Hanna Schott
Von Liebe und
Widerstand
Das Leben von Magda & André Trocmé
Der Verlag dankt dem Deutschen Mennonitischen Friedenskomitee ( www.dmfk.de) sowie allen Förderern, insbesondere der Schweizerischen Reformationsstiftung ( www.refond.ch), die die umfangreichen Recherchen zu diesem Buch und somit die Herausgabe dieses Buches unterstützt haben .
Dieses Buch als E-Book: ISBN 978-3-86256-706-5
Dieses Buch in gedruckter Form: ISBN 978-3-86256-017-2, Bestell-Nummer 588 722
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.deabrufbar
Alle Zitate aus den »Mémoires« (André Trocmé) und den »Souvenirs« (Magda Trocmé) folgen den Texten, wie sie im Archiv der Bibliothek des Ökumenischen Rats der Kirchen in Genf vorliegen. Übersetzung: Hanna Schott
Lektorat: Dr. Thomas Baumann, Lahr
Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf Johannson
Umschlagbilder: © privat
Satz: Neufeld Verlag
2., durchgesehene Auflage 2012
© 2011 Neufeld Verlag Schwarzenfeld
Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages
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Für meine Töchter Anne Clara und Berenike
Nicht ein einziger Jude, der [in die Gegend von Le Chambon-sur-Lignon] kam, wurde abgewiesen oder verraten. Doch es dauerte noch Jahrzehnte, bis die Dorfbewohner von dem erzählten, was sie getan hatten – und auch dann taten sie es nur widerstrebend.
»Warum nennt ihr uns ›gut‹?«, fragten sie. »Wir haben das getan, was getan werden musste.«
Präsident Barack Obama am Yom Hashoah, dem
Holocaust Remembrance Day, am 23. April 2009
Und doch waren wir glücklich. Zum ersten und zum letzten Mal in unserem Leben waren wir in diesen Jahren in Le Chambon wirklich glücklich, trotz des Krieges.
André Trocmé, Mémoires
1. Gefunden (New York 1926)
Magda
2. Männerwelten, Frauenwelten (Florenz und Rom 1901–1909)
3. Angst (Florenz 1910–1911)
4. Dazugehören (Florenz 1911–1918)
5. Aufbruch (Florenz 1918 – New York 1926)
André
6. Geboren werden (Saint-Quentin 1901–1910)
7. Grenzen (Saint-Quentin 1911–1914)
8. Wachgerüttelt (Saint-Quentin 1914–1917)
9. Berufung und Versuchung (Brüssel 1917 – New York 1925)
Magda und André
10. Weichenstellung (New York 1926)
11. Hochzeit und Reise (Saint-Quentin 1926 – Florenz 1926)
12. Im Revier (Maubeuge 1927 – Sin-le-Noble 1933)
13. Aufs Land (Sin-le-Noble 1933 – Le Chambon-sur-Lignon 1934)
14. Hugenotten (Le Chambon 1934)
15. Eine Schule (Le Chambon 1935–1938)
16. Die Aufgabe (Le Chambon 1939–1940)
17. Die Waffen des Geistes (Le Chambon 1940)
18. Das Dorf auf dem Berge (Le Chambon 1939–1940)
19. Ungehorsam (Le Chambon 1940–1941)
20. Hoher Besuch (Le Chambon 1942)
21. Abschied (Le Chambon 1943)
22. Aufrecht (Saint-Paul d’Eyjeaux 1943 – Le Chambon 1944)
23. Frei (Le Chambon 1944)
24. Weitwinkel (von San Francisco bis Hanoi, 1945–1996)
Was wurde aus …?
Dank und Quellen
Geschichten von André Trocmé
Er war groß, und mit seinen langen Beinen machte er so große Schritte, dass er nach einigen Metern schon wieder vor ihr her ging, statt neben ihr zu gehen. Dabei war es der erste Spaziergang, den er je mit einer Frau machte, und er wünschte sich nichts mehr, als ihr nah zu sein.
