Berenice Boxler - Von Menschen und der Liebe

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Ein Buch erzählt. Es erzählt von seiner Reise von einem zum anderen und lernt dabei die Menschen und ihre Emotionen kennen. Ohnmächtig verzweifelt es manchmal in dieser ihm anfangs unbegreiflichen Welt. Jedoch entdeckt es auf seiner Reise auch etwas Wunderschönes: die Liebe.

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Berenice Boxler

Von Menschen und der Liebe

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Inhaltsverzeichnis Titel Berenice Boxler Von Menschen und der Liebe Dieses - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Berenice Boxler Von Menschen und der Liebe Dieses ebook wurde erstellt bei

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Impressum neobooks

1.

Mein Rücken schmerzt. Jeder Stoß, jedes unachtsame Anschlagen verursacht kleinste Kratzer. Es ist eng und stickig, dunkel, bedrückend. Die Luft ist dick und zäh wie in einem von der Sonne aufgeheizten Dachgeschoss. Wie lange werde ich hier bleiben müssen? Um mich herum sperrige Gegenstände, unförmig, manche mit spitzen Ecken. Es ist still, nur von draußen dringen gelegentlich gedämpfte Laute, Stimmen, etwas Musik. Hier drinnen gibt es nur mich und meine Gedanken. Mit meinen Nachbarn kann ich mich nicht unterhalten, kann ihnen keine Geschichten erzählen oder ihre Abenteuer, sofern sie denn welche erlebt haben, erfahren. Ich habe es versucht, ganz am Anfang, mehrfach. Anfangs hörte ich noch Geräusche, unverständlich, mit fordernder Stimme, dann Ungeduld und schließlich Stille. Jetzt schallt nur das leise Echo zurück, das in seiner Verzerrung meiner Fragen beinahe höhnisch klingt. Nach einiger Zeit habe ich es aufgegeben. Manchmal ist es sehr einsam.

Es ist nicht einfach. Seit ich denken kann, werde ich herumgereicht, bin durch einige energische, vorsichtige, feingliedrige und leider manchmal auch schmierige Hände gegangen. Den Fettfilm, der zuvor als Krönung oben auf dem Salamibrot gewesen war, trage ich heute noch links unten mit mir. Ich wurde nur oberflächlich und lieblos abgewischt. Die letzten Monate – sie kommen mir vor wie Jahre – lag ich oft ziellos inmitten eines Stapels von Büchern und Papier, das bekritzelt, verknickt, befleckt war, die dicken Bücher ausdruckslos und eintönig. Auch dort hatte ich eine Unterhaltung versucht, hatte mich vorgestellt, erzählt, gefragt. Doch es kamen nur Formeln zurück, dann Bilder von Erdformationen mit ihren seltsamen Namen, zähe Fallstudien in mechanischer Fachsprache. Auch die anderen lagen vergessen und irgendwann verstummt und reglos herum. Anfangs noch hoffte ich auf Abwechslung, auf einen Lichtwechsel, neue Bekanntschaften und aufregende Erzählungen. Aber es änderte sich nichts. Ab und zu bewegte sich der fast meterhohe Stapel, die Papiere raschelten und wirbelten den Staub auf, der sich auf den freiliegenden Kanten festgesetzt hatte. Doch kein Freund, keine verwandte Seele, keine Wärme war zu spüren oder auch nur zu sehen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort so eingezwängt lag. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit.

Diese langen Monate und oft auch Jahre ohne geistige Nahrung sind normal, hat man mir beigebracht. Damals, in der Fabrik, als man mir meine Haut gab, meinen Rücken, mein Innenleben. Als man mir meine Bestimmung aufdruckte. Ein älteres Exemplar erzählte mir und den anderen, wie die Reise nun weitergehen würde. Was wir erleben, erdulden, erfahren würden. Und was wir erleiden würden, sollten wir in die falschen Hände geraten. „Du hast Glück“, sagte er zu mir. „Du wirst sicherlich gut behandelt werden, nur Liebhaber werden sich mit dir beschäftigen“. Woher er das wusste? Jedenfalls glaubte ich ihm. Wir alle glaubten ihm. Er klang so überzeugend und bestimmt. Er sollte nicht Recht behalten.

Über die Einsamkeit hat er mir auch nichts erzählt. Es ist schwieriger, damit klarzukommen, wenn es einen völlig unvorbereitet trifft. Nur noch vage, wie durch einen Schleier von Zeit und Erinnerungen, sehe ich die lange Reise, die ich gemacht habe. Zunächst in einem großen Karton, geschnürt, beschriftet, Papier an Papier, ohne Luft zum Atmen oder Träumen. Keiner unterhielt sich, nur gelegentlich hörte man Wimmern und Klagen, der Geruch von Angst und Unsicherheit, das Geräusch von Hilflosigkeit. Keiner wagte zu sprechen, niemand wusste, wo die Reise für ihn enden würde. Doch war da noch etwas anderes, ein Schimmer, ein schwaches Leuchten der gespannten Neugier, der freudigen Aufregung über das bevorstehende Abenteuer des Lebens. Als dann aber …

2.

