Damals jedoch war es ernst. Vielleicht passierte es sogar mehrmals, vielleicht musste die Kur wiederholt werden. Und sie durfte sich nichts anmerken lassen. Musste die zappelnde, nasskalte Kröte packen, sich durch die Warzenhaut beißen, saugen und das, was kam, in eine Tasse spucken, wieder und wieder. Umgeben von einem Kreis angeekelter Bewunderer, den Kindern, die überzeugt waren, dass Eli einfach alles schafft.
Und kann das zusätzliche Eisen, das Protein, dieses Mädchen womöglich geheilt haben, oder war es einfach der Placeboeffekt? Nichts deutet darauf hin, dass sie gestorben ist. Und auch Eli steckte sich nicht an. Der Preis war eine Krötenphobie, das muss man akzeptieren.
Sie war eine Dienstmagd, war ein Niemand. Sie hatte keinerlei Wert und war dennoch unschätzbar, ähnlich wie die Negersklaven in Amerika.
Einer Kröte Blut auszusaugen, vielleicht war das gar nicht so schlecht. Es sättigt gewiss, allein schon der Gedanke, es ist so Ekel erregend, dass selbst der alltägliche Gestank zur reinen Poesie wird. Im Vergleich dazu wird die einfachste, selbst leicht verdorbene Mahlzeit zum Festessen. Jedenfalls hatte man doch keiner Kröte das Blut aussaugen müssen. Ja, eigentlich geht es einem doch richtig gut. So manche aller hausgemachten Qualen jener Zeit hatten vielleicht ihren Ursprung in solch dunklen Mechanismen.
Sie weinte wohl ein paar Tränen, aber nur insgeheim, draußen allein im Dunkeln unter dem Vorwand natürlicher Bedürfnisse. Danach hieß es gleich wieder die Bühne zu betreten – erzähl doch mal, wie hat sich das angefühlt!
Sie war gut im Erzählen. Als sich der Winter mit seinem Schneebauch über die Menschen herabsenkte, und tausend Sterne leuchteten, und man die Ziegen hinter der dünnen Bretterwand deutlich hören konnte, bevölkerte sie die Erdhöhle mit Königen, Prinzessinnen und Trollen. Oder sie erzählte Ereignisse aus der großen Welt, Eli wusste sehr viel, und was sie vom daheim Gehörten nicht in Erinnerung hatte, erfand sie.
Es gab einen Mann im Haus, zuweilen verschwand er, übernahm Transporte oder anderes. Manchmal saß er einfach nur da, tagelang.
Die Frau war nach dem letzten Kind recht schwach geworden. Eli übernahm noch einen größeren Teil der Hausarbeit, und an den Abenden schlug sie die Tür zur anderen Seite auf, wo einfach alles geschehen konnte, den Begriff Lampenfieber kannte sie nicht, und Schaffensangst war ihr fremd.
Und der Mann saß da. Sie dachte nicht an ihn, sah nur seine Augen, die im Feuerschein blinkten. Sie lachte fröhlich, wenn er etwas sagte, selbst wenn es nicht sehr lustig war, sie wollte es allen recht machen, wollte Freude ausstrahlen und im Haus gute Stimmung verbreiten.
Doch war sie ja ein Nichts. Er packte sie, zog sie in die Scheune und presste ihre Schenkel um sein Glied. Sein Atem machte ihr sofort klar, dass es ernst war, nichts, was man wegscherzen oder dem man sich entwinden konnte.
Er benutzte sie, verstohlen und rasch, ohne ein Wort. Als sie älter wurde, verstand sie, dass sie dennoch Glück gehabt hatte, es war schließlich nur zwischen den Schenkeln. Also doch richtig wohl überlegt von ihm, hätte so mancher gesagt, dass er nichts Schlimmeres versuchte.
Die ersten Male machte es nichts weiter. Es ging so schnell. Er keuchte entsetzlich, rieb und presste, und sie lernte, sich nicht zu widersetzen, sondern im Gegenteil, sie kam ihm entgegen, denn dann ging es rascher zu Ende. Es wurde glibberig, und dann war es vorbei.
Doch passierte es wieder und wieder, und als der Frühling und danach der Sommer anbrach, wurde es schwieriger zu entkommen. Je mehr die Natur sich öffnete, desto größer wurden seine Möglichkeiten. Aber es war ja weiter keine große Sache, man musste kein Wort darüber verlieren.
Nein, kein Wort. Eli spürte, dann würde die Bäuerin sie zum ersten Mal schlagen und sie wegschicken. Sie würde ihr nicht glauben. Nur entsetzlich wütend werden. Alles bräche zusammen.
