„Guten Morgen“, erwiderte sie ein wenig zurückhaltend. „Ich wollte eine Runde schwimmen gehen.“ Alexis räusperte sich und fragte verwundert nach: „Hast du etwa hier geschlafen?“
„Ja, deine Couch ist saumäßig bequem.“
Seine Gastgeberin runzelte die Stirn und betrat langsam das Wohnzimmer, während sie die Couch musterte. „Ich dachte, Taylor hätte dir dein Gästezimmer gezeigt.“
„Hat er auch“, bestätigte er.
„Stimmt etwas mit dem Zimmer nicht?“
„Das ist eine lange Geschichte.“ Er winkte ab, weil Cole sicher war, dass Alexis vor Verlegenheit im Boden versunken wäre, wenn er ihr erzählt hätte, dass Taylor und sie Holly mit ihrem lautstarken Sexmarathon aus dem Schlaf gerissen hatten. Er hatte sie erst gestern kennengelernt und im Gegensatz zu ihrer Schwester wirkte Alexis ein bisschen zurückhaltender Fremden gegenüber. „Ich habe deine Schwester kennengelernt.“
Nun blinzelte sie. „Tatsächlich? Du hast Holly kennengelernt?“
„Sie war so lieb und hat mir einen Kaffee gebracht“, erklärte Cole und deutete auf den Kaffeebecher, der neben der Couch stand. „Vor ein paar Minuten ist sie zur Uni gefahren.“
Selbstverständlich vermied er es, Alexis zu erzählen, dass sie beide in der letzten Nacht hemmungslos geknutscht hatten, bevor Holly ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Und sie musste auch nicht wissen, dass ihre kleine Schwester für den Ständer in seinen Boxershorts verantwortlich gewesen war. Seine Gastgeberin sollte ihn schließlich nicht für einen Sexualstraftäter halten, der keine Gelegenheit ausließ, sich an Frauen heranzumachen.
„Ich wusste gar nicht, dass sie heute Nacht hier schlafen wollte.“ Alexis runzelte die Stirn. „Meine Schwester kann manchmal ziemlich spontan sein und weiht mich selten in ihre Pläne ein. Ich hoffe, sie hat dich nicht gestört.“
Abgesehen davon, dass sie ihn aus seinem Bett geworfen hatte und für den wahnsinnigen Kuss verantwortlich war, der ihn nicht hatte schlafen lassen? Nein, abgesehen davon hatte sie ihn nicht gestört. „Wir haben uns ein bisschen unterhalten“, wiegelte er ab. „Über ihre Doktorarbeit und so.“
„Über ihre Doktorarbeit?“ Nun musterte sie ihn skeptisch. Er konnte es ihr nicht verübeln, denn Cole hätte ebenfalls Lunte gerochen, wenn ein halb nackter Typ auf seiner Couch gesessen und behauptet hätte, sich mit seiner rattenscharfen kleinen Schwester nur über deren Doktorarbeit zu unterhalten. Alexis war schließlich nicht blöd.
„Geoffrey Chaucer“, entgegnete Cole wie selbstverständlich. Irgendwie schaffte er es, den unschuldigen Gesichtsausdruck beizubehalten. „Mittelenglische Gedichte wie die Canterbury Tales. Faszinierend.“
„Äh ... ja. Genau.“
Es war Zeit, das Thema zu wechseln, weshalb er freundlich meinte: „Danke, dass ich hier schlafen kann, Alexis. Ich weiß das sehr zu schätzen.“
Sie lächelte schwach. „Nichts zu danken, Cole.“
„Wenn ich dir auf den Keks gehe, musst du es nur sagen.“ Er klemmte sich das Kissen unter den Arm.
„Ich denke nicht, dass es dazu kommen wird.“ Nun wirkte ihr Lächeln entspannter. „Außerdem ist ja auch noch Taylor da, dem du auf die Nerven fallen kannst.“
„Genau. Apropos Taylor“, wollte er leichthin wissen. „Wo steckt der faule Kerl eigentlich?“
„Er schläft noch.“
„Ah.“ Verständnisvoll nickte er.
