Die nachfolgende Geschichte ist, obwohl sie in der Heimatstadt der Autorin spielt, fiktiv. Rückschlüsse auf noch lebende oder bereits verstorbene Personen sollen in keiner Weise nahegelegt werden.
Obwohl die Protagonisten an realen Schauplätzen agieren und bei historischen Ereignissen, die sich so zugetragen haben, vor Ort sind, sind die Handlungsstränge größtenteils frei erfunden. Dies gilt insbesonders für die Verstrickungen einiger Handlungsträger mit Nationalsozialisten.
Weitere Handlungen im Roman entspringen Zeitzeugenberichten oder auch den Erzählungen meiner Großeltern.
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2021
© 2021 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelbild: Michaela Stocker, Meißen
Lektorat und Bearbeitung: Christine Rechberger, Rimsting
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
eISBN 978-3-475-55474-2 (epub)
Worum geht es im Buch?
Raphaela Höfner
Von Sehnsucht und Träumen
Europa 1941. Die Mitglieder der Familien Sedlmayr und Sternlicht sind weit verstreut: Hannah Sedlmayr studiert in Berlin Medizin und trifft dort auf einen alten Bekannten. Der skrupellose Oberführer Erich Winter geht für seine Karriere über Leichen und bedrängt sie. Hannahs Familie in der Heimat droht zu zerbrechen, da die älteren Brüder ihren Dienst fürs Vaterland tun müssen. Währenddessen kämpft die jüdische Familie Sternlicht im Osten ums nackte Überleben. Hannahs Freundin Marlene Liebreiz infiltriert die Reihen der NSDAP und erfährt von ihren schrecklichen Plänen. Für alle Beteiligten spitzt sich die Lage immer weiter zu. Werden alle den Krieg überleben?
Inhalt
März 1941
April 1941
April 1941
Ende April 1941
Mai 1941
Mai 1941
Juni 1941
Juni 1941
Juni 1941
Juni 1941
21. Juni 1941
29. Juli 1941
30. Juli 1941
31. Juli 1941
1. August 1941
4. August 1941
5. August 1941
7. August 1941
20. August 1941
28. August 1941
3. September 1941
7. September 1941
10. September 1941
15. September 1941
11. Oktober 1941
13. Oktober 1941
15. Oktober 1941
Oktober 1941
5. November 1941
10. November 1941
3. Dezember 1941
8. Dezember 1941
11. Dezember 1941
Kurz vor Weihnachten 1941
Weihnachten 1941
1. Januar 1942
16. Januar 1942
1. Februar 1942
25. Februar 1942
8. März 1942
4. Mai 1942
Ende Mai 1942
22. Juli 1942
20. August 1942
Ende August 1942
Spätsommer
Dank
Für alle,
die nicht aufhören zu träumen.
»Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh’ ich ans Firmament
Nach jener Seite.
Ach! der mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!«
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)
März 1941
Berlin
Es war ein Samstagmorgen, wie er ihn liebte. Durch das geöffnete Fenster schnitt der scharfe Ostwind herein, der immer wieder Graupel- und Hagelschauer mit sich brachte. Reste von Schnee lagen auf der Wiese im Park, wie Edelweiß auf dem Mieder eines kieferngrünen Dirndlkleides. Die Morgensonne sandte schräge Strahlen auf den Parkrasen vor dem Gebäude und übergoss die kahlen Sträucher mit Licht.
Aufgrund der Kälte war noch keine Spur von Frühling zu sehen. Keine Knospen an den Bäumen. Keine Blumen, die einen Wechsel der Jahreszeit verrieten. Kein fröhliches Gezwitscher der Vögel. Kein Summen der Bienen. Ewiger Winter.
Berlin wirkte auf den ersten Blick nicht wie die Hauptstadt eines Landes, das sich im Krieg befand. Die zerstörten Gebäude, vor allem in den Industrievierteln, die einem der Luftangriffe zum Opfer gefallen waren, fielen natürlich sofort ins Auge. Und es gab weitere Anzeichen, die ihm nicht verborgen bleiben konnten.
Vor wichtigen Gebäuden türmten sich Sandsäcke, Schutzräume waren in den Kellern der Wohnhäuser und Gärten der Vorstädte errichtet worden. Plakate über Luftschutz und den Endsieg tapezierten Wände und Säulen. Er bemerkte, dass Mütter, die mit ihren Kindern durch die Parks liefen, mit den Augen immer wieder ängstlich den Himmel abtasteten, als ob jederzeit ein feindlicher Flieger über den Horizont schießen und Bomben abwerfen könnte.
