An derselben Stelle waren im Jahre 1851 der »Prinz Albert« und 1853 Kane mit dem »Advance« mehrere Wochen lang ununterbrochen steckengeblieben.
Die seltsame Gestalt des Teufelsdaumens, die öde und verlassene Umgebung, ringsum ungeheure Eisberge, manche über dreihundert Fuß hoch, das Krachen der Eisberge, welches unheimlicherweise im Echo widerhallte, alles machte die Lage der Forward erschrecklich traurig. Shandon begriff, dass er ihn von da wegbringen und weiterführen müsse. Vierundzwanzig Stunden nachher, seiner Schätzung nach, konnte er um etwa zwei Meilen von dieser unheimlichen Küste wegkommen. Aber das war nicht alles. Shandon fühlte sich von Furcht befangen, und die falsche Stellung, worin er sich befand, lähmte seine Tatkraft; um seinen Instruktionen nach vorwärts zu dringen, hatte er sein Schiff in eine außerordentlich gefährliche Lage versetzt; das Schiffsziehen brachte die Leute gänzlich herab; man brauchte über drei Stunden, um einen zwanzig Fuß langen Kanal in ein Eis zu hauen, das vier bis fünf Fuß dick war; der Gesundheitszustand der Mannschaft drohte schon schlimmer zu werden. Shandon staunte über das Schweigen der Leute und ihre ungewöhnliche Hingebung; aber er besorgte, es möchte dies der Vorbote eines nahen Sturmes sein. Man kann sich demnach die peinliche Überraschung, die Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit vorstellen, welche ihn befiel, als er wahrnahm, dass infolge einer unmerklichen Bewegung des Eisfeldes der Forward während der Nacht des 18. zum 19. wieder alles verlor, was er durch so viele Strapazen gewonnen hatte, am Samstagmorgen befand er sich wieder im Angesicht des Teufelsdaumens, der stets drohte, und in einer noch bedenklicheren Lage; die Eisberge wurden häufiger und fuhren Phantomen gleich im Nebel vorüber.
Shandon war vollständig entmutigt; offen gesagt, der Schrecken drang in das Gemüt dieses unverzagten Mannes und in die Herzen seiner Mannschaft. Shandon hatte vom Verschwinden des Hundes reden gehört, aber er wagte nicht die Schuldigen zu strafen; er musste fürchten, einen Aufruhr hervorzurufen.
Das Wetter war diesen Tag über schrecklich; dicht aufgewirbelter Schnee umhüllte die Brigg mit einem undurchdringlichen Schleier; bisweilen, unter Einwirkung des Sturmwetters, teilte sich der Nebel, und das Auge sah mit Schrecken auf der Landseite den Teufelsdaumen gespensterartig emporragen.
Der Forward ankerte sich fest an einen ungeheuren Eisblock, weiter konnte er nichts tun, nichts versuchen; die Dunkelheit nahm zu, sodass der Mann am Steuer den Wachposten am Vorderteil nicht sehen konnte.
Shandon zog sich, unablässig beängstigt, in seine Kabine zurück; der Doktor ordnete seine Reisenotizen; von der Mannschaft war die Hälfte auf dem Verdeck geblieben, die anderen befanden sich im gemeinschaftlichen Saal.
In einem Moment, wo der Sturm ärger tobte, schien der Teufelsdaumen mitten im zerrissenen Nebel über die Maßen hoch zu ragen.
»Großer Gott!« schrie Simpson und wich voll Schrecken zurück.
»Was gibt es«, sagte Foker.
Nun rief es auf allen Seiten:
»Er wird uns zerschmettern!«
»Wir sind verloren!«
»Herr Wall! Herr Wall!«
»’s ist alles aus!«
»Kommandant! Kommandant!«
So schrien die Leute von der Wache zusammen.
Wall stürzte auf das Hinterkastell; Shandon in Begleitung des Doktors eilte auf das Verdeck und schaute.
Mitten durch die Spalten des Nebels schien der Teufelsdaumen plötzlich näher bei der Brigg; er schien fantastisch vergrößert; an seiner Spitze erhob sich ein zweiter Kegel, umgekehrt und auf seiner Spitze sich drehend; – er drohte mit seiner ungeheuren Masse das Schiff zu zertrümmern; er wankte, drohte zu fallen: ein Anblick zum Entsetzen. Jeder wich unwillkürlich zurück, und einige Matrosen verließen das Schiff, eilten auf das Eis.
»Keiner rührt sich vom Platz!« rief der Kommandant in strengem Ton. »Jeder an seinen Posten!«
Eine Luftspiegelung
»Meine Freunde, haben Sie doch keine Angst«, sagte der Doktor; »’s ist keine Gefahr! Sehen Sie, Kommandant, sehen Sie, Herr Wall, ’s ist eine Luftspiegelung, nichts weiter!«
»Sie haben recht, Herr Clawbonny«, versetzte Meister Johnson; »diese Leute haben sich aus Unwissenheit durch ein Luftgebilde ängstigen lassen.«
Auf die Worte des Doktors waren die meisten der Matrosen herbeigekommen, und ihre Furcht verwandelte sich in Bewunderung dieses merkwürdigen Phänomens, welches alsbald erlosch.
»Sie nennen das Luftspiegelung!« sagte Clifton, »nun, der Teufel steckt doch etwas darinnen, Ihr könnt mir’s glauben.«
»Ganz gewiss«, erwiderte ihm Gripper.
Aber als sich der Nebel ein wenig zerklüftete, erblickte der Kommandant eine große und freie Fahrstraße, die er nicht vermutet hatte. Er beschloss unverzüglich diesen günstigen Fall zu benutzen; die Leute wurden auf beiden Seiten des Fahrwassers aufgestellt, es wurden ihnen starke Taue gereicht, und sie begannen das Schiff in nördlicher Richtung zu ziehen.
Stundenlang wurde dieses Manöver eifrig, obwohl schweigend, ausgeführt; Shandon hatte die Öfen heizen lassen, um den glücklicherweise entdeckten Kanal zu benutzen.
»Es ist ein günstiger Zufall«, sagte er zu Johnson, »und wenn wir nur einige Meilen noch vorwärtskommen können, werden wir vielleicht am Ende unserer Mühsal sein! Herr Brunton, heizen Sie stärker, und sobald der Dampf hinrichend sein wird, lassen Sie mich es wissen. Wenn inzwischen unsere Leute wieder mehr Mut gewinnen, ist das ein ebenso großer Gewinn. Sie eilen sich, vom Teufelsdaumen wegzukommen! Nun, so benutzen wir diese gute Stimmung.«
Auf einmal wurde der Zug der Brigg plötzlich gehemmt.
»Was gibt es?« fragte Shandon. »Wall, sind unsere Schlepptaue zerrissen?«
»Nein, Kommandant«, erwiderte Wall, indem er sich über das Geländer neigte. »Ei! Da kommen unsere Leute zurück, klettern auf das Schiff; sie scheinen von einem sonderbaren Schrecken befallen!«
»Was gibt es denn?« rief Shandon, auf das Vorderteil stürzend.
»An Bord! An Bord!« schrien die Matrosen in ärgstem Schrecken.
Shandon blickte nach Norden hin, und Schaudern befiel ihn wider Willen.
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