Sie zuckte mit den Schultern. „Wie man es nimmt – auf jeden Fall sind die guten Arbeitsplätze frei, es ist ruhig und die Präsenzbestände werden vor Ort sein. An Samstagen komme ich mit meiner Arbeit besser voran als in der Woche, wenn sich alle Studenten dort tummeln.“
In seinen Ohren hätte sie eine geheime Aliensprache reden können, er hätte sie auch dann nicht verstanden. „Was für eine Arbeit ist das, bei der du an einem Samstag in die Uni fahren musst, um den ganzen Tag in einer Bibliothek zu verbringen? Studierst du?“
„Eigentlich nicht“, entgegnete Holly. „Mein Studium habe ich bereits abgeschlossen. Ich will in der Literaturwissenschaft promovieren.“
„Du willst einen Doktortitel“, antwortete Cole ruhig.
Er wusste, was es hieß, zu promovieren, schließlich besaßen in seiner Familie alle einen Doktortitel – alle außer ihm. In den letzten Jahren hatte es kaum ein anderes Thema gegeben, wenn er nach Hause gekommen war, um seine Eltern zu besuchen. Erst der Doktortitel seines Bruders und dann der Doktortitel seiner Schwester. Zwar hatte Cole nicht immer besonders intensiv zugehört, aber immerhin hatte er verstanden, dass es ziemlich zeitaufwendig, anstrengend und mühsam war, eine Doktorarbeit zu schreiben. Und besonders clever musste eine Person ebenfalls dafür sein. Allem Anschein nach gehörte auch Holly mit den langen Beinen und dem weichen Kussmund zu denen, die clever genug waren, um in der Schule, am College und an der Uni zu glänzen.
„Ja, das ist mein Ziel, auch wenn es noch etwas dauern wird. Geoffrey Chaucer“, fügte sie hinzu, als würde das alles erklären.
Ebenso ernst widersprach er: „Nein, ich heiße Cole Maddox.“
Amüsiert stieß sie ihn in die Seite, als hätte er gerade einen Witz gerissen. „Wie du heißt, weiß ich, Cole. Mein Thema ist Geoffrey Chaucer.“
„Geoffrey wer? Muss man den kennen?“, wollte er wissen und nahm einen weiteren Schluck Kaffee, während er verfolgte, wie Holly mit der Zunge schnalzte. Für ihn war es leichter, herumzublödeln und den Spaßvogel zu spielen, als zuzugeben, dass er den Namen Geoffrey Chaucer noch nie gehört hatte.
„Chaucer gilt als der Begründer der englischen Literatur“, informierte sie ihn, leichthin. „Er hat die Canterbury Tales geschrieben.“
„Also muss ich ihn nicht kennen?“
„Nicht, wenn du keine Gedichte auf Mittelenglisch magst.“
„Was zum Teufel ist Mittelenglisch?“ Er runzelte die Stirn. „Das klingt nach einer Episode aus Game of Thrones .“
Auch das schien Holly komisch zu finden. „Mittelenglisch ist die Sprache, die im damaligen England zwischen dem zwölften und dem fünfzehnten Jahrhundert gesprochen wurde.“
„Himmel.“ Er stöhnte. „Das ist ja schon ewig her! Und darüber willst du eine Doktorarbeit schreiben?“
„Scheint so.“
Cole schüttelte den Kopf. „Du siehst nicht wie jemand aus, der sich mit uralten Gedichten befasst.“
„So? Wie sehe ich denn aus?“
Grinsend erwiderte Cole: „Das möchte ich lieber nicht sagen. Auf jeden Fall habe ich nicht angenommen, dass du deine Samstage in einer staubigen Bibliothek verbringst, als ich dich gestern Nacht kennengelernt habe. Ich dachte, man könnte mit dir Spaß haben.“
Holly kniff die Augen zusammen, wirkte aber keineswegs beleidigt. „Wer sagt, dass man in einer staubigen Bibliothek keinen Spaß haben kann?“
„Der gesunde Menschenverstand.“
„Ha! Wieso kommst du nicht mit und verbringst den Tag in der Bibliothek?“
Jetzt musste er tatsächlich lachen. „Nichts für ungut, aber ich habe es bereits während der Highschool erfolgreich vermieden, meine kostbare Freizeit inmitten von Büchern zu verbringen. Warum sollte ich also jetzt damit anfangen?“
„Weil ich dabei sein werde.“
Cole legte den Kopf schief. Er war nicht so leicht aufs Glatteis zu führen, wie Holly vielleicht dachte. „Wie wäre es mit einem Gegenvorschlag? Wir vergessen die Bibliothek und verbringen den Tag mit etwas, was wirklich Spaß macht.“
Sie schenkte ihm einen langen Blick. „Lass mich raten: mit Sex?“
„Das hast du gesagt.“ Geradezu verteidigend hob er beide Hände in die Höhe. „Eigentlich wäre ich für den Anfang mit dir nach Venice gefahren oder zum Wandern in die Berge, um Spaß zu haben, aber wenn du direkt loslegen willst ...“ Er ließ den Satz unvollendet und lächelte.