Natürlich entging ihm auch nicht die Zahl der Autos, die durch die Straßen der Hauptstadt ruckelten. Trotz der strengen Benzinrationierung kündigten Autofirmen neue Modelle an. Waren es die letzten Monate nicht deutlich weniger geworden als noch im vergangenen Herbst?
Wie Ameisen strömten die Arbeiter zu jeder Tages- und Nachtschicht in die Fabriken, deren Schornsteine in den immergrauen Himmel ragten. 24 Stunden, sieben Tage die Woche lockte sich der Rauch aus ihren Mündern. Der Ruß fiel wie dichter Nebel auf die Häuser. Arbeit gab es mittlerweile mehr als genug.
Er kannte auch die Zahlen der Truppen, die mit der Eisenbahn außer Landes geschickt wurden. Eine neue Streitmacht, bestehend aus hunderttausend Mann, war erst vorgestern in den Osten aufgebrochen. Niemand hatte die Absicht, den Nichtangriffs-Pakt mit Russland einzuhalten. Hitler persönlich hatte dem Oberkommando der Wehrmacht seinen Entschluss zu einem Angriffskrieg gegen Russland bereits im Jahr zuvor mitgeteilt. Unternehmen Barbarossa. Winter hatte den Decknamen erfahren, nachdem er das Vertrauen der Obrigen hier gewonnen hatte. Seit Dezember wurden militärische Vorbereitungen getroffen. Spätestens im Herbst würden sie Teile Russlands eingenommen haben, vermutlich nächstes Jahr das gesamte Land.
Auch die Zahl der Toten war ihm geläufig. Auf allen Seiten häuften sich die Leichen, doch er war davon überzeugt, dass ein Opfer gebracht werden musste. Noch nie hatte es in der Geschichte einen Sieg ohne Opfer gegeben.
In seiner Schreibtischschublade bewahrte er einen ganzen Stapel Bilder auf: Fotoaufnahmen von der Eroberung Polens, von lachenden Soldaten, Fotos aus Lazaretten, sterbende Männer. Leichen hatte er inzwischen zur Genüge gesehen.
Er selbst liebte die Großstadt. Ihm gefielen die eleganten, riesigen Gebäude. Der Reichstag mit seiner Kuppel. Die ausgedehnten Mahlzeiten, die ihm trotz der Lebensmittelknappheit zustanden. Die neueste Mode – Kostüme für die jungen Fräulein, gewagte Rocklängen, die das Damenbein in einer Feinstrumpfhose zur Geltung brachten, die breiten Gürtel, die die schlanken Wespentaillen betonten.
Tag und Nacht schlug Berlins Herz wie eine Maschine. Er amüsierte sich gerne in Kinos, Restaurants und Cafés, besuchte sogar hin und wieder Bars und Kneipen. Je mehr Leute sich aber um ihn versammelten, desto mehr sehnte er sich nach der Ruhe seiner Heimat. Nach den immergrünen Hügeln, den endlosen Sommern, der Meeresbrise. Dort, wo er herkam, konnte man stundenlang ausreiten, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen.
Guddin. Das Herz wurde ihm schwer, als der ostpreußische Gutshof in seiner Erinnerung aufflammte. Der Name glitt ihm wie ein Seufzen über die Lippen. Ein Ort voller Schönheit, Magie und Sehnsucht. Lange war er nicht mehr dortgewesen. Das letzte Mal hatte er herausfinden müssen, dass sein Vater, ein ranghoher Offizier im Ersten Weltkrieg, ihn jahrelang belogen und betrogen hatte. An die Demütigungen, die er als Kind erfahren und immer noch ertragen musste, sobald er seinem alten Herrn unter die Augen kam, hatte er sich gewöhnt. Es war aussichtslos, auf Anerkennung, Achtung oder gar einen Funken Liebe zu hoffen. Aber der Tod seiner Mutter ging ihm wie heißes Öl unter die Haut. Es musste einen Grund geben. Irgendetwas, das mit seinem Vater zu tun hatte, musste sie in den Freitod getrieben haben. Er schob den Gedanken beiseite und sperrte die Erinnerungen sorgfältig ein. Schließlich war er doch jetzt da, wo er all die Jahre hinwollte. In der Position, die er sich so lange gewünscht hatte. Doch er träumte von mehr.
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