokomotive die Abfahrt verkündigte.
„Ahmed, mein Freund und mein Bruder! Gott schütze dich! Sei auf der Hut vor Ghazis Verräterei! Ich erwarte Ruhmesthaten von dir! Fürst des Kaukasus, stehe fest zum Zaren!“
Eine letzte Umarmung! Paul sprang mit dem Zug und stiess an einen Mann, der eben noch hineinsprang; in diesem erkannte Prinz Schamyl, der, als der Fremde vorüberlief, gerade die Thüre zuwarf — Dimitri, den griechischen Erzschurken und Kuppler, den Spion Ghazis!
Mit einem grellen Pfiff setzte sich der Zug in Bewegung, und Ahmed wagte sich nicht mehr zu zeigen, um Platoff nachzusehen, der sehnsüchtig den verschwindenden Wagen nachstarrte.
Wer hatte ihm den Griechen auf die Fersen gehetzt? Das war eine Frage, die Ahmed sehr zu denken gab! Kehrte er in geheimem Auftrage des Deserteurs nach der Levante zurück, oder wollte er sich nur der Obrigkeit entziehen?
Mochte es nun eine Vorsichtsmassregel, eine Art Eingebung oder nur Chikane sein — jedenfalls war es ein Meisterzug des schlauen Mustapha, dass er Dimitri beauftragt hatte, den Cirkassier im geheimen zu beobachten.
Sobald der ottomanische Jago von der eiligen Abreise Ahmeds benachrichtigt wurde, beschloss er, ihn bis ans Ziel der Reise verfolgen zu lassen.
Den Anweisungen Gortschakoffs entsprechend, verliess Schamyl seinen Wagen nicht bis Moskau; ein Blick auf seinen Pass hatte den Schaffner veranlasst, für all seine Bedürfnisse zu sorgen und ihn in seiner Abteilung allein zu lassen.
Alles gehorcht dem Zaren!
Hassan hatte Befehl, sich seinem Herrn bis Odessa gar nicht zu nähern und auch dort mit dem ungezeichneten Gepäck zu warten, bis nach ihm geschickt würde.
Als der Zug in Moskau einfuhr, lag diese Stadt in tiefe, eisige Nacht gehüllt, und Ahmed beschloss, im Schutz der Dunkelheit auszusteigen und sich etwas Bewegung zu machen, nachdem er sein Abendessen im Coupé eingenommen hatte. Er wickelte sich gut ein, stieg aus, ging vor den Bahnhof hinaus und sog in vollen Zügen die frische, kalte Winterluft ein. Dann stampfte er eifrig auf und ab, während sich seine Gedanken seinem geheimnisvollen Auftrag zuwendeten.
Die Glocke ertönte und rief ihn nach dem Zug zurück. Zum Schutz gegen den eisigen Wind bis an die Augen verhüllt, drehte er sich sorglos um, aber als er sich in dem dunklen Durchgang befand, der zum Bahnhof führte, erhielt er plötzlich einen heftigen Stoss vor die Brust. Ein verräterischer Ueberfall, der ihn ins Schwanken brachte. Gleichwohl griff er hastig nach einer dunklen Gestalt, die die lange Strasse ausserhalb des Bahnhofs hinuntereilte. Ahmed wagte nicht, seine Pistole abzuschiessen, weil dadurch seine Identität verraten worden wäre. Noch ganz bestürzt betastete er seine Brust; ja wohl, seine Kleider waren durchschnitten! Eiligst kehrte er in sein Coupé zurück.
Bei geschlossenen Thüren untersuchte er seinen Rock, er war gerade über dem Herzen durchschnitten! Mit einem bass erstaunten Lächeln zog er seine steife Kriegskarte hervor, deren starkes Leder vom Messer des Mörders geschlitzt war. Nur diese mehrfach zusammengelegte Karte hatte ihm das Leben gerettet!
Während sich der Zug in Bewegung setzte, überlegte er sich dies plötzliche Abenteuer. Welchen Grund mochte der Meuchler gehabt haben? Sicherlich weder Raub noch Rache. —
Dieser gewaltige Stoss erinnerte ihn an das Werk levantinischer Bravos — war das dunkle Gespenst nicht Dimitri gewesen? Vielleicht! Gleichwohl durfte er nicht Lärm schlagen um seiner geheiligten Sendung willen! Er untersuchte seinen guten Revolver und hing ihn an einer Schnur um den Hals — das war wenigstens ein Freund in der Not!
Nun untersuchte er den Thürverschluss, den er in Ordnung fand, und rief den Schaffner, denn er war sich bewusst, dass er das Vertrauen des Kaisers rechtfertigen müsse, und dass ein Misslingen gleichbedeutend mit Schande für ihn wäre. Der Schaffner stellte am Ende des Wagens einen Mann auf, der das Coupé des Prinzen bei Gefahr seines Lebens bewachen sollte — der kaiserliche Pass wirkte Wunder.
