Alle sechs gingen darauf nach Hause. Daheim erzählten sie’s ihren Frauen, und die brachten’s weiter, so dass noch selbigen Tags alle Einwohner von dem kühnen Aufschwunge hörten, den das entlegene Fleckchen Erde mit einem Male nehmen sollte. Und manches Herz hüpfte da schon vor Freude.
Es hiess sogar, dass ein altes Grossmütterchen, welches — wie alle wussten — die Gabe hatte, in die Zukunft zu sehen, den prophetischen Ausspruch getan, dass Krummbach in den nächsten Jahren schon einer der grössten Kurorte des Landes sein würde. Und das will etwas heissen.
Dem Schneider Zwirn wurde vom Gemeinderat der kaufmännische Teil des Brunnengrabens übergeben. Er war auch kaum zu Hause in der Stube angelangt, als er die Pritsche abräumte, Feder und Papier aus dem schiefen Kasten hervorholte und sich ans Schreiben machte. Er schrieb nach Sunnentorn „wegen dem Geld“. Bei der Tür stand seine Frau, das Jüngste auf dem Arm, und schaute ihm aus einiger Entfernung ehrfürchtig zu. Auch sie ahnte, dass Wichtiges im Gange war.
Als das Schreiben fertig war, nahm der Schneider abermals Stock und Hut und entfernte sich eilig. Sie sollten sehen, die von Krummbach, welche Arbeitskraft und Tüchtigkeit in ihm wohnten, so dachte er, als er die lange Dorfstrasse hinabschritt, der Kirche zu. Dort in der Nähe wohnte der Grausengusti, und den suchte er. Als er bei dem kleinen Häuschen angekommen, klopfte er flüchtig und herrisch an. Weil man ihm nicht sogleich öffnete, besorgte er dies selbst und trat ins Innere. Doch da schoss der schwarze Hund des Grausengusti, der allein zu Hause war, und der keine Ahnung hatte, wer vor ihm stand, mit wütendem Gekläff auf den Schneider los. So kam es, dass der Zwirni-Schneider, wie sie ihn im Dorfe nannten, noch schneller draussen als drinnen war und die Tür hinter seinem Rücken fest und sicher ins Schloss schlug.
Darauf ging er ins Nachbarhaus und fragte nach dem, den er suchte. Dort sagten sie ihm, dass der Gusti nicht zu Hause sei. Er „schaffe danieden auf der Föhnimatt“, hiess es, und komme nicht vor dem Abend zurück.
Das war die erste Schwierigkeit. Da musste der Schneider wohl oder übel seiner Ungeduld Zügel anlegen. Er liess Bescheid, der Gusti solle ihn, sowie er nach Hause komme, aufsuchen, er habe eine wichtige Sach’ für ihn.
Als der Gusti am Abend kam, hatten die beiden eine lange Sitzung, an derselben Pritsche, an der der Brief an die Bank in Sunnentorn geschrieben wurde.
„Was sagst dazu, Gusti,“ begann der Schneider, ,,wir graben jetzt einen tiefen Brunnen, und du bist unser Brunnenmeister, und fünfzig Batzen hast alle Tag.“
Der Gusti, der ordentlich nach Schnaps roch, sagte vorläufig nichts; er pfiff scharf durch die Zähne und sah den Zwirn ungläubisch an. Aber da der schwieg und auf eine Antwort zu warten schien, so meinte er:
„Jo, wo wollt ihr da den Brunnen graben?“
„He im Dorf natürlich, so beim Misthaufen vorm ,Gesprungnen Krug‘.“
„So — ich hab’ gedacht, man sollt da graben, wo’s Wasser hat.“
„Jo, meist du, es hab’ nit überall Wasser?“
„Das mein’ ich.“
Einen Augenblick kam es da an den Zwirni-Schneider wie Angst; Angst vor etwas Unbestimmtem. Doch dann schüttelte er das Gefühl der Schwäche rasch von sich ab. Er sagte in überlegenem Tone:
„Schwatz doch nit so narrechtig, Gusti. Es muss da überall Wasser genug haben.“
Und wieder pfiff der Grausengusti durch die Zähne und schwieg. Aber der Zwirn drängte:
„Weisst du etwas, womit man ’s Wasser auffinden kann?“
„Jo, selb’ wüsst’ ich schon.“
„Also, morgen früh gehst gleich dran und suchst den Pratz; aber mach’ nur, dass er auch in die Mitte vom Dorf kommt.“
„Das geht nit. Ich muss zuerst auf der Föhnimatt meine Arbeit fertig machen.“
Da brauste der Schneider auf:
„Nit von dem. Der danieden soll seine Arbeit machen lassen, wo er will. Morgen suchst ’s Wasser.“
Nur ungern tat das der Gusti. Es war ihm nicht recht, den „Föhnimättler“ einfach sitzen zu lassen. Er ärgerte sich. Aber was konnte er mehr tun?
