»Schatz, du bist es?«, sagte Sarah Sternlicht, als ihr Sohn die Küche betrat, und küsste ihn auf die Wange. »Ist alles in Ordnung? Du siehst so mitgenommen aus.«
»Schon gut, Mama«, meinte er schnell und ließ Leitungswasser in ein Glas laufen. Sie sah ihn weiterhin mitfühlend an, sagte aber nichts.
»Jacob, wie geht es dir?« Auch Georg Sedlmayr, der Hans besuchte, war die Besorgnis in der Stimme anzuhören.
»Was soll schon sein«, gab er patzig zur Antwort zurück. Er brauchte das ständige Mitleid der Erwachsenen nicht. Im selben Moment fühlte er sich schon wieder schuldig, da Georg es nur gut gemeint hatte.
»Tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich sein«, entschuldigte er sich, doch Georg winkte lächelnd ab.
»Jeder hat mal einen schlechten Tag. Das ist doch ganz normal.« Wie scheinheilig er am Tisch saß. In einem jüdischen Haus, während er seine Tochter als Werbegesicht für den Führer einsetzte. Jacob schluckte eine freche Antwort hinunter und trank von dem Wasser. Sein Mund war staubtrocken.
»Jemand hat bei Fichtl ein Hakenkreuz an den Laden geschmiert«, sagte Hans Sternlicht zu Jacob. Dieser sah erschrocken auf. Moses Fichtl unterhielt eine Schneiderei im Zentrum der Stadt.
»Kauft nicht beim Juden. Die Teerfarbe war kaum von der weißen Wand zu bekommen.« Sarah seufzte. »Wenn sie das bei uns auch anfangen, dann kauft am Ende keiner mehr in der Apotheke ein und wir haben kein Geld mehr.« Tränen standen in ihren Augen.
»Jetzt sieh nicht alles gleich so schwarz, Liebling«, versuchte Hans seine Frau zu beruhigen und griff nach ihrer Hand.
»Nicht so schwarzsehen? Hast du gesehen, wie deine Söhne in letzter Zeit nach Hause kommen? Mit blauen Augen. Blutigen Lippen. Sie werden beleidigt, angespuckt. Wir werden beleidigt. Die Läden werden beschmiert. Wo soll das alles noch hinführen? Ich kann nicht mehr!«, schluchzte sie und schneuzte in ihr besticktes Taschentuch.
»So schlimm ist es gar nicht«, versuchte Jacob seine Mutter zu beruhigen. »Simon und ich kommen schon klar.«
Sarah zog ihn zu sich und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Unsicher tätschelte er ihren Rücken, während ihre Tränen seine Schulter nässten.
»Sie hat recht. So geht es doch nicht mehr! Wollen sie uns aus der Stadt treiben? Aus dem Land? Wo sollen wir denn alle hin?« Auch Hans Sternlicht klang verzweifelt.
Jacob wünschte sich weg. Weit weg. Ein blaues Auge zu kassieren war die eine Sache, aber die eigenen Eltern so hilflos zu sehen, schmerzte noch viel mehr.
»Macht euch keine Sorgen, solange ich meine Medikamente bei euch kaufe. Ich habe doch auch schon die letzten Jahre fast eure ganze Apotheke mitfinanziert«, versuchte Georg Sedlmayr die Situation aufzulockern, doch keinem konnte er damit ein Lächeln entlocken.
»Jacob wird in der Schule schlecht behandelt. Die Lehrer fragen ihn über Stoff aus, den sie nicht einmal durchgenommen haben, damit sie ihm eine schlechte Zensur eintragen können. Dann wird er auch noch geschlagen.«
»Nur das eine Mal, Mama«, log Jacob. Von dem einen Mal hatte er ihr erzählt. Mehr musste sie nicht wissen.
»Es ist bestimmt nur vorübergehend, meinst du nicht auch, Schorsch? In ein paar Monaten wird sich alles wieder legen.«
Alle Augen blickten auf Georg Sedlmayr. Er beugte sich über den Tisch und verschränkte die Finger ineinander. »Ich weiß es nicht, Hans. Ehrlich, ich weiß es nicht. Ich würde gerne sagen, dass alles besser wird. Einfacher. Aber ich kann es nicht.«
Jacobs Vater nickte langsam, als würde er die Worte erst jetzt begreifen. Keiner wusste, wie die Zukunft aussah.
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