Als Yvonne mit ihren Eltern nach mehreren Cocktails und einer ausgiebigen Schlemmermahlzeit beschwingt und gutgelaunt wie schon lange nicht mehr in die Oper fuhr, war sie der Verwirklichung ihrer heimlichen Wünsche näher als je zuvor.
Während der großen Pause genoß sie im Foyer der Oper die bewundernden Blicke der Männer und plapperte aufgekratzt mit ihren Eltern. Und dann entdeckte sie in der Besuchermenge ihre schokoladenbraune Klassenkameradin Babsy.
Sie drängte sich vor, um sie zu begrüßen.
Babsy sah reizend aus in einem leuchtend roten Kleid aus Seidenkrepp: ihre großen schwarzen Augen strahlten, als sie Yvonne begrüßte.
„Ist er nicht wundervoll, mein Daddy?” fragte sie ihre Mitschülerin glücklich. „Er hat die schönste Stimme auf dem ganzen Kontinent!”
„Ja, stellt euch vor”, rief Yvonne, „es war Babsys Vater, der den Othello singt. Ich bin auch restlos begeistert.”
Sie hakte sich bei Babsy ein und steuerte zum Buffet. Beide blieben im gleichen Moment unvermittelt stehen.
„Was ist denn nun schon wieder los?” fragte Herr Holzer, der mit seiner Frau dicht hinter ihnen ging, ärgerlich.
„Da, seht doch … Tweedy!” flüsterte Yvonne ganz benommen.
„Das ist Dr. Herbert Jung, unser Lehrer für Deutsch und Englisch”, erklärte Babsy, „der gutaussehende junge Mann da vorn an der Säule.”
Jetzt hatte auch Dr. Jung seine beiden Schülerinnen bemerkt und verbeugte sich knapp in ihre Richtung. Zum erstenmal sahen sie ihn nicht in einem seiner geliebten sportlichen Anzüge, sondern in einem Smoking, und sie fanden, daß er darin noch besser aussah als sonst.
Yvonne stieß ihre Freundin in die Seite. „Komm, begrüßen wir ihn!”
„Aber das können wir doch nicht!” widersprach Babsy.
„Warum denn nicht? Wenn du dich nicht traust, gehe ich auch allein!”
Yvonne hatte Dr. Herbert Jung schon erreicht. „Das ist aber eine tolle Überraschung”, sagte sie und reichte ihm die Hand, „wer hätte geahnt, daß Sie ein Opernfan sind, Herr Doktor Jung!”
Er lachte. „Ich muß zugeben, auch ich hätte Sie überall eher vermutet als in der Oper!”
Yvonne schlug gespielt die Augen nieder. „Da sehen Sie, wie sehr Sie mich verkannt haben!”
Dr. Jung begrüßte jetzt auch Babsy und machte ihr ein Kompliment für die Leistung ihres Vaters.
Aber Yvonne hatte es eilig, sich wieder in den Mittelpunkt zu drängen. „Darf ich Sie mit meinen Eltern bekannt machen, Herr Doktor Jung?” fragte sie.
Es war ihm nicht anzusehen, ob er diesen Vorschlag freudig oder aus purer Höflichkeit akzeptierte.
Er stellte sein Glas ab und folgte Yvonne, die ihn durch das Gedränge zu ihren Eltern führte.
Herr Holzer hatte inzwischen vier Gläser Sekt und für seine Frau einen Platz an einem der kleinen Tische erobert.
Als Yvonne sie mit ihrem Lehrer bekannt machte, zeigten sich ihre Eltern von ihrer nettesten Seite. Herr Holzer drückte ihm gleich das Glas Sekt in die Hand, das eigentlich für Babsy bestimmt gewesen war.
Dr. Herbert Jung reichte es Babsy. „Für Sie!” sagte er lächelnd. „Ich habe meinen Durst schon gestillt!” Sein herzlicher Blick tröstete Babsy über die Zurücksetzung rasch hinweg.
„Aber Sie werden uns doch die Ehre nach der Oper geben, Herr Doktor?” dröhnte Herr Holzer.
„O ja. Sie müssen uns begleiten!” rief Yvonne. „Gehen wir doch ins Blow up, das ist ein irrer Schuppen! Babsy, du kommst auch mit?”
„Nett von dir, Yvonne”, sagte Babsy, „aber ich habe schon eine Verabredung mit meinem Vater.”
„Ach so, das ist natürlich etwas anderes”, sagte Yvonne, keineswegs betrübt, „aber Sie werden uns begleiten, nicht wahr, Herr Doktor?”
„Nicht ins Blow up, sondern in eine gemütliche Weinstube”, schlug Herr Holzer vor.
„Nein, das kommt gar nicht in Frage!” protestierte Yvonne. „Eine Bar ist das mindeste, was ihr mir bieten müßt.”
„Gut, gehen wir in den Night Club”, entschied ihre Mutter, „dort ist es etwas zivilisierter.”
Dr. Herbert Jung sah keine Möglichkeit, sich dieser dreifachen massiven Aufforderung zu entziehen, ohne unhöflich zu erscheinen.
„Mit Vergnügen”, sagte er also mit einer leichten Verbeugung.
„Wunderbar!” rief Yvonne und warf Babsy einen triumphierenden Blick zu.
Sie schwebte in allen Wolken bei der Vorstellung, mit Dr. Herbert Jung zu tanzen und flirten zu können.
Als Yvonne am späten Sonntagnachmittag auf Schloß Hohenwartau eintraf, stürzte sie auf Ellen und Margot zu.
„Stellt euch vor, was ich gestern erlebt habe!” rief sie. „Ob ihr’s glaubt oder nicht … ich war mit Tweedy tanzen!”
Aber ehe sie die Verblüffung ihrer beiden Mitschülerinnen auskosten konnte, passierte etwas, was sie völlig aus dem Konzept brachte.
Das Auto des umschwärmten Lehrers fuhr in den Schloßhof, und ihm entstieg – Helga. Dr. Jung hatte sein Versprechen gehalten und sie wieder ins Internat zurückgebracht. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete Yvonne, wie Helga sich ihren Koffer herausreichen ließ und sich bei Dr. Jung fürs Mitnehmen bedankte.
„Das ist doch … wahrhaftig die Höhe!” stieß Yvonne empört aus.
Margot pfiff durch die Zähne. „Hui! Unser Tweedy ist ja ein richtiger Casanova.”
„Dieses Biest, dieses gemeine, hinterhältige Biest!” zischte Yvonne, außer sich vor Eifersucht und voller Zorn, weil sie sich um einen Triumph gebracht sah, mit dem sie ganz sicher gerechnet hatte.
Jetzt kam Helga an ihnen vorbei und gab sich Mühe, so unbefangen wie möglich zu grüßen. „Hallo, da sind wir also mal wieder.”
Yvonne vertrat ihr den Weg. „Wie hast du das gedreht?” fragte sie.
„Was?” fragte Helga und merkte, daß ihre Schlagfertigkeit sie im Stich gelassen hatte.
„Daß Tweedy dich irgendwo aufgelesen hat!”
„Er hat mich nicht aufgelesen”, entgegnete Helga kühl, „sondern von zu Hause abgeholt, wenn du es genau wissen willst.”
„Erkläre mir gefälligst …” Yvonne packte ihre Exfreundin am Arm.
„Bei dir piept’s wohl! Seit wann bin ich dir Rechenschaft schuldig?” Helga riß sich los und verschwand durch das Schloßportal.
„Das wird sie mir büßen!” schrie Yvonne und wollte hinter ihr her.
Aber Margot und Ellen hielten sie zurück.
„Nun reg dich bloß nicht künstlich auf”, mahnte Margot, „ist doch ganz egal, wie es Helga gelungen ist, sich in Tweedys Wagen zu schmuggeln. Tatsache ist, sie hat es geschafft. Ehrlich gestanden, ich hätte ihr so viel Schneid gar nicht zugetraut.”
„Schamlos, wie sie ihm nachläuft!” rief Yvonne und stampfte vor Wut mit dem Fuß auf. „Mit mir war er gestern abend aus … ich schwöre es euch, bei allem, was mir heilig ist!”
„Das wird nicht gerade viel sein”, meinte Margot spöttisch.
Inzwischen waren auch Ilse und Uschi mit einem Taxi eingetroffen und gesellten sich zu der Gruppe. Sofort wurden sie aufgeklärt, worüber Yvonne sich so erboste.
„Aber mit mir hat er getanzt! Mit mir!” schrie Yvonne.
„Da kommt Babsy, sie kann es bezeugen!” Sie raste ihr entgegen, packte sie bei der Hand und zerrte sie zu den anderen. „Du warst doch dabei, als Tweedy mich gestern in der Oper angesprochen hat … und mich gebeten hat, meinen Eltern vorgestellt zu werden … und ganz versessen darauf war, nachher mit mir auszugehen! War’s nicht so?”
„Nicht ganz”, sagte Babsy wahrheitsgemäß, „aber immerhin … ungefähr.”
„Jedenfalls war er mit mir tanzen!” Yvonne tippte sich mit dem Finger auf die Brust. „Mit mir! Und mir gehört er. Wehe dem, der mir dazwischenfunken will! Helga soll was erleben!” Sie wandte sich dem Portal zu und stürmte die breite geschwungene Treppe nach oben.
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