Die evangelische Kirche und der Glaube an Gott spielten in Elsa Kleebergs Leben eine große Rolle; sie besaß auch eine umfangreiche Bibliothek, in der sich zahlreiche religiöse Schriften befanden. 101Gleichwohl wuchs sie in einem sehr liberalen Elternhaus auf. Ihr Vater, Stadtrat Friedrich Richard Kleeberg, war Freimaurer und Meister vom Stuhl. 102Auch ein Treuegefühl gegenüber dem sächsischen König bestand im Hause Kleeberg. Elsa Kleeberg liebte das Reiten und das Spielen am Klavier, 103auch war sie eine begeisterte Schützin und der Jagd zugetan. 104
Das junge Paar fühlte sich sehr zueinander hingezogen 105, und die beiden entschieden sich schnell, ihr zukünftiges Leben miteinander zu teilen. Bereits 1906 verlobten sie sich, konnten jedoch nicht gleich heiraten. 106
Leutnante und Oberleutnante bezogen nur ein sehr bescheidenes Gehalt, mit dem sich keine Familie ernähren ließ. Andererseits war die Stellung eines Offiziers in der Gesellschaft jedoch so bedeutend, dass auf solide finanzielle und familiäre Verhältnisse größten Wert gelegt wurde. Somit war es Offizieren unter dem Rang eines Hauptmanns verboten, zu heiraten. Allerdings konnten Ausnahmen genehmigt werden, wenn der heiratswillige Offizier nachwies, dass er aus anderen – moralisch vertretbaren und legalen Mitteln – über ausreichende Ressourcen verfügte, um eine Familie ernähren zu können. 107Da seine zukünftige Frau vermögend war, wurde die Heirat des Leutnants gestattet. 108Am 21. Mai 1907 heiratete Witzleben Elsa Kleeberg in der Kirche zu St. Jakobi in ihrer sächsischen Heimat Chemnitz. 109
Das Paar zog zusammen und lebte gemeinsam in Liegnitz. Als Tochter eines erfolgreichen Seidenfärbereibesitzers bekam die junge Frau eine große Aussteuer mit in die Ehe. Dazu gehörten neben zahlreichem Mobiliar auch größere finanzielle Mittel.
Die Eheleute ergänzten sich in vielfältiger Hinsicht. Witzleben bestand in seiner Ehe nicht auf einer einseitigen, patriarchalischen Führung. So war beispielsweise seine Frau diejenige, die fortan im Witzleben’schen Haushalt für die Verwaltung der Finanzen zuständig war, ungewöhnlich für die damalige Zeit. 110Dank der finanziellen Ausstattung war es Witzleben möglich, eine eigene Jagd zu pachten. 111Gemeinsam teilten beide die Freude am Klavierspielen; ein großes schwarzes Piano blieb jahrzehntelang gern genutztes Inventar. 112In dieser Zeit wurde Witzleben von einem Kameraden als jemand beschrieben, der »klar, gerade, immer verbindlich kameradschaftlich« war und sich »nie in den Vordergrund« drängte. 113
Am 8. März 1908 kam in Liegnitz das erste Kind, Eva Maria Edelgarde Charlotte Amalie, zur Welt. 114Die Kleine wurde fortan »Edel« gerufen. 115Einige Monate später wurde Witzleben in das Bezirkskommando nach Hirschberg kommandiert, blieb aber formal Angehöriger seines Regimentes. 116Die Bezirkskommandos waren den jeweiligen Generalkommandos unterstellte Militärbehörden, vor allem zuständig für die Überwachung der Wehrpflicht und Rekrutierungsfragen. 117Hier kümmerte sich Witzleben auch um die Veteranen seines Regiments. 118
Die Familie siedelte von Liegnitz nach Hirschberg über. Dort wurde am 3. Juli 1909 das zweite Kind geboren, Job Wilhelm Georg Richard Erwin. 119Und nach neun Jahren als Leutnant erfolgte schließlich am 26. Juni 1910 mit 28 Jahren Witzlebens Beförderung zum Oberleutnant. 120
Am 6. November 1911 wurde er in Hirschberg verabschiedet, um anschließend wieder zu seinem Regiment zurückzukehren. Die Familie zog nach Liegnitz zurück. 121In den folgenden Jahren diente Witzleben in sechs Kompanien seines Regiments. 1221913 wurde der Oberleutnant dort so sehr gefordert, dass er auch seine Teilnahme am 23. Familientag – der am 22. November 1913 in Berlin stattfand – aus »dienstlichen Gründen« 123absagen musste. Witzleben war bereits 1908 dem Witzleben’schen Familienverband beigetreten. 124
