»Und?«
»Das Wohnhaus wurde verwüstet. Ein Stallgebäude niedergebrannt. Zwei Pferde sind tot.«
Was in aller Welt war mit dieser Stadt los?, dachte er, während er die rauchende Ruine betrachtete, die einmal die Møllevang-Schule gewesen war. Das glich Geschehnissen aus einem fremden Land.
»Was weißt du?«, fragte er müde. Man konnte nie wissen, ob eine Verbindung bestand. Auch wenn die Entfernung dagegensprach.
»Es war der Hof meines Nachbarn. Ich bin von dem Geräusch des zerberstenden Daches aufgewacht.«
»Bestimmt Asbest. Das klingt wie Popcorn.«
Plötzlich wechselte sie das Thema.
»Wo bist du?«
»Was glaubst du, wo ich bin? In der Oper, Othello ansehen?«
Ihm war klar, dass er mürrisch klang. »Was weißt du über den Brand?«
Einen Moment war es still im Telefon.
»Der Hof gehört meinen Nachbarn«, sagte sie dann. »Sie sind in Ferien in Norwegen. Sie kommen heute nach Hause, die Armen. Die Schwester hat auch auf dem Hof gewohnt, und um drei Uhr morgens war sie plötzlich spurlos verschwunden.«
Aus dem Augenwinkel beobachtete er Ivar K und einen der Feuerwehrmänner. Zusammen schritten sie den Platz ab und sahen sich das heruntergebrannte Gebäude an, aus dem aberwitzigerweise weiße Fensterrahmen guckten. Es sah aus, als hätte ein tief fliegendes Flugzeug den oberen Teil des Gebäudes abrasiert. Nur das Skelett des Dachs war noch da.
»Vielleicht hat sie in der Stadt übernachtet«, wandte er ein. »So etwas kommt vor.«
»Jemand ist am späten Abend im Haus gewesen, und ich gehe davon aus, dass sie das war.«
»Woher weißt du das? Hast du sie gesehen?«
Wieder entstand eine kleine Pause. Dann sagte die Stimme: »Nein. Aber irgendjemand hat dem Hund Futter gegeben.«
Als wäre ihr Bedürfnis an Bränden nicht gedeckt, als gäbe es nicht genug Probleme – und sie musste nun auch noch dorthin fahren.
Während sie von der Frederiksgade zur Møllevang-Schule hochfuhr, dachte Dicte flüchtig an Bo, der kurze Zeit zuvor mit den Fotos von dem Brand in der Redaktion aufgetaucht war. Sie hatte ihn gefragt, ob er mitkommen und die abgebrannte Schule fotografieren wolle, aber er war seltsam fern und abweisend gewesen und hatte ihr erklärt, dass er versprochen habe, seine Tochter in der Schule abzuholen und zum Arzt zu fahren. Als würde seine Ex ihn jemals um so etwas bitten, dachte sie und testete die neuen Winterreifen, als das Auto vor ihr plötzlich bei Gelb bremste. Ihr neu gekaufter Fiat Uno entging nur um wenige Zentimeter einem Zusammenstoß.
Eva wachte über die Kinder wie ein Drache und tat alles, um Bos exakt bemessene Zeit mit ihnen zu sabotieren. Jedes Mal, wenn er die Kinder haben sollte, kam etwas dazwischen, das es unmöglich machte. Und Silvester hatte dem Fass den Boden ausgeschlagen, als Eva Tobias und Ninka mit zu ihrer Mutter genommen hatte, anstatt sie bei Bo abzuliefern. Es war der Anfang der Eskalation des Nervenkriegs, und seit diesem Tag war nichts mehr ganz so, wie es eigentlich hätte sein sollen.
Das dachte sie, als sie in die Fuglesang-Allee einbog und an der Handelsschule und dem Konservatorium vorbeifuhr. Dachte, dass irgendetwas absolut nicht stimmte und Bo irgendetwas plante, von dem sie keine Ahnung hatte. Die Unruhe griff nach ihr wie eine eiskalte Hand. Er war verzweifelt. Und verzweifelte Männer waren unberechenbar.
Sie fuhr den Fuglebakkevej hoch, und ein furchtbarer Anblick empfing sie. Er erinnerte an Bilder aus dem zerstörten Kosovo, Bilder aus einem Kriegsgebiet, wo man erwartete, Maschinengewehre zu hören und Gebäude einstürzen zu sehen. Nicht, dass sie selbst das erlebt hatte, aber sie wusste es von Bo, wenn er ein seltenes Mal von seinen Reportagetouren erzählte, die ihm anerkannte Fotopreise, aber leider nicht das große Geld eingebracht hatten.