„Mh.“ Alexis wandte den Blick ab und schob die Hände in die Taschen ihres Bademantels. „Wenn du mich entschuldigen würdest, aber ich glaube, ich schwimme ein paar Bahnen vor dem Frühstück.“
„Viel Spaß. Holly hat mir bereits geraten, mich mit Theresa gut zu stellen, damit sie mir ihre Tamales zubereitet.“
„Da wünsche ich dir viel Glück“, verkündete sie und verdrehte die Augen. „Was ihre Tamales betrifft, ist Theresa sehr zurückhaltend und macht sie nur in absolut seltenen Fällen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche, immerhin bettele ich regelmäßig.“
„Das sollte kein Problem sein“, erwiderte er siegesgewiss und zwinkerte ihr zu. „Es gibt nur wenige Frauen, die mir etwas abschlagen können.“
Alexis hustete bedeutungsvoll. „Wenn du meinst ...“ Sie zeigte auf seinen nackten Oberkörper. „Ach, Cole?“
„Ja?“
„Willst du dir vorher vielleicht etwas anziehen?“
„Wieso? Stimmt etwas nicht?“
„Du trägst lediglich Boxershorts.“
„Und?“
Sie wirkte frustriert, als sie laut seufzte. „So nett dein Anblick am frühen Morgen auch ist, aber in dem Aufzug könntest du dein Geld an einer Stange verdienen und Magic Mike Konkurrenz machen.“
„Ich weiß.“ Er grinste breit. „Und genau deshalb werde ich mich nicht umziehen, schließlich will ich diese Tamales wirklich unbedingt probieren. Welche Frau kann zu diesem Anblick schon Nein sagen?“
Holly kam sich wie eine Einbrecherin vor, als sie leise und vorsichtig den Schlüssel ins Schloss steckte, die Tür einen Spalt aufstieß und ins Innere der Wohnung lugte, um nachzuschauen, ob ihre Mitbewohnerin zu Hause war.
Sie wusste, dass sie sich albern benahm, und sie wusste auch, dass sie Donna nicht ewig aus dem Weg gehen konnte. Außerdem war ihr auch klar, dass es langsam auffällig wurde, wie sehr sie ihre Mitbewohnerin und Freundin mied. Es war das schlechte Gewissen, das sie aus dem Haus trieb, bei Alexis schlafen ließ und Überstunden im Restaurant arbeiten ließ. Und die Extraschicht heute in der Bibliothek hätte auch nicht sein müssen. Ganz sicher nicht an einem Samstag, den sie mit einem Dutzend anderer Dinge hätte verbringen können.
In der Wohnung war es still, was bedeutete, dass Donna nicht zu Hause war.
Geradezu erleichtert schloss Holly die Tür hinter sich und legte ihren Schlüsselbund auf den runden Küchentisch, bevor sie ihre Laptoptasche und ihren Rucksack auf einen der vier Stühle fallen ließ. Während sie aus ihren Flipflops schlüpfte, schnappte sie sich einen Apfel aus der Schale, die auf dem Tisch stand, und lief anschließend zum Kühlschrank, um sich eine Flasche Wasser herauszunehmen. Noch im Stehen begann sie, den Apfel zu essen, und schaute sich dabei in der winzigen gemütlichen Küche um, die sie gemeinsam mit Donna ihr Eigen nannte.
Sie waren vor ungefähr anderthalb Jahren zusammengezogen, hatten die Wohnung gemeinsam renoviert und waren bislang ziemlich zufrieden gewesen. Neben der Küche gab es ein Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer sowie ein Bad, das sogar eine Badewanne besaß. Im Verhältnis zu anderen Wohnungen in dieser Gegend war die Miete recht okay, was vermutlich daran lag, dass der Hausbesitzer auf Renovierungen keinen großen Wert legte. Zwar ließ das Sicherheitssystem ein wenig zu wünschen übrig, aber für den Fall der Fälle stand ein Baseballschläger neben der Wohnungstür, den Holly zu nutzen wusste, schließlich hatte sie sogar noch auf dem College Baseball gespielt und war ein fabelhafter Shortstop gewesen.
Zudem würde nur ein total bescheuerter Idiot hier einbrechen, weil eine Filiale von Dunkin’ Donuts drei Häuser weiter stand und es in der Straße vor Cops nur so wimmelte.
Wer brauchte unter diesen Voraussetzungen eine Alarmanlage? Cops im Zuckerrausch würden jeden Einbrecher sofort überwältigen, bevor Holly auch nur die Möglichkeit hätte, nach ihrem Baseballschläger zu greifen.
Somit waren sie ziemlich sicher, wie sie fand.
Lediglich ihre Mom sah das anders. Auch nach anderthalb Jahren, in denen Holly hier lebte, beschwerte sich ihre Mutter darüber, dass Holly sich lieber eine andere Wohnung suchen sollte – eine Wohnung, die sicherer war und am besten in einem abgeschiedenen Wohnviertel lag, das von einer Sicherheitsfirma rund um die Uhr bewacht wurde. Eine Wohnung, die Holly von dem Geld, das sie im Restaurant verdiente, niemals bezahlen könnte. Aber wie sollte sie ihrer Mutter klarmachen, dass sie von ihrem eigenen Geld leben wollte und nicht von Alexis’ Geld?
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