Zwei Tage später warf sich Ahmed in Odessa in einen Wagen und befand sich in zehn Minuten auf dem Generalkommando, von wo ein Offizier auf den Bahnhof gesandt wurde, der mit Hassan und dem Gepäck sofort nach dem unter vollem Dampf im Hafen liegenden Kanonenboot „Seeschwalbe“ fuhr. Prinz Schamyls telegraphischer Bericht an Gortschakoff wurde vom Hauptquartier des Generals aus abgesandt, und unmittelbar darauf folgte die offizielle Meldung, dass die kecke „Seeschwalbe“ den Hafen verlassen habe. Der Adjutant des Generals hatte den tief in einen Matrosenmantel gehüllten Prinzen an Bord des ihn erwartenden Bootes begleitet.
Der Kapitän hatte Schamyl, nachdem er dessen Befehle in Empfang genommen hatte, in die für ihn bestimmte Kabine geführt.
Das leichte Kanonenboot schoss hinaus ins Schwarze Meer und schleuderte hohe Sprühwellen in die Luft. Die Nacht brach ein, und strahlende, lichte Sterne gingen auf an dem tiefblauen Himmelsgewölbe. Lange, bis tief in die Nacht hinein blieb der Prinz auf Deck, wanderte auf und ab und liess sich von dem Wind, der von den Riesenbergen seiner Heimat herwehte, die Stirne umfächeln.
Er lehnte über die niedrige Brustwehr und sah zu wie sich die phosphoreszierenden Wogen am Kiel des Schiffes brachen und in einer Fülle von gelben Diamanten zersprühten.
Vorwärts durch die geheimnisvolle, schweigende Nacht wälzt der erschauernde Ocean seine Wogen in rastloser Eile nach den Häfen des östlichen Kaiserreiches.
Schamyl träumt von den fichtenbekrönten Schluchten des Kaukasus, von den ragenden Bergen des Nordens und von den Rosenlauben in Tiflis — wird es ihm wohl vergönnt sein, die geistvolle Schöne von Georgien noch einmal wiederzusehen?
Pauls Warnung fällt ihm wieder ein — sein Bruder Ghazi! Welche Teufelei folgt wohl dem Flüchtling auf seinen Pfaden?
Schamyl zweifelt nicht daran, dass Ghazi an den Ufern des Schwarzen Meeres lauert, um den türkischen Horden Hilfe zu leisten.
Plötzlich fegt eine Bö über das tief untertauchende Schiff, und Regenströme ergiessen sich über das Deck; bläuliche Blitze zucken an dem unversehens mit schwarzen Wolken bedeckten Himmel auf, und Ahmed ist im Begriff, sich in seine Kabine zurückzuziehen. Da prallt er auf dem infolge des Gewitters plötzlich verödeten Deck auf einen Mann, der sich heftig gegen ihn wirft, während die Schlagwellen das Schiff hoch emporheben.
Im nächsten Augenblick fühlt der Prinz ein Paar sehniger Arme um seinen Leib, und schon hat ihn der Unbekannte, der sich elastisch unter ihm beugt, halb über der Brüstung; da gleitet der Schurke infolge eines heftigen Stosses des Schiffes aus, aber kein Wort entschlüpft seinen Lippen, während sich der junge Cirkassier mit riesenhafter Anstrengung befreit und den Angreifer — war es vielleicht ein Wahnsinniger? — ergreift und in den schäumenden Strudel schleudert.
Ein zuckender Blitz zeigt Ahmed das Antlitz des Griechen Dimitri, der mit einem wilden Aufschrei versinkt. Das vom Sturm getriebene Schiff lässt den ertrinkenden Verbrecher weit hinter sich.
Prinz Schamyl schwankt in seine Kabine, er lässt den Kapitän rufen und das Schiff untersuchen, wozu er nur den kaiserlichen Erlass vorzuweisen hat, der ihm in Odessa von dem General eingehändigt worden ist und wodurch ihm der Oberbefehl übertragen wird.
Gleichwohl lässt sich nichts ermitteln, als dass der Unbekannte sich mit dem Gepäck an Bord geschmuggelt hat und für einen zur Gesandtschaft gehörigen Diener gehalten wurde.
Hassan, dessen Argwohn nun erregt ist, schläft mit dem Säbel in der Hand wie ein Hund vor der Thüre seines Herrn.
Sowohl in dem mitternächtlichen Mordversuch wie in dem Ueberfall auf Deck erkennt Ahmed die glatte Hand seines Bruders — das war der Fluch von des alten Sultans Amulett.
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