Unter finanziellen Gesichtspunkten war die Ausstellung eine Enttäuschung. Im London der Nachkriegszeit saßen selbst bei den Verehrern der Kunst Roerichs die Geldmittel nicht so locker, dass sie seine hohen Preise hätten zahlen können. Und Nikolai Roerich, ein hervorragender Kenner des Kunstmarktes, wusste, zu billig durfte er sich keinesfalls verkaufen, sonst hätte er seinen Marktwert auch in besseren Zeiten gedrückt.
Im Sommer 1920 wurde Nikolai Roerich der Vorschlag gemacht, seine Bilder auf eine Wanderausstellung zu schicken, die drei Jahre lang durch 29 Städte der USA gehen sollte. Die Einladung kam vom Direktor des Chicago Art Institute, Robert Harshe, einem Theosophen, der den Künstler gleich auch noch für drei Produktionen der Chicagoer Oper engagieren wollte. Am 2. Oktober 1920 bestiegen er und seine Familie einen Dampfer, der sie in die Neue Welt brachte.
Mahatma Morya und seine Künderin
Amerikanischer Albtraum
Im Oktober 1920 traf das Ehepaar Roerich mit den beiden Söhnen in New York ein. Nicht als Immigranten, sondern mit dem Ziel, so lange zu bleiben, bis genug Geld zusammen war, nach Indien zu reisen und endlich den Mahatmas zu begegnen. Anfänglich ließ sich alles gut an. Es wartete bereits die Presse, die das Schiff enterte, noch bevor die Passagiere durch den Zoll waren, um den bekannten Maler und Mitautor von »Frühlingsopfer« zu interviewen. Doch die Ernüchterung setzte schnell ein.
Bald schimpfte Nikolai Roerich über die Kulturlosigkeit der Einheimischen und die Banalität ihrer Ansichten. Und schlimmer noch, selbst das Geld floss im Land des Dollars nicht wie erwartet. Auch in Amerika herrschte Nachkriegskrise und es gab soziale Unruhen, die mit der ersten großen Hexenjagd der amerikanischen Geschichte, den sogenannten »Palmer Raids« (Palmer’schen Razzien) beantwortet wurden. Kommunisten oder solche, die man dafür hielt, wurden in oft zweifelhaften Prozessen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, und selbst die Flüchtlinge aus dem Land der Oktoberrevolution gerieten automatisch unter Verdacht. Den Reichen und Wohlhabenden stand der Sinn in dieser Zeit nicht nach Geldausgeben, und Roerichs Bilder verkauften sich nur sehr schlecht.
Schon im November wurde klar, von dem Bilderverkauf, wie auch den drei Aufträgen für die Oper in Chicago, würden die Roerichs nicht leben können, und so tauchte ein neuer Plan auf. Am Abend des 4. Dezember 1920 legten die Roerichs ihn zum ersten Mal dar. Zuhörer waren Sinaida und Morris Lichtmann, zwei jüdische Emigranten aus Russland, die zu diesem Zeitpunkt eine kleine und schlecht gehende Klavierschule in Manhattan betrieben. Einige Stunden zuvor hatte Sinaida Lichtmann auf einer Vernissage zum ersten Mal die Bilder Nikolai Roerichs erblickt und »direkt der Unendlichkeit« gegenübergestanden, wie sie Jahrzehnte später schrieb. »Die Roerichs luden uns ein, sie noch an diesem Abend in dem Hotel zu besuchen, wo sie abgestiegen waren. Schon vom ersten Moment sprachen sie davon, die Amerikaner mit russischer Kultur und Kunst bekannt zu machen. N.K. Roerich erzählte von seiner Absicht, eine künstlerisch aufklärerische Einrichtung in Amerika zu gründen, und lud uns ein, an all dem teilzunehmen. Wir sprachen lange bis Mitternacht und erzählten ihm von unserem Leben und unserer musikalischen Tätigkeit und gleichfalls über die verbreitete Abwesenheit kultureller Interessen in der amerikanischen Gesellschaft.
Bereits am folgenden Tag übergab uns Roerich einen konkreten Plan für die Arbeit einer Schule der vereinigten Künste, den er zuvor mit Elena Iwanowna ausgearbeitet hatte. Wir begannen mit der Arbeit an der offiziellen Registrierung der Schule, die 1921 eröffnet wurde.« 1
1921 wurde auch »Cor Ardens« (lateinisch: flammendes Herz), eine Gesellschaft zur Förderung der Kultur, gegründet, die sich vorläufig durch wenig mehr als ihre beiden illustren Ehrenvorsitzenden auszeichnete. Es waren Rabindranath Tagore sowie der belgische Dramatiker Maurice Maeterlinck, ein Verehrer der Kunst Nikolai Roerichs. Die Gründung von Gesellschaften mit wohlklingenden Namen und das Akquirieren von Ehrenvorsitzenden, die nicht immer mit Wissen der so Ausgezeichneten stattfand, sollte ein weiterer Kernpunkt der Tätigkeit Nikolai Roerichs in Amerika werden.
