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»Sie haben vollkommen recht«, erwiderte Shandon, »dieser Mac Clintock ist ein kühner Seemann; ich hab’ ihn bei der Arbeit gesehen. Sie können beifügen, dass wir uns gleich ihm schon im April in der Davis-Straße befinden werden, und wenn es uns gelingt, zwischen den Eisblöcken durchzudringen, so wird das unserer Reise einen bedeutenden Vorschub geben.«
»Sofern nicht«, entgegnete der Doktor, »es uns geht wie dem Fox im Jahre 1857, dass wir gleich im ersten Jahre zwischen den Eisblöcken des nördlichen Baffins-Meeres steckenbleiben und mitten in der Eisdecke überwintern müssen.«
»Wir müssen hoffen, dass wir glücklicher sein werden, Herr Shandon«, erwiderte Johnson, »und wenn man mit einem Fahrzeug wie dem Forward nicht dringen kann, wohin man will, muss man es ganz aufgeben.«
»Übrigens«, fuhr der Doktor fort, »wenn der Kapitän an Bord ist, wird er besser als wir wissen, was zu tun ist, und umso mehr, als es uns vollständig unbekannt ist; denn aus seinem gar zu lakonischen Briefe können wir den Reisezweck nicht erraten.«
»Es ist schon viel wert«, erwiderte Shandon lebhaft, »dass wir wissen, welchen Weg wir zu nehmen haben; und jetzt, seit einem Monat, denk’ ich mir, wir können die übernatürliche Einwirkung dieses Unbekannten und seiner Instruktionen schon entbehren. Übrigens wissen Sie meine Meinung über ihn.«
Der Forward steuert ein.
»Ho! Ho!« rief der Doktor aus. »Ich glaubte wie Sie, dieser Mann werde das Kommando des Schiffes Ihnen lassen und niemals an Bord kommen, aber …«
»Aber?« versetzte Shandon etwas ärgerlich.
»Aber seit Ankunft des zweiten Briefes hab’ ich in dieser Hinsicht meine Ideen ändern müssen.«
»Und weshalb, Doktor?«
»Weil dieser Brief Ihnen zwar die Richtung angibt, welche genommen werden soll, allein über die Bestimmung der Forward keine Auskunft gibt; man muss aber doch wissen, wohin man fährt. Wie kann, frage ich, ein dritter Brief an Sie gelangen, weil wir uns auf hoher See befinden! Auf Grönland muss der Postdienst etwas zu wünschen übrig lassen. Sehen Sie, Shandon, ich denke mir, dieser Schalk wartet auf uns an einem dänischen Platze, zu Holsteinborg oder Uppernawick; dort wird er zu seiner Ladung noch Robbenfelle, Schlitten und Hunde kaufen, kurz alle Gerätschaften, welche für eine Reise in das nördliche Eismeer nötig sind. Es wird mich daher wenig überraschen, wenn wir ihn eines schönen Morgens aus seiner Kabine herauskommen und das Kommando auf eine durchaus nicht übernatürliche Weise führen sehen.«
Sonntagsfeier an Bord
»Möglich«, erwiderte Shandon trocken; »aber inzwischen weht frischer Wind, und es ist nicht klug, zu solcher Zeit seine Masten einer Gefahr auszusetzen.«
Shandon verließ den Doktor und gab Befehl, die hohen Segel aufzugeien.
»Es hält«, sagte der Doktor zum Rüstmeister.
»Ja«, erwiderte letzterer, »und das ist zu bedauern, denn Sie könnten wohl recht haben, Herr Clawbonny.«
Am Samstag gegen Abend fuhr der Forward am Vorgebirge Galloway vorüber, dessen Leuchtturm nordöstlich bemerklich ward; während der Nacht ließ man das Vorgebirge Cantyre im Norden und Kap Fair im Osten der Küste Irlands. Gegen drei Uhr früh lief die Brigg neben der Insel Rathlin vorbei aus dem Nord-Kanal in den Ozean.
Es war Sonntag, der 8. April; die Engländer, besonders die Matrosen, feiern diesen Tag streng; daher widmete man einen Teil des Vormittags dem Vorlesen der Bibel, welches der Doktor gern vornahm.
Der Wind wurde darauf zum Orkan, welcher die Brigg an die irländische Küste zurückzuwerfen drohte; die Wellen wurden stark, und das Schwanken des Schiffes arg. Der Doktor spürte nichts von der Seekrankheit, weil er nicht wollte. Um Mittag verschwand im Süden Kap Malinhead, das letzte Stück von Europa, welches die kühnen Seeleute erblicken sollten.
Man befand sich damals unter 55° 57' Breite und 70° 40' Länge.
Gegen neun Uhr abends legte sich der Sturm, und der Forward blieb als guter Segler in nordwestlicher Richtung; er war nach dem Urteil der Kenner zu Liverpool vorzugsweise Segelschiff.
Während der folgenden Tage kam der Forward rasch nordwärts voran; der Wind schlug um in Süd, und das Meer ging gewaltig hohl; die Brigg fuhr damals mit vollen Segeln. Einige Sturmvögel flatterten über dem Hinterverdeck; der Doktor war so glücklich, einen der letzteren zu schießen, und derselbe fiel an Bord. Er verstand es auch denselben schmackhaft zuzubereiten, indem er zuerst alles unter der Haut liegende Fett ablöste, sodass der ranzige Geschmack, welcher den Seevögeln mitunter eigen ist, völlig beseitigt wurde.
Während des letzten Sturmes hatte Richard Shandon Gelegenheit, sich von den Vorzügen seiner Leute besonders zu überzeugen.
James Wall, der Richard höchst ergeben war, fasste gut auf, verstand gut auszuführen, aber es mochte ihm am selbstständigen Auftreten fehlen; in einer Stellung dritten Ranges war sein Platz.
Johnson, ein erfahrener Seemann, ergraut in Fahrten nach dem Eismeer, war an Kaltblütigkeit und Kühnheit unübertrefflich.
Der Harpunier Simpson und der Zimmermann Bell waren zuverlässige Leute, an strenge Disziplin und Pflichterfüllung gewöhnt. Der Eismeister Foker, im Seedienst erfahren, in Johnsons Schule gebildet, versprach die trefflichsten Dienste zu leisten.
Von den übrigen Matrosen schienen Garry und Bolton die besten zu sein: Bolton, ein lustiger Geselle, munter und redselig; Garry, ein Junggeselle von fünfunddreißig Jahren, energischen Gesichtszügen, doch etwas blass und traurig.
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