Licht! Die Decke öffnet sich abrupt, eine Hand greift hinein, arbeitet sich zu mir und den anderen vor. Eine schöne Hand, fein, elegant, mit markanten Knöcheln. Kein Ring. Gepflegte Fingernägel, jedoch leider etwas zu lang. Sie kratzen leicht beim Aufprall auf meine Hülle. Keine große Verletzung, dennoch ein unangenehmes Gefühl von Unachtsamkeit und Willkür. Der Handballen bleibt an meiner Kante hängen, nimmt sie mit nach unten, mein Rücken beugt sich, immer weiter. Hör auf! Halt! Natürlich hört mich keiner. Dann zieht sich die Hand zurück, den schwarzen Kugelschreiber von ganz unten fest umschlossen. Meine Ecke bewegt sich wieder etwas in die Ausgangsposition zurück, doch eine kleine Narbe bleibt, ein Makel, nicht mehr so glatt und rein wie zuvor. Eine kleine Delle. Es schmerzt.

Die Stille umschließt mich erneut. Die anderen sind längst verstummt, haben festgestellt, dass keine anständige Unterhaltung möglich ist. Wir sprechen andere Sprachen, ein babylonischer Wirrwarr verhindert eine Kommunikation. Kein Miteinander, ein Nebeneinander. Äußerlich sind wir alle ähnlich. Lyons unten in der Ecke zum Beispiel ist weiß mit einem blauen Streifen, doch ist er auch eckig wie ich. Er spricht jedoch vollkommen unverständliche Laute. Anfangs meinte ich zu verstehen, einzelne Wörter kamen mir bekannt vor. Doch wir gaben es schließlich auf, zu anstrengend waren die aussichtslosen Versuche einer Verständigung.

Sagte ich, es sei immer vollkommen still um mich? Nun ja, ich war ja nicht ständig in dieser Tasche gefangen, hilflos und ausgeliefert. Ich lag auch lange Zeit herum, hoch oben auf einem Regal, eingezwängt und in meiner Wahrnehmung beschränkt. Wie lange ich schließlich wo war – wer kann das schon sagen. Ja, es gibt Phasen grenzenloser Einsamkeit. Und ja, vielleicht habe ich in einer solchen Phase etwas übertrieben und mich hineingesteigert in meine Traurigkeit. Das Leid ist immer relativ zu sehen, denke ich, relativ zu dem woher. „Unter den Blinden ist der Einäugige ein König“, heißt es nicht so irgendwo? Auf den Betrachter kommt es an, auf die Perspektive. Es bereitet mir zuweilen Schwierigkeiten, die Verhältnismäßigkeit einzuhalten. Doch dann wiederum: Wer bestimmt eigentlich, was wann richtig ist und was nicht? Ich will mich nicht entschuldigen für meine Aussage, nur etwas erklären. Denn ganz alleine bin ich eigentlich nicht, jedenfalls nicht immer.

Ab und zu stößt ein großer brummiger Wälzer zu mir und den anderen – auch er nur gelegentlich berührt und seiner Bestimmung gemäß benutzt. Ein klein wenig verständlicher als andere ist der Wälzer, doch sind seine ständigen Klagen fast unerträglich. Er ist uralt, voller Farbe und Teeflecken, mit den Kräften am Ende. „Zerfleddert“, so nennt man das wohl. Auch er, obwohl alt und mit einem muffigen Geruch, sieht mir einigermaßen ähnlich, nur ist er etwas größer. Er erzählte einmal mit kraftloser Stimme und mit allerlei Hilfsmitteln von schier endlosen Versionen unserer Spezies: In allen Farben und Dekorationen gebe es uns, mit harter Schale oder weich, einige, die exklusiveren, sogar mit einem zusätzlichen Mantel zum Schutz, dick, dünn, alt, jung, verbraucht, vor Kraft strotzend, verständlich, langweilig, unaussprechlich, wunderbar bebildert, mit Goldrand oder auch voller Fehler. Ob ich ihm glaube? Ja, natürlich. Er ist viel zu trocken in seiner Sprache, um sich so etwas auszudenken. Außerdem habe ich auch schon ein bisschen gesehen von der Welt, kann mir meine eigenen Gedanken machen auf die Bedeutung der Vielfalt von uns. Vielleicht bin ich deshalb so enttäuscht, dass ich mich kaum austauschen kann hier, in meinem Ledergefängnis oder hoch oben auf dem staubigen Turm.

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