»Hast du in der Nähe des Autos jemanden gesehen?«, fragte Høyer. »Einen Mann oder ein Mädchen?«
»