Holly schüttelte den Kopf und erhob sich zu seinem Leidwesen von der Couch. „Tja, so verlockend das Angebot ist, aber ich fürchte, ich muss jetzt wirklich los.“ Sie blinzelte ihm zu. „Du weißt schon – den ganzen Tag in einer staubigen Bibliothek verbringen.“
„Schade. Es wurde doch gerade erst richtig interessant.“
Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust und klopfte mit ihrem rechten Fuß ungeduldig auf den Boden. „Hat deine Flirtmethode schon einmal funktioniert?“
„Willst du die Wahrheit wissen?“
„Unbedingt.“
„Immer.“ Cole grinste breit. „Sie funktioniert immer.“
„Ts!“ Als sie den Kopf schüttelte, fiel ihr eine Strähne ihres kurzen dunkelbraunen Haares in die Stirn. „Ich sage es ja nur ungern, Cole, aber ich denke, dass du bei den Frauen nicht wegen deiner Sprüche landest, sondern wegen deines hübschen Gesichts.“
Er fasste sich gespielt betroffen ans Herz. „Sag das nicht! Ich habe gedacht, dass die Frauen auf meinen Charme, meinen Witz und vielleicht auf meinen Arsch stehen – und jetzt raubst du mir diese Illusion!“
„Du hast ja auch einen tollen Arsch.“
„Also hast du dir meinen Arsch angeschaut?“
Keinesfalls beschämt oder ertappt nickte sie. „Natürlich habe ich das. Er sieht schließlich ziemlich nett aus.“
„Oho.“ Er nickte ihr zu. „Wer flirtet denn jetzt mit wem?“
Anstatt zu antworten, hob sie eine Hand und winkte lässig. „Es war echt nett mit dir, Cole, aber ich muss wirklich los.“
„Danke für den Kaffee.“
„Danke fürs Bett. Man sieht sich.“
„Das hoffe ich doch.“
Ihr heiseres Lachen war noch zu hören, als sie das Wohnzimmer bereits verlassen hatte.
Cole sah ihr nach, bis sie verschwunden war, und blieb ein paar Momente sitzen, während er darüber nachdachte, dass es lange her war, dass er ein derart lockeres Gespräch mit einer Frau geführt hatte. Holly war ziemlich cool. Auf jeden Fall war sie sehr viel cooler und zugänglicher als alle anderen Akademiker, die er kannte. Normalerweise konnte er mit Leuten, die ihre Freizeit in Bibliotheken verbrachten, nicht viel anfangen.
Wie er aus eigener Erfahrung wusste, konnten Akademiker richtige Arschlöcher sein, die sich selbst gerne für die klügsten und wichtigsten Exemplare der gesamten Menschheit hielten und anderen das Gefühl gaben, ihnen überlegen zu sein. Sein Bruder gehörte in diese Kategorie hinein, weshalb es Cole mittlerweile mied, ihn allzu oft zu treffen, schließlich ließ Carl ihn bei jeder Begegnung wissen, dass er so viel cleverer war als er und dass seine Arbeit so viel bedeutsamer war als Coles Job.
Gähnend erhob er sich, fuhr sich über das Gesicht und schlug anschließend die Bettdecke aus, die er sich gestern aus Hollys eigentlichem Zimmer gemopst hatte. Anschließend faltete er sie zusammen, weil er sie zusammen mit dem Kopfkissen nach oben bringen wollte.
Bevor er jedoch seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, stand Alexis in der Tür zum Wohnzimmer und sah ihn fragend an.
„Guten Morgen“, begrüßte er sie fröhlich und kam nicht umhin, zu bemerken, wie unterschiedlich die beiden Schwestern aussahen. Die blonde Alexis, die mit nackten Füßen vor ihm stand und sich einen Bademantel eng um die Taille gebunden hatte, war erheblich kleiner als ihre jüngere Schwester und wirkte femininer als die burschikose Holly mit ihren kurzen Haaren und dem sportlichen Körper. „Du bist ziemlich früh wach.“ Auf jeden Fall war sie ziemlich früh auf, wenn man bedachte, dass sie in der vergangenen Nacht wenig Schlaf bekommen hatte.
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