Herr von Uttenhofen überraschte Frau Agnes eines Tages mit dem Entschluss: „Ich will mit der Margret Besuche machen! Der Winter zieht ins Land, es gibt in unserem kleinen Städtchen nicht viele, aber doch einige Vergnügungen, die soll sie mitmachen!“
„Und zu welchem Zwecke?“ — keifte die Alte ingrimmig. „Glauben Sie, Herr Professor, die Ballkleider kosten nichts?“
„Gleichviel! Das Opfer muss gebracht werden! Wie soll Margret sonst einen Mann bekommen? Hier im Hause laufen die Freier nicht umher, und es wird doch Zeit, dass wir uns nach einer passenden Partie für das Kind umsehen, denn für ewig können wir sie doch nicht im Hause behalten! Sagst doch selbst, Agnes, dass sie es neulich gewesen ist, die meinen Lieblingsmeerschaumkopf beim Staubwischen zerschlagen hat! — Und den Homer — sagst du — habe sie neben den Horaz gesteckt, wo er doch absolut nicht hingehört ...“
Frau Agnes hatte hoch ausgehorcht. Wie eine Leuchte der Erkenntnis flammte es in ihr auf.
Heiraten! Die Magret muss heiraten — einen anderen Mann als wie den Professor! Ei, du liebe Zeit, dass ihr der ausgezeichnete Gedanke nicht schon längst gekommen war!
Natürlich heiraten! Gab es ein besseres Mittel, sie hier im Hause los zu werden? —
Zum erstenmal seit ihrer Anwesenheit lachte Frau Agnes die junge Schutzbefohlene mit zwinkernden Augen an, als Fräulein von Uttenhofen von dem Boden herunterkam, auf dem sie den Obstvorrat für den Winter auf breiten Strohschichten ausgelegt hatte.
Ja, sie lächelte Margret an, — und doch war dieses Lächeln nur ein Wetterleuchten, das noch böser Zeit voranging.
Der Professor führte die Nichte während des Winters aus, und es gewährte ihm auch eine grosse Genugtuung, dass das junge Mädchen von allen Herren in der lebhaftesten Weise ausgezeichnet und angebetet wurde.
Wo sie sich zeigte, feierte ihre wundersame Schönheit Triumphe, die anderen jungen Damen verblichen neben ihr wie Sterne vor der Sonne, und je begeisterter und glühender die Herren der reizenden Königin der Saison huldigten, um so feindlicher stellte sich die Damenwelt zu ihr.
Neid und Eifersucht spielen in der ganzen Welt eine leider sehr bedeutsame Rolle, nirgends aber eine grössere, als wie in kleinen Städten, wo die Unduldsamkeit gegen Rivalinnen die mannigfachsten und giftigsten Blüten treibt.
In der Regel herrscht in kleinen Städten Herrenmangel, jeder Zuwachs an Damen wird sowieso mit scheelen Augen angesehen; kommt aber gar eine solche sieghafte Schönheit, wie die der Margret von Uttenhofen, die Liebenswürdigkeit, Herzensgüte und viel gutes Wissen mit sich vereinigt, dann schäumen die Wogen der Eifersucht über, und die Maulwurfsarbeit beginnt heimlich, aber emsig ihr Werk, Schlingen und Netze zu legen, um das in den Staub zu stürzen, was den Spiessbürgerinnen und alternden Jungfrauen zu hochgewachsen dünkte!
Rügenfurt war eine kleine Provinzialstadt, die ein Bataillon Infanterie in ihren Mauern beherbergte. Die jungen Offiziere waren wohl die beliebtesten Tänzer, nicht aber Heiratskandidaten, mit denen die Mütter rechneten.
Sie sowohl, wie Väter und Töchter wussten, dass eine Offiziersehe ohne Mittel ein Unglück, dass die zu stellende Kaution eine eiserne, nicht zu umgehende Notwendigkeit ist.
Die Familien jedoch, die derart gestellt waren, dass sie sich den Luxus eines „militärischen“ Schwiegersohnes gestatten konnten, wurden von Jahr zu Jahr spärlicher, denn selbst die Gutsbesitzer der Umgegend hatten mit den schlechten Zeiten zu rechnen.
So sahen es die Ballmütter voll ironischer Gelassenheit, dass der hübsche, ritterliche und wohl auch etwas leichtlebige Leutnant Olmütz sich zum Schatten der reizenden Margret machte, ihr bei jeder Gelegenheit voll glühender Begeisterung huldigte und gar nicht das mindeste Hehl daraus machte, dass er bis über die Ohren in Fräulein von Uttenhofen verliebt war! Mochte er es! Was lag daran?