Man stelle sich vor, dass Eli sofort Bescheid gewusst hat, dass sie nicht einmal darüber nachzudenken brauchte!
Er tat ihr nicht weh. Er war ziemlich gleichgültig, griff nach ihr wie nach einem Werkzeug oder etwas Essbarem, und wenn das Ganze erledigt war, hatte sich die Sache. Nicht mal ein blauer Fleck blieb zurück. Wenn sich einer schämen musste, dann doch wohl nur sie?
Nachdem sie elf geworden war, wurde es erheblich schwieriger. Eli wurde nie größer als einsfünfzig, aber sie war trotz allem gewachsen. Besonders vorn am Oberkörper war sie gewachsen, das war so peinlich, sie versuchte die Schultern nach vorn zu ziehen, doch wie macht man das, wenn man Heu über Reiter hängt? Das Gesicht war ebenfalls erwachsener geworden, das Haar war noch üppiger und die Taille deutlich markiert, die Hüften wölbten sich.
Dieses Keuchen war nun von anderer Art. Seine Finger griffen auf andere Weise und überall an ihren Körper, vor allem an die Brust, die wuchs und schmerzte. Auch war er immer länger zugange. Wollte unten eindringen, versuchte es!
Jetzt bekam Eli Angst.
Eines Morgens zeigte sich Blut. Sie verstand, was das bedeutete. Sie hatte ihre Bäuerin getröstet, weil kein Blut gekommen war, schluchzend hatte die Bäuerin ihr alles darüber erzählt. Eli wusste also Bescheid, was passieren konnte.
Und damit wusste sie auch, dass sie nicht länger bleiben konnte.
Aber die Frau des Hauses erwartete doch ein Kind. Und sie selbst war eine Art Ersatzmutter für die Kleinen geworden. Sie hatte gelernt, sie zu mögen.
Alles war so hart.
Der Frühling war angebrochen, im Wald rann und rieselte es, ihre Wanderung würde wahrhaftig nicht leicht werden.
Was tut man, wenn man davonlaufen will?
Unbemerkt legt man eins nach dem anderen beiseite, rüstet sich insgeheim für die Flucht. Man versteckt, was man braucht, schafft es außer Haus an einen Ort, wohin man als Erstes läuft, wenn es schließlich soweit ist.
Dann überlegt man sich einen Zeitpunkt. Die Kunst ist, nicht zu früh vermisst zu werden. Man kann eine der Ziegen im Wald anbinden, die fehlt also, wenn ihre Zahl überprüft wird. Man kann sagen, man will nach ihr suchen und begibt sich gegen Abend hinaus. Die anderen sind nur froh, dass sie dem entgehen, der dunkle Wald macht ihnen Angst.
Die Ziege bindet man los, die findet allein heim.
Und man selbst löst sich in Luft auf.
Schließlich benötigt man einen ausgearbeiteten Plan, wohin man gehen will, und auch für später. Genau daran mangelt es meistens. Langfristiges Planen ist nichts für einen, der wegläuft, der sich davonmacht und um sein Leben läuft.
Sie war elf, als sie damals nach Romedal heimkehrte.
Aber was hatte sie sich vorgestellt? Erstens würden ihre armen Dienstherren sofort wissen, wo man nach ihr suchen musste, falls man sie zurückhaben wollte. Und ihr Inneres war ein einziges Chaos, sie sehnte sich halb krank nach diesen Kindern und schämte sich, weil sie die erneut hochschwangere Frau im Stich gelassen hatte.
Doch die Furcht vor der erwarteten, aber unaussprechbaren Vergewaltigung hatte das Ganze entschieden, sie konnte nicht zurückkehren.
Und zweitens, wie war es, als sie nach drei Jahren endlich wieder heimkam? Zwei beschwerliche Tagesmärsche hinter sich, müde und durchnässt vom Regen und den über die Ufer getretenen Bächen – nahm man sie da auf wie das verlorene Kind?
Wohl kaum. Sie durfte nicht bleiben. Oder wollte sie es nicht? Es gab auf jeden Fall auch diesmal keinen Platz für sie, und beiderseits mangelte es an Vertrauen. Um sich nicht verantworten zu müssen, kam man vielleicht mit Gegenvorwürfen – warum hatte sie nichts von sich hören lassen? Sie hätte schreiben können, das beherrschte sie doch. Hätte jemandem eine kurze Nachricht mitgeben können und vielleicht eine Garnrolle als Zeichen, dass sie eine Stellung hatte.
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