Sinaida Lichtmann war die erste, glühende Anhängerin der Roerichs und eine starke, bestimmende Persönlichkeit, mit der es »keinen Sinn hatte, sich zu streiten«, wie sich ein Mitarbeiter erinnert. 2
Sie stammte aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa, aus einer Weltgegend, in der es periodisch zu mörderischen Pogromen gegen die jüdische Minderheit kam. Sinaida war musikalisch hochbegabt, gab bereits als Kind Klavierkonzerte und siedelte nach ihrem zwölften Lebensjahr mit den Eltern nach Deutschland über, wo sie erst in Berlin und dann in Wien von dem berühmten Pianisten Leopold Godowsky unterrichtet wurde.
Nach dem Tod des Vaters verließ sie 1912 mit ihrer Mutter sowie Morris, ihrem gleichfalls jüdischen und aus der Ukraine stammenden Ehemann, Deutschland und reiste in die USA. Morris stand unter ihrer Fuchtel und sollte zu den neuen, noch bescheidenen, wie auch den späteren weltumfassenden Plänen des Ehepaars Roerich nicht viel mehr als seine Kenntnisse der Kabbala beitragen. Sinaida Lichtmann dagegen sollte zur rechten Hand und wichtigsten Vertrauten der Roerichs aufsteigen.
Vorerst jedoch konnte von großen Plänen keine Rede sein. Die Schule der Lichtmanns ging zwar in der großspurig »Master School of Arts« getauften neuen Einrichtung auf, aber ein Besucher der Räumlichkeiten vermerkte, die Möblierung sei noch 1922 sehr ärmlich und das Piano geliehen gewesen. Es gab so wenig Schüler, dass, um einen besseren Eindruck zu machen, Außenstehende engagiert wurden, Schüler zu spielen, und im Sommer 1922 konnte selbst die Miete nicht mehr bezahlt werden.
Auch die Roerichs gerieten bald in Schwierigkeiten. Das »Hotel des Artistes«, in dem sie in New York untergekommen waren, wollte bezahlt sein, wie auch die Ausbildung ihrer Söhne, die man an den besten Universitäten eingeschrieben hatte. Juri, der ältere, studierte in dem auch damals nicht billigen Harvard und Swjatoslaw, der jüngere, an der renommierten Columbia University in New York.
Die Gebühren hatten die Roerichs gerade noch aufbringen können. Dafür blieben sie die Hotelmiete schuldig, bis das »Hotel des Arts« sie hinausbeförderte. Doch statt die Schulden an das Hotel anzuerkennen, schaltete Roerich einen Anwalt ein. Diesem blieb er so lange sein Geld schuldig, bis der ihm endlich einen Brief schrieb, der mit der ironischen Anrede »My dear Professor« begann: »Nachdem ich lange genug gewartet habe, um mir eine Medaille für christliche Geduld zu verdienen, erlaube ich mir jetzt, Sie daran zu erinnern, dass die 250 Dollar, die Sie mir für meine loyalen Dienste schulden, noch immer unbezahlt sind.« Es folgte eine Liste von elf (!) verschiedenen Streitigkeiten, in denen der »Professor« die Dienste des Anwalts beansprucht hatte. Sechs davon handelten erkennbar von Gelddingen.
»Die Benutzung Ihres Namens durch die Artists League; Sie vs. Johnson wegen $900; der Kredit von Naumburg; der Kredit von Goldberger; der Kredit von Otto Kahn; die Sache Fifth Avenue Bank.« 3Auch waren die Roerichs die Miete der Schule, 312 West 54th Street, schuldig geblieben, und die Fifth Avenue Bank drohte, seine Bilder, die er für einen Kredit von $8000 verpfändet hatte, versteigern zu lassen.
Einer ihrer Jüngerinnen wird Helena Roerich später über diese Schreckenszeit berichten, sie habe zum ersten Mal in ihrem Leben selbst kochen und sogar putzen müssen. 4
Die Roerichs waren 1921 erkennbar im sozialen Abstieg begriffen. Ihnen drohte ein Schicksal wie das vieler weißrussischer Emigranten, die von der Spitze der Gesellschaft ins tiefste soziale Elend abgestürzt waren. Im Berliner Stadtteil Charlottenburg, zu jener Zeit Charlottengrad genannt, drängten sich auf den Bürgersteigen Russen, die ihre letzten Ringe an Passanten verkauften; in Paris schlugen sich ehemalige Großfürsten als Droschkenkutscher durch, und im Hafen von Schanghai machten adelige Fräulein chinesischen Prostituierten Konkurrenz. In Schanghai, wo das europäische Prestige nicht nur durch weiße Prostituierte, sondern auch durch schlichte Bettelei ehemaliger Soldaten und Offiziere erheblich ins Wanken geriet, erwogen die Kolonialmächte sogar, jedem geflüchteten Russen monatlich einen Betrag auszuzahlen, um sie endlich von den Straßen zu bekommen. Doch letztlich siegte der Geiz und die Flüchtlinge wurden ihrem Elend überlassen.
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