Kirsten Holst
Wege des Todes - Skandinavien-Krimi
Übersetzt
Hanne Hammer
Saga
Wege des Todes - Skandinavien-Krimi Übersetzt Hanne Hammer Original Dødens dunkle veje Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1984, 2020 Kirsten Holst und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726569537
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Die Luft im Schlafzimmer war warm und stickig. Die Fenster waren geschlossen, die Gardinen zugezogen und im Raum lag ein säuerlicher Geruch nach Desinfektionsmitteln, Tabakrauch, Urin, Medizin und altem Mann. Ein Geruch von Vergänglichkeit und Tod.
Der alte Mann saß halb aufgerichtet, mit im Rücken gestapelten Kissen in seinem Bett und die einzigen Laute, die im Zimmer zu hören waren, waren sein beschwerlicher, pfeifender Atem und die rastlosen Schritte seines Sohnes vom Fenster zur Tür und wieder zurück. Hin und zurück.
Der alte Mann würde sterben.
Er wusste das und sein Sohn wusste das und zum ersten Mal in ihrem Leben waren sie sich – wenn auch aus verschiedenen Gründen – über etwas einig, obwohl keiner von ihnen es laut aussprach: Beide wünschten, dass es bald überstanden war.
»Musst du dauernd hin- und herlaufen?«, fauchte der Alte und sah den Sohn aufgebracht an. »Das macht einen ganz nervös. Setz dich hin.«
Geräuschvoll zog der Sohn einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett, sein Gesicht dem Vater zugewandt. Der alte Mann griff nach den Zigaretten, die auf dem Nachttisch lagen, nahm eine heraus und zündete sie mit einem vergoldeten Ronson-Feuerzeug an.
Der Sohn räusperte sich. »Hältst du das für klug?«
»Mach dich doch nicht zum Idioten«, knurrte der Alte. »Wir wissen beide, dass es darauf nicht mehr ankommt. Jetzt.«
Er nahm demonstrativ einen langen Zug, hielt den Rauch einen Moment tief in den kranken Lungen fest, stieß ihn aus und hustete.
Der Sohn wandte den Kopf ab und blickte starr zur Tür, als sein Vater nach der Speicheltasse griff und Schleim hineinspuckte.
»Warum bist du eigentlich gekommen?«, fragte der Alte, als der Hustenanfall vorbei war. »Wenn du Geld von mir willst, kannst du gleich wieder gehen. Du bekommst nichts. Du musst warten, bis ich unter der Erde bin – aber das wird nicht mehr lange dauern.«
»Ich brauche kein Geld«, entgegnete der Sohn kurz angebunden.
»Na, das ist ja mal was Neues. Dass ich das noch erlebe.« Der Alte schnitt eine Grimasse, während er die Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. »Warum bist du dann hier?«
»Weil du krank bist und weil du mein Vater bist und ...«
»Natürlich! Sohnesliebe! Die konntest du mir nicht früher zeigen, was?«
Der Sohn biss die Zähne zusammen und schwieg.
Auch der Alte sagte nichts, nur sein pfeifender Atem war zu hören.
Der Sohn rutschte auf dem Stuhl hin und her, schlug das eine Bein über das andere und sah seinen Vater an. »Du magst mich nicht, stimmt’s?«, sagte er dann. »Das hast du nie getan.«
Der Alte schüttelte resigniert den Kopf. »Du kannst es nicht lassen, dich zum Idioten zu machen. Diese Frage spielt keine Rolle. Es geht nicht um mögen oder nicht mögen, es geht darum, dass du mein Sohn bist. Das ist nun einmal so und ich habe es nie geleugnet. Aber ich gebe gerne zu, dass du eine Enttäuschung warst. Fast von Anfang an. Ich hatte wohl gehofft – vielleicht mehr als erwartet –, dass du mich für eine katastrophale Ehe entschädigen würdest. Das hast du nicht getan, aber deswegen mache ich dir keine Vorwürfe. Es war eine törichte Hoffnung. Deine Mutter war schön, dumm und hatte – wie sich herausstellte – einen miesen Charakter. Leider ähnelst du ihr. Ich habe zu lange gebraucht, um zu begreifen, wie sehr, aber das ist schließlich nicht dein Fehler.«
»Was glaubst du eigentlich, wie es war, die Frucht einer katastrophalen Ehe zu sein und damit aufzuwachsen?«, fragte der Sohn.
»Erspar mir dein Selbstmitleid. Ich verabscheue Sentimentalität und du hast nie Grund gehabt dich zu beklagen. Deine Mutter hat dich immer verwöhnt und als mein Sohn ist dir alles auf einem Silbertablett serviert worden.«
»Alles?«, der Sohn brach in ironisches Gelächter aus. »Und was zum Beispiel?«
»Geld, Position, Prestige. Eine gute Ausbildung, Auslandsreisen. Alles. Das Leben. Dein ganzes Leben, mein Sohn! Und du hast alles vertan. Bei allem, was du angefangen hast, hast du versagt, aber ich habe mich geweigert, das zu erkennen, bis es fast zu spät war. Als ich mich zurückgezogen und dir die Leitung der Firma übertragen habe, hast du eine Chance bekommen zu zeigen, was du taugst. Und du hast gezeigt, dass du nichts taugst. Wenn ich nicht aus Spanien zurückgekommen wäre, um das Schlimmste zu verhindern und dafür zu sorgen, dass verkauft wurde, als noch Zeit dazu war, säßen wir beide – du und ich – heute im Armenhaus. Zum Dank hat mich das elende Klima hier umgebracht.«
»Das war nicht mein Fehler, das war die Konjunktur.«
»Unsinn. Unsere Konkurrenz war derselben Konjunktur unterworfen und ist zurechtgekommen. Offensichtlich gut genug, um unsere Firma aufzukaufen. Ich habe dir eine Firma übertragen, die 60 Millionen Kronen wert war, und nach weniger als vier Jahren haben wir mit Müh und Not noch 12 Millionen dafür bekommen. Das nenne ich Führungsvermögen!«
»Es könnte ja auch sein, dass die anderen Firmen in früheren Jahren eine dynamischere Leitung als einen verknöcherten, konservativen, alten Mann gehabt haben«, entgegnete der Sohn aggressiv, warf dem Vater jedoch gleichzeitig einen schnellen, ängstlichen Blick zu.
Der Alte lachte nachsichtig und hustete.
»Sicher, sicher. Aber der alte, verknöcherte Mann hat wenigstens nicht in unbrauchbare Hardware, Schwindelunternehmen, Pferderennen, große Autos und anderen Schwachsinn investiert, und wie bereits gesagt, habe ich uns gerade noch aus der Misere gerettet. Ich sage uns, denn obwohl dir im Moment wohl nicht einmal die Butter auf dem Brot gehört und ich nicht das geringste Vertrauen in deine Agentur habe, bist du noch immer mein Sohn. Und wenn ich sterbe – was bald sein wird –, erbst du, worauf du legal einen Anspruch hast. Ich habe kein Testament gemacht und gedenke nicht dein Erbe zu beschneiden, obwohl du im Lauf der Jahre schon mehr bekommen hast, als dir zusteht, und beträchtlich mehr, als du verdient hast. Du bekommst dein Erbteil unbeschnitten, und wenn ich dich richtig einschätze, wirst du alles in ein paar Jahren durchgebracht haben, aber das ist dann dein Problem.«
»Natürlich werde ich das nicht. Zwölf Millionen, hältst du mich für einen Idioten?«
»Ja, ehrlich gesagt. Übrigens sind es nicht zwölf Millionen, sondern nur sechs.«
»Sechs? Aber du hast doch gerade gesagt, dass ...«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Ich sterbe vielleicht, aber ich bin nicht senil. Das Sommerhaus hast du ja bereits und darüber hinaus sind da zwölf Millionen und das Haus, aber das bringt nicht viel. Es ist nicht mehr schick hier zu wohnen. Wenn ich sechs Millionen gesagt habe, dann deshalb, weil du eine Schwester hast.«
»Was habe ich?«
»Du hast richtig gehört. Eine Schwester – oder besser eine Halbschwester. Ich habe eine uneheliche Tochter.«
Der Sohn starrte ihn ungläubig an. »Eine Tochter? Aus der Zeit, bevor ...?«
»Nein. Sie ist sieben Jahre jünger als du – auf den Tag genau. Und das ist im Großen und Ganzen alles, was ich von ihr weiß. Ich habe sie nie gesehen, aber ich weiß, dass es sie noch gibt.«
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