»Sie ist es! Sie ist es!« Kein Hauch eines Zweifels mehr. Nichts als Jubel. Vierzig Jahre später hielt er schriftlich fest, was er an diesem Abend empfand. »Sie gehört zu mir und ich zu ihr!«
Sie gingen die Amsterdam Avenue im Nordwesten Manhattans entlang. Beide fühlten sie sich immer noch neu und fremd in dieser riesigen Stadt, dabei lebten sie nun schon Monate in New York, er als Theologiestudent, sie als angehende Sozialarbeiterin. Das Studienjahr würde bald vorbei sein, aber erst jetzt, vor ein paar Tagen, hatten sie bei einer gemeinsamen Exkursion die ersten Worte gewechselt. Sie waren mit dem Zug nach Washington gefahren und hatten dies und jenes besichtigt. Die National Cathedral, den Militärfriedhof von Arlington, das Landhaus von George Washington – sie hatten alles für Touristen Wichtige gesehen und langen Erklärungen gelauscht. Doch zumindest er hatte das alles nur als Kulisse wahrgenommen. Wirklich gesehen hatte er nur sie , im einen Moment fasziniert, im anderen schockiert. Sie war schön. Aber sie rauchte, und er konnte rauchende Frauen nicht ausstehen. Sie war Italienerin und sprach Englisch wie Französisch mit einem herben italienischen Akzent. Sie hatte lebhafte, intelligente Augen. Aber sie schien voller Unruhe zu sein, innerlich immer auf dem Sprung.
Seine Beobachtungen hatten ihn so aufgewühlt, dass er, ohne den Mitreisenden ein Wort zu sagen, vorzeitig nach New York zurückgefahren war. In einer schlaflosen Nacht hatte er sich wieder und wieder dieselben Fragen gestellt: Passt diese Frau zu dem Leben, das ich führen will? Kann man wie Gandhi leben und gleichzeitig verheiratet sein? Kann man sich überhaupt als Familie einem Leben in Armut verschreiben? Und die Weltreise nach dem New-York-Jahr? Der Besuch bei Tagore? – Egal, darauf würde er einfach verzichten. Doch wenn er eines Tages in Frankreich reformierter Pfarrer sein würde … Könnte Magda die klassische Pfarrfrau abgeben? Schwer vorstellbar. Erstaunlicherweise schien sie ja Italienerin und trotzdem evangelisch zu sein. Nach dem zu urteilen, was sie in Washington geäußert hatte, bewegte sie sich allerdings eher am Rande des christlichen Glaubens. »Ich ziehe es vor, meinen Glauben nicht zu definieren«, hatte sie gesagt, und dann hatte sie sich sehr kritisch zur Kirche geäußert.
Aber jetzt, hier, auf der Amsterdam Avenue plötzlich dieses Emmaus-Gefühl. So nannte er es später in seinen »Erinnerungen«. Da war sie, diese überwältigende, alle Zweifel beiseite schiebende Gewissheit: Ich habe das gefunden, wonach ich schon immer gesucht habe!
Heute nun war André zum International House gegangen, in dem Magda wohnte. Er hatte ein Treffen der »Washington-Freunde« angeregt (ausgerechnet er, der überstürzt abgereist war!), ein gemeinsames Abendessen. Doch als er im Foyer des Studentenwohnheims stand, ließen sich alle entschuldigen. Der Schweizer Mitreisende war verhindert, der russische Student krank, und auch Magdas Freundin, mit der sie im Zug nach Washington so hemmungslos laut gelacht und ungeniert geraucht hatte, ließ sich entschuldigen. Im Foyer standen nur sie zwei: Magda und André.
»Ja, dann, Mademoiselle …«, sagt er und schaute von oben mehr auf den Scheitel ihrer schwarzen Haare als in ihr Gesicht. Ein plötzlicher Fluchtimpuls ergriff ihn. »Bis ein andermal«, wollte er gerade sagen, doch sie kam ihm zuvor.
»Dann besuchen wir eben Skitzky«, sagte sie, zum Aufbruch bereit. Skitzky war der kranke russische Student.
Sie besuchten den Kranken, genauer: Magda nahm Anteil am Ergehen des Patienten, redete, lachte, diskutierte. Wie schon in Washington ging es um Gott und die Welt, das große Ganze, Entwicklungen in Amerika und Europa, das Leben, das sie führten, und das Leben, das sie führen sollten und wollten. André sagte auch ein paar Sätze, aber vor allem beobachtete er Magda. Dann standen sie wieder auf der Straße und gingen parallel zum Hudson in Richtung International House.
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