Und weil er sich am andern Morgen immer noch ärgerte, trank er einen Schnaps mehr als gewöhnlich, dazu noch einen gehörigen. Dann ging er in den Wald und schnitt sich eine Wünschelrute.
Doch als er damit wieder dem Dorfe zuschritt, war in ihm der Ärger noch grösser geworden, ihm wollte die Sache nicht recht gefallen. Zudem fühlte er, dass ihn der lästige Durst noch mehr plagte als an andern Tagen, mit Nägeln und Sporen kratzte er ihm den Hals hinauf. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Grausengusti zuerst im „Kreuz“ einkehrte und dann in der „Krone“ und dabei jedesmal ins Glas hineinguckte. Weil das nun diesmal auf Gemeinderechnung kam, bestellte er sich immer ein grosses Glas. Als er die „Krone“ verliess, war er schon ordentlich befrachtet, doch nichtsdestoweniger tat er seine Pflicht. Er hielt die frischgeschnittene Wünschelrute zwischen den Fingern und sah voller Andacht und Aufmerksamkeit auf ihre Blätter nieder. Denn wenn sie sich neigten, dann war dies ein sicher Zeichen, dass er auf einer grossen Wasserader stand. Er ging und suchte und schimpfte und schwor dabei; aber weder links noch rechts schwenkte er die Augen, auch dann nicht, wenn er selbst manchmal ins Schwanken kam.
So näherte er sich dem „Gesprungenen Krug“.
Dort stolperte er über einen Stein und fiel auf die Strasse, so lang er war — dies behauptete wenigstens der Garzam-Juli —; der Gusti aber sagte, die Wünschelrute hätte ihn an den Boden gezogen. An jener Stelle müsse eine „meineidig“ grosse Wasserader sein, und wenn sie nicht dort sei, dann sei überhaupt keine da, denn so habe ihn das Wasser noch nirgends angezogen.
Dabei blieb er und ärgerte sich hinfort nicht mehr. Denn er selbst war nun überzeugt, dass ein unterirdischer Quell unter dem Dorfe vorbeirollte.
Zur nicht geringen Freude des Ammanns und zur Befriedigung des Schneiders war der Platz, wo der Gusti umfiel, gerade neben dem Misthaufen vom ,,Gesprungenen Krug“.
Als der Grausengusti sich wieder erhoben hatte, nahm er die Wüuschelrute, welche er beim Fallen festgehalten, am untern Ende und zeichnete damit auf die Strasse einen Kreis, der mehr oder weniger rund war.
Selbstverständlich war der Zwirni-Schneider dem Brunnensuchen nicht ferngeblieben. Er folgte dem Grausengusti stets auf dem ganzen Gang durchs Dorf in kaum zwei Schritte Abstand. So war er auch einer der ersten, die sahen, wie der Gusti den Brunnen auf den Boden zeichnete. Als er bemerkte, dass dies nun gerade der Ort war, den er im Gemeinderat als den rechten und den geeignetsten bezeichnet, glaubte er wie nie zuvor in seinem Leben an seine eigene Unfehlbarkeit. Einen kleinen Kummer hatte er nur bei dem Gedanken, dass sich vielleicht nicht alle Gemeinderäte seiner Worte von der Sitzung erinnern möchten. Darum unterliess er es auch nicht, jeden einzeln, der Reihe nach, wie sie ankamen — das dauerte nicht lange, da die Kunde wie ein Blitz durchs Örtlein flog —, daran zu erinnern.
Als der ganze Rat von Krummbach und alle Männer und Frauen und Kinder, soweit sie nicht krank waren und marschieren konnten, ausserhalb des Kreises standen, und der Grausengusti drinnen, da sagte der letztere nochmals mit grosser Überzeugung:
„Da niedenvor muss es meineidig viel Wasser haben, denn so hat’s mich an der Wünschelrute noch bei keinem Brunnen z’Boden gerissen.“
Mehr wusste der Gusti nicht zu sagen; aber das genügte auch vollauf, um einen tiefen Eindruck auf alle Anwesenden zu machen.
Und weil nun der Grausengusti schwieg, glaubte der Schneider es ja nicht versäumen zu dürfen, vor dem ganzen versammelten Volke auch seine Stimme erschallen zu lassen. Ähnlich wie tags zuvor im Gemeinderat, so sprach er da abermals in wohlgesetzten und kräftigen Worten vom Werte des künftigen Brunnens. Er sprach eine gute Weile und ohne Pause. Und eine Stille war ringsum, wie sie noch kein Pfarrer in der Krummbacher Kirche je erlebt hatte.
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