Sie erblickte John Wagner, der sich mit einem Mann in einem orangefarbenen Overall unterhielt. Sie spürte den Ansatz eines schlechten Gewissens, weil sie Ida Marie so lange nicht angerufen hatte. Es war feige, und sie hatte die elendste Entschuldigung, die man sich denken konnte, und selbst die war nur die halbe Wahrheit.
Wagner riss sich von den Kollegen los und kam ihr entgegen. Seine sonst südländische Hautfarbe war im Winter blasser geworden, aber er unterschied sich noch immer von den anderen durch seine gebogene Nase und die schweren Augenlider, die ihn ständig müde aussehen ließen, wovon man sich aber nicht täuschen lassen sollte. Er war zwölf Jahre älter als Ida Marie, und die abgetragene Tweedjacke ließ einen an alte Tugenden wie Ritterlichkeit und Zuverlässigkeit denken.
»Lange nicht gesehen«, sagte er als knappen Gruß und gab ihr die Hand.
»Ich hatte viel zu tun.«
In seinen Augen sah sie, dass er wusste, dass sie log. Aber es war schwer, das Glück der anderen mit anzusehen, während man selbst auf dem letzten Loch pfiff. Und seit Ida Marie Martin zur Welt gebracht und sich gegen den Vater des Kindes für ihren Polizeibeamten entschieden hatte, schien sie im siebten Himmel zu schweben.
»Es ist so viel passiert. Ich bin jetzt in einer neuen Redaktion«, erklärte sie weiter.
Er antwortete nicht. Sie gingen zu dem abgebrannten Gebäude hinüber, wo eine Gruppe Brandtechniker mit Schutzhelmen und blauen Overalls mit der Aufschrift Polizei, Kriminaltechnische Abteilung ihrer Arbeit nachgingen. Das Gelände war mit einem rotweißen Band, dem so genannten Flatterband, abgesperrt worden, und an dem verrußten roten Mauerwerk lehnten Leitern. Andere Männer in blauen Overalls, auf deren Rücken Katastrophenschutz Mitteljütland stand, beförderten nicht verbrannte Dachsparren in einen Container.
Auf dem Parkplatz standen mehrere Autos. Ein Fotograf fotografierte drauflos, und Dicte erkannte den Reporter der Stiften, der sich umschaute.
»Was hast du von dem anderen Brand erzählt? Woran denkst du dabei?«
Er fragte, während sie außerhalb der Absperrung an dem abgebrannten Gebäude entlanggingen. Sie erzählte von dem Brand und wie der Hund sich erbrochen hatte. Unverdautes Hundefutter.
»Und wie lautet deine Schlussfolgerung, Sherlock?«
Er zog sie auf, aber sie hörte den zugrunde liegenden Ärger. Die Polizei war nicht begeistert, wenn Journalisten Detektiv spielten, und Wagner bildete keine Ausnahme. Aber er war klug genug zu wissen, dass in gewissen Fällen beide Seiten voneinander profitieren konnten. Das hatte er bewiesen, als sie bei dem Moses-auf-dem-Århus-Fluss-Fall zusammengearbeitet hatten. Zugegeben, sie war sich nicht sicher, ob Wagner ihren Informationsaustausch als Zusammenarbeit bezeichnen würde.
»Dass der Hund um Mitternacht etwas zu fressen bekommen hat.«
»Eine seltsame Uhrzeit, um seinen Hund zu füttern.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Das ist ein verwöhnter Schoßhund. Meine Tochter bezeichnet ihn als Teppichpisser. Manche Menschen geben ihrem Hund zu fressen, bevor sie ins Bett gehen.«
Plötzlich drehte er sich um und sah sie an.
»Bist du überhaupt als Zeugin verhört worden?«
Sie schüttelte den Kopf. In dem ganzen Durcheinander hatte scheinbar niemand Zeit gehabt, sich näher mit ihr zu unterhalten. Sie hatten alle Hände voll zu tun gehabt, das Feuer zu löschen und die Situation einzuschätzen.
»Die Polizei ist erst später gekommen. Sie haben ein paar vordergründige Fragen gestellt, und das war’s.«
Sie hörte ihn seufzen und führte es auf den Personalmangel, die Menge der Freischichten und die vielen anderen Probleme der Polizei zurück, die sich zurzeit häuften. Die Presse hatte die Verantwortlichen unter Beschuss genommen, und auch ihre eigene Zeitung hatte sich nicht zurückgehalten, als es galt, darüber zu berichten, wie zwei Beamte junge Autodiebe angeschossen hatten oder wie die Knöllchen der Polizei verschwunden waren. Vielleicht erklärte das die Kälte von Wagners Seite, dachte sie.
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