Wenn auch die schöne Margret noch so heiss bei seinem Anblick erglühte und ihre dunklen Märchenaugen noch so gross und flehend zu ihm emporschauten, wie bei einer Taube, die den Falk über sich kreisen sieht, so lag doch nicht die mindeste Gefahr vor, dass dieser Falk die weisse Taube kraft eines soliden Trauringes entführte, — er hatte nichts, und sie hatte nichts, — und die Weisheit des alten Kerkermeisters aus dem Fidelio, der da philosophiert:
„Wo sich nichts mit nichts verbindet,
Bleibt die Summe immer klein,
Wer bei Tisch nur Liebe findet,
Wird nach Tische hungrig sein!“ —
war mit der Zeit auch bis Rügenfurt gedrungen und zur Überzeugung aller Eltern und heiratsfähigen Töchter gemacht worden. Wohl folgte auch aus den Augen junger Mädchen dem interessanten Olmütz manch grollender Blick, wenn er um der neuen Sonne willen die alten Sterne so völlig vergass, und der armen Margret ward es vollends durch manch spitze Bemerkung und gehässiges Ignorieren kundgetan, dass sie auf die Sympathie der Rügenfurter Gesellschaft, wenigstens auf den weiblichen Teil derselben, nicht im mindesten zu rechnen hatte!
Wenn schon das Echo in der grossen Welt ein sehr weittönendes und indiskretes ist, so scheint es in kleinen Städten direkt in das Reich der Wunder zu gehören, denn auch ohne Telephon hörte man in Rügenfurt ganz genau am nördlichen Ende der Stadt, was am südlichen ganz, ganz leise geflüstert wurde, und was im Osten unter dem Siegel der Verschwiegenheit eine liebe Freundin der andern anvertraute, das pfiffen in der nächsten Stunde im Westen die Spatzen schon auf dem Dach.
Was Wunder, wenn auch Frau Agnes haarklein erfuhr, dass Fräulein Margret auf dem besten Wege sei, sich mit Leutnant Olmütz in eine völlig aussichts- und hoffnungslose Liebschaft einzulassen, dass dies bei einem so heissblütigen und lebenslustigen jungen Mann doch höchst bedenklich sei, und dass es wohl gut wäre, wenn das Fräulein beim Schlittschuhlaufen und auf einsamen Promenaden durch Feld und Wald etwas besser beaufsichtigt würde.
Agnes war wütend.
Darum also wurden die teuren Ballkleider angeschafft, damit die Mamsell Grasaff sich in einem Monsieur Habenichts verguckte, bei dem weder an Verloben noch Verheiraten zu denken ist?
O nein, so hatte sie denn doch nicht gewettet, und es war hohe Zeit, dass sie die Angelegenheit einmal in ihre energischen Hände nahm; denn dass Fräulein von Uttenhofen bis zum Mai oder spätestens Juli unter der Haube und hier aus dem Hause heraus sein musste, das war bei ihr beschlossene Sache.
Sie rupfte voll ingrimmiger Nachdrücklichkeit die fette Ente, die sie just für die Pfanne präparierte, und überlegte, was da am besten zu tun sei.
Vor allen Dingen liess sie die wenigen heiratsfähigen Männer, die Rügenfurt aufweisen konnte, Revue passieren, und weil diese Zahl gar erschreckend klein war, so kam sie schnell zum Schluss.
Der Amtsrichter! der Amtsrichter Hettstädt! Der war der Gesuchte, der Brauchbare.
Ein sehr solider, ernster, gesetzter Herr mit gutem Einkommen und gesicherter Lebensstellung, ein bisschen kränklich freilich, und wie seine Köchin sagte: ein Knickstiefel, der vor lauter Engherzigkeit, Hochmut und Umständlichkeit gar nicht zum Behagen käme! — aber was genierte das Frau Agnes. —
Die schöne Margret, dieser Erzengel an Holdseligkeit, mag ja sehen, wie sie mit ihm fertig wird!
Der Amtsrichter wird’s; — damit basta.
Und die Fleischmasse der Frau Wirtschafterin wälzte sich sofort in das Arbeitszimmer des Herrn Professors — gleichviel, ob derselbe gestört sein wollte oder nicht —, postierte sich sehr selbstbewusst und energisch vor ihn hin und erklärte ihm kurz und bündig, dass das so mit dem Fräulein nicht weitergehe. Der Herr Leutnant Olmütz könne ihr absolut nichts nützen, die Liebelei mit ihm müsse ein Ende nehmen!
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