Sein Privatleben war in dieser Zeit nicht ohne Probleme: Nach der Heirat kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Mutter und Schwiegertochter, die bis zum Tode der Mutter 1925 anhielten. Witzlebens Tochter vermutete später, dass sich die Schwiegermutter in die Familienführung der jungen Schwiegertochter einmischte. Erschwerend kam hinzu, dass sie alle in der Kleinstadt Liegnitz lebten. Witzleben war das einzige lebende Kind seiner verwitweten Mutter, und Elsa von Witzleben besaß einen ebenso starken Charakter wie ihre Schwiegermutter. Witzleben hat unter den Auseinandersetzungen, zu denen es zwischen den beiden kam, sehr gelitten, war jedoch nicht imstande, sie zu beenden. 125
Abgesehen davon war seine Ehe nach dem Zeugnis der Tochter und dem von Freunden sehr glücklich. 126Witzleben liebte seinen Beruf und darin die Ausbildung von jungen Soldaten, aber nicht minder genoss er auch das Leben mit der Familie. Mehrere Urlaubsaufenthalte, sowohl an der Ostsee in Bansin als auch im Thüringer Wald, der alten Heimat der Großfamilie, erlebte er in diesen Jahren. Das Paar reiste auch nach Berlin und verbrachte dort einen vergnügten Urlaub. 127
Es war die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der Deutschland – zur Großmacht aufgestiegen – prosperierte und der Wohlstand in Frieden von der jungen Familie genossen werden konnte. In diesen Jahren wuchsen die beiden Kinder heran. Elsa von Witzleben war in der für diese Zeit selbstverständlichen Rollenverteilung für ihre Erziehung verantwortlich. So war sie diejenige, die mit den Kleinen abends vor dem Schlafengehen betete und sang. Allerdings war sie strenger mit den Kindern als ihr Mann, 128achtete aber auch auf liebevolle Fürsorge, sodass sie bis zu ihrem Tod 1942 zu Tochter und Sohn ein gutes Verhältnis bewahren konnte. Wenn es sich zeitlich ergab, dann brachte auch der Vater die Kinder abends zu Bett und betete mit ihnen. 129Solange sie noch nicht erwachsen waren, blieb der Sonntag »Elterntag«. Die Eltern spielten mit Tochter und Sohn und gingen mit ihnen spazieren. 130
2. Kapitel
Der Erste Weltkrieg
Der Krieg bricht aus – 1914
Am 1. August 1914, kurz vor acht Uhr abends, überbrachte der deutsche Botschafter in Moskau, Friedrich Graf von Pourtalès, dem russischen Außenminister Sergei Dmitrijewitsch Sasonow eine Note seines Kaisers. Sie enthielt die Botschaft, dass sich das Deutsche Reich mit Russland im Kriegszustand betrachte. Wenige Stunden später überschritten erste russische Truppen die ostpreußische Grenze. 131Den Mittelmächten (Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und Türkei) mit rund 9,8 Millionen Soldaten standen die Alliierten (Großbritannien, Frankreich, Italien, Montenegro, Serbien, Rumänien und Russland) mit rund 13 Millionen Soldaten gegenüber. 132
Am 11. August 1914 zog Witzleben ins Feld und mit ihm dreißig weitere Angehörige der Witzleben’schen Familie. 133Der Oberleutnant hatte sich zu Beginn des Krieges entschieden, fortlaufend ein Tagebuch für seine Kinder zu führen, denn ihm war bewusst, dass der Krieg ein besonderes Erlebnis sein würde. 134
Als er ins Feld rückte, war seine Kriegsbegeisterung im Vergleich zur Stimmung anderer etwas gedämpfter, trotzdem wird aus seinen Worten in diesen Tagen deutlich, mit welch positiven Gefühlen der Offizier an die Front zog. 135Witzleben sah sich in einer Reihe mit seinen Vorfahren, die im Krieg gewesen waren. Die Bewährung im Kampf mit der Waffe, das Beweisen von Mut und Tapferkeit und das Siegen waren die Bezugspunkte in seinem Fühlen und Denken. 136Witzleben hinterfragte die Notwendigkeit des Krieges nicht, sondern er akzeptierte sie. 137Zwar ging er davon aus, bald wieder zu Hause zu sein, aber der Abschied von seiner 29 Jahre jungen Frau und seinen zwei kleinen Kindern fiel ihm sehr schwer. 138
Im Eisenbahntransport ging es in den nächsten zwei Tagen direkt an die Westfront. Witzlebens Mobilmachungsbestimmung sah ihn als Adjutant der 19. Reserve-Infanterie-Brigade vor, die noch in Liegnitz aufgestellt worden war. 139In seiner Funktion sollte der Offizier das erste Mal eine größere Übersicht über die Aufgaben, die Herausforderungen und das Wirken auf Brigade- und Divisionsebene erhalten. Im Laufe des Krieges steigerten sich diese Lernmöglichkeiten noch in anderen Verwendungen.
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