»Brauchen Sie noch was?«, meinte Hannah spitz, ohne auf seine Bemerkung einzugehen.
»Gesellschaft wäre schön.«
»Ich bin hier im Dienst.«
»Wie lange? Vielleicht kann ich dich später nach Hause begleiten. Eine junge Frau sollte nicht allein gehen.«
»Ich bin bis spät in die Nacht hier. Außerdem komme ich gut zurecht. Anständige Fräulein gehen selbstverständlich im Hellen nach Hause. Wenn ich hier rauskomme, geht bereits die Sonne auf.«
Sie wollte sich umdrehen, als er wieder das Wort an sie richtete. »Da fällt mir doch noch was ein. Ich hätte gerne eine Limonade.« Er berührte die Fingerspitzen, sodass sie ein Dach bildeten.
»Limonade?«
»Ja, das ist ein Erfrischungsgetränk.«
»Ich weiß, was eine Limonade ist.«
Er schmunzelte. Zorn stieg in ihr auf. Er wollte sie hinhalten, damit sie wieder und wieder an seinen Tisch kam. Hannah drehte ab und suchte schnell das Weite.
»Eine Limonade bitte«, sagte sie zu ihrem Kollegen, der ihr ein Glas einschenkte und über den Tresen reichte.
Als Hannah zu Winter lief, bemerkte sie, wie er die anderen Leute rundherum musterte. Die Nase war gerümpft, als hätte er Mist darunter. Der Blick glitt abschätzig über die ersten Paare hinweg, die zu Marlenes Lied über die Tanzfläche wirbelten.
»Eine fröhliche Stimmung gehört wohl nicht zu Ihren Stärken?«
Er wandte den Blick von den Tanzenden ab und schüttelte kaum merklich den Kopf. »Ich denke, das haben wir beide gemeinsam. Lächeln gehört ja auch nicht zu deinen Stärken. Für eine junge Frau bist du viel zu ernst.«
»Ich lache, wenn es einen Anlass gibt.«
Seine Augen tasteten sie neugierig ab. »Du denkst, dass ich dich angelogen habe, nicht wahr? Was diesen Juden betrifft.« Der Themenwechsel traf sie unvermittelt.
»Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Sie mir die Wahrheit sagen. Ein Mann wie Sie kann mir nicht erzählen, dass er so etwas nicht weiß. Als Ortsgruppenleiter war es Ihre Aufgabe, die Juden aus Rosenheim zu vertreiben. Das haben Sie bei den Sternlichts ja gut hinbekommen.«
Er leckte sich über die Unterlippe. Ertappt. »Es war mir egal, wohin sie kommen.«
»Die Sternlichts waren doch Ihre ganz persönliche Angelegenheit, von Anfang an. Es hat Ihnen nicht gepasst, dass ausgerechnet mein Vater mit Hans Sternlicht befreundet war. Dass ich mit den Söhnen befreundet war.«
»Freundschaft nennst du das also?«
Eine eiserne Hand griff nach ihrem Herzen. Er wusste es! Er wusste von ihr und Jacob, daran gab es keinen Zweifel mehr. Das machte die Sache noch viel persönlicher.
»Ich werde die Wahrheit schon noch von Ihnen erfahren. Den Sternlichts muss ein Visum genehmigt worden sein. Oder ein anderes Papier, damit sie außer Landes reisen konnten. Sie haben diese Art von Papieren bei uns in der Stadt ausgestellt. Also verkaufen Sie mich nicht weiterhin für dämlich!«
»Wie ich sehe, hast du eine große Wut in dir aufgestaut. Das ist natürlich schade. Ich wünschte, ich könnte dir helfen.« Das verhasste Lächeln zeigte sich wieder in seinem Gesicht. Aus ihm war nichts herauszubekommen, jedenfalls nicht heute Abend. Seine Hände klammerten sich um das Limonadenglas. Sie waren äußerst gepflegt, beinahe zart.
»Genießen Sie jetzt Ihre Limonade und die Musik. Deswegen sind Sie ja schließlich hierhergekommen, nicht wahr?«
Wieder lachte er leise auf. Wie sehr sie ihn für seine Arroganz verabscheute.
»Die Großstadt ist nichts für dich, Hannah. Sie verändert dich. Berlin tut dir nicht gut.«
Der ohnehin schon dünne Geduldsfaden war nun endgültig gerissen. »Hören Sie endlich auf, sich in mein Leben einzumischen.«
Er wirkte betroffen. »Ich mache mir nur Sorgen.«
»Es ist nicht Ihre Aufgabe, sich um mich zu sorgen, hören Sie! Sie sind nicht mein Vater! Nicht mein Bruder oder sonst irgendeine wichtige Person in meinem Leben. Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!« Sie betonte jede Silbe einzeln und funkelte ihn zornig an.
»Barbarossa.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Er stand auf und trat langsam auf sie zu. »Barbarossa«, wiederholte er und beugte sich etwas nach vorne, sodass nur sie ihn hören konnte. Seine Lippen streiften beinahe ihre Wange. Der Atem strich wie Fingerspitzen über ihre Haut.
»Was soll das bedeuten? Barba …« Weiter kam sie nicht, denn er hatte ihr den Zeigefinger auf die Lippen gelegt. Der Geruch seiner Haut strömte ihr in die Nase.
»Es hat schon längst angefangen, Hannah. Schon bald werden die Russen ihre Bomben auch hier in der Hauptstadt abwerfen, und ich würde tatsächlich besser schlafen, wenn ich dich fernab vom Geschehen wüsste. Berlin wird das Ziel sein. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«
»Wovon zum Teufel sprechen Sie?«
»Die Wehrmacht wird Russland in wenigen Stunden angreifen.« Er zog eine goldene Taschenuhr hervor und blickte gedankenverloren auf die Zeiger, die langsam tickten. Sekunde für Sekunde. »Wenn wir erst einmal in Russland eingefallen sind und den Iwan beschießen, dann ist es auch hier ein für allemal vorbei mit der Hochstimmung. Schluss mit dem Tanzen, den Cafés und den Feiern.« Die Worte wollten ihr nicht einfallen und sie stand ihm sprachlos gegenüber. »Sag am Ende nicht, dass ich dich nicht gewarnt hatte. Du musst weg aus Berlin!« Dieses Mal betonte er jede Silbe einzeln und sein Atem kitzelte ihre Wangen.
»Ist alles in Ordnung, Hannah? Ich brauche dich am Tresen.« Ihr Kollege war hinter ihr aufgetaucht und sie wandte sich zu ihm.
»Ja, alles in Ordnung. Ich komme sofort.« Als sie sich wieder zu Winter umdrehen wollte, war dieser verschwunden. Die leere Tasse und das volle Glas mit der frischen Limonade hatte er zurückgelassen. Daneben das ausstehende Geld. Sein Geruch war geblieben, so als stünde er noch direkt vor ihr.
Schon bald würde sich der Krieg auch in der Hauptstadt seine Opfer suchen. Je lauter das Lachen um sie wurde, desto einsamer fühlte sie sich. Erich Winter hatte sie tatsächlich vor etwas gewarnt.
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