»Und dein Rücken?«, fragte er. »Was löst da die Schmerzen aus?«
Ich beschrieb die Bewegungen und fügte hinzu: »Aber es kann auch schon wehtun, wenn ich einfach nur sitze, gehe oder alltägliche Dinge tue.«
»Hmm.« Er warf einen Blick auf mein Krankenblatt und die kurze medizinische Vorgeschichte, die in der Aktenmappe notiert war. »Nun ja, die Sehnen und Muskeln sind wahrscheinlich entzündet und drücken deshalb auf die Nerven, was zu Schmerzen und Taubheitsgefühlen führt.« Dann sah er auf und sagte: »Kühlen wäre eine gute Sache.«
Ich blinzelte. Kühlen? Er sagt das, als wäre es eine ganz neue Idee. Hat er nicht mitbekommen, dass ich Turnerin bin? Wir leben von Tapes und Eis.
Er las noch einmal die Notizen und untersuchte meine Handgelenke etwas genauer. Ich wartete gespannt auf die dringend benötigte Klarheit und Anweisung. Endlich nickte er. Ich wappnete mich. Jetzt kommt es …
»Ich denke, die Sehnen sind definitiv überanstrengt«, verkündete er selbstbewusst und klappte die Mappe zu.
»Okay … ja«, stimmte ich zu, während ich versuchte, einen höflichen Ton zu bewahren. »Das Turnen ist sehr anstrengend. Was ich eigentlich wissen möchte ist, ob Sie irgendwelche Vorschläge haben, wie es besser werden könnte oder wie ich mich vor Verletzungen schützen kann.«
Es gibt bestimmt etwas, das ich machen kann, dachte ich. Physiotherapie oder Tipps, was ich tun darf und was nicht. Dehn- oder Kraftübungen. Etwas, was ich an meinem Training verändern könnte!
»Nun, du musst einfach alles ruhen lassen«, sagte er, als könnte er nicht verstehen, warum wir überhaupt dieses Gespräch führten. »Du musst eine Pause machen.«
»Eine Pause … von allem?«, fragte ich. »Können Sie mir nicht sagen, was ich ohne Probleme machen kann und was nicht? Im Turnen ist eine Pause nicht wirklich möglich. Normalerweise machen wir zumindest so viel vom Training mit, wie wir können, während eine Verletzung heilt. Können Sie mir nicht sagen, was ich vielleicht doch tun kann?«
Er blieb standhaft. »Mach einfach eine Pause«, wiederholte er lässig.
Ich versuchte, meine Frustration zu verbergen. »Okay. Wie lange denken Sie, dass es dauern wird?«
»Mmm … ich würde mit zwei Monaten anfangen.«
»Zwei Monate?« Ich schrie fast. »Ich kann nicht einfach zwei Monate Pause machen!« Mühsam versuchte ich, die Fassung zu bewahren, aber diesen Kampf verlor ich schnell.
»Tut mir leid.« Er zuckte mit den Achseln. »Das ist die einzige Möglichkeit.«
Ich öffnete erneut den Mund und schloss ihn wieder, ohne ein Wort zu sagen. Es war zwecklos. Hier würde ich eindeutig nicht weiterkommen.
Mama und ich meldeten uns ab und machten uns auf den Weg zum Auto.
Ich war fustriert. »Das ist doch Blödsinn!« Ich ließ meiner Verzweiflung freien Lauf. »Wir haben noch nicht einmal irgendwas versucht, und er sagt mir einfach, dass ich zwei Monate Pause machen soll?«
Meine Mutter war ratlos. Sie wusste, wie frustriert ich war, aber sie hatte auch keine andere Idee.
»Es tut mir wirklich leid, Schatz«, sagte sie mitfühlend. »Ich weiß aber nicht, was wir sonst tun sollten. Es wäre dumm weiterzumachen, wenn du solche Schmerzen hast. Nichts ist es wert, einen bleibenden Schaden in Kauf zu nehmen.«
Enttäuscht starrte ich auf die graue Fußmatte unseres Wagens. Noch am gleichen Tag bat ich meine Mutter, mich fürs Ballett anzumelden. So würde ich wenigstens die zwei Monate nutzen können, um meine Tanzkünste zu verbessern, damit ich, wenn ich in die Turnhalle zurückkehrte, wenigstens etwas getan hätte, das ich später vielleicht würde gebrauchen können.
In jenen acht langen Wochen fühlte es sich an, als würde die Zeit nicht vergehen. Einmal die Woche ging ich für eine Stunde ins Ballett und fühlte mich total unterfordert. Meine Handgelenke und mein Rücken fühlten sich bald etwas besser an, aber sie waren ganz sicher noch nicht wieder belastbar. Am Ende der zwei Monate hatte ich genug. Ich musste es wenigstens wieder versuchen.
An meinem ersten Tag zurück in der Halle eilte ich in die Umkleidekabine, stellte meine Sporttasche in mein Fach und atmete tief ein. Der vertraute Geruch von Kreidestaub, Lederriemen und verschwitzten Turnanzügen stieg mir in die Nase. Das war es. Hier gehörte ich hin.
Nach zwei vollen Monaten Pause wieder anzufangen brachte meine Frustration jedoch auf ein ganz neues Level. Gib einfach dein Bestes, sagte ich mir immer wieder. An der verlorenen Zeit konnte ich nichts ändern, es war also sinnlos, mentale und emotionale Energie deswegen zu verschwenden. Das Einzige, worauf du Einfluss hast, ist das, was dir heute vor die Füße kommt.
In den nächsten Wochen wiederholte ich dieses Mantra immer wieder und versuchte, das ungute Gefühl in meiner Magengrube zu ignorieren. Mit jedem Training wurden die Schmerzen in den Handgelenken und im Rücken wieder schlimmer. Es war, als hätten die zwei Monate Pause im Grunde gar nichts gebracht. Schon bald wurden meine Daumen wieder taub und morgens erwachte ich mit dem vertrauten Kribbeln im linken Bein. Ich kämpfte gegen die Hoffnungslosigkeit an. Was jetzt? Wir waren bereits in der besten Sportmedizin der Umgebung gewesen, und ich wusste genau, was ich hören würde, wenn wir wieder dorthin gingen.
»Was soll ich nur machen? Ich kann nicht bis in alle Ewigkeit immer wieder zwei Monate Pause machen!«, schnaubte ich nach einem Training verzweifelt. Ich stand mit meiner Mutter an der hüfthohen Wand, die den Elternbereich von dem mit blauem Teppichboden bedeckten Turnbereich trennte. »Es gibt keine anderen Optionen mehr!«
Während ich später meine Übungen beendete und die letzten paar Minuten des Trainings im Überspagat saß, begann meine Mutter, mit der Empfangsdame über das Problem zu sprechen. Als ich dazukam, hörte ich nur noch das Ende ihres Gesprächs.
»Es kann wirklich schwer sein, einen Arzt zu finden, der den Sport gut genug kennt, um hilfreich zu sein«, sagte die Rezeptionistin einfühlsam. Da ihre beiden Töchter als Turnerinnen auf einem höheren Level an Wettkämpfen teilnahmen, hatte sie viel mehr Erfahrung in diesem Bereich. Viele Mütter fragten sie um Rat, wenn sie Bedenken in Bezug auf ihre eigenen Kinder hatten. Jetzt wanderte ihr Blick zwischen meiner Mutter und mir hin und her. »Haben Sie schon darüber nachgedacht, sie mal zu Larry zu bringen?«
Meine Gedanken wanderten ins Jahr 1996 zurück. Ich hab sie, ich hab sie, … ich hab sie. Ich erinnerte mich an den Arzt, der zu Kerri Strug geeilt war, um sich nach ihrem legendären Sprung um sie zu kümmern – der Mann, der hinter der Absperrung gestanden hatte und ihr zu Hilfe geeilt war. Ich hab sie, ich hab sie, … ich hab sie. Das war Larry Nassar. Der Arzt des Olympischen Teams. Der medizinische Spitzenkoordinator für USAG. In der Welt des Turnens war Larry der Experte schlechthin. Sein Buch über Sporttherapie und Konditionstraining wurde als wegweisend erachtet. Turner, die seinen Rat nicht befolgten, taten dies auf eigene Gefahr.
Einmal hatte ich von einer Turnerin aus einem Verein in der Nähe gehört, die sich das Genick gebrochen hatte. Als sie für die Reha zu Larry ging, drückte er sein Entsetzen über ihre mangelhafte Muskelentwicklung aus und fragte: »Haben deine Trainer denn nicht mein Buch gelesen?«
Als sie ihm erzählte, dass sie das Buch wohl hätten, es aber nicht wirklich befolgten, sagte er etwas, was mich zutiefst getroffen hatte, als ich davon hörte: »Wenn deine Trainer meinem Protokoll gefolgt wären, wäre so etwas nicht passiert.« Das Leben einer Turnerin hatte sich für immer verändert durch eine katastrophale Verletzung, die vermeidbar gewesen wäre, hätte man auf Larry gehört.
»Er ist der Beste der Besten.« Die Stimme der Empfangsdame holte mich in die Realität zurück. »Er findet Dinge, die sonst niemand sieht, und kann sie mit Methoden behandeln, die sonst niemand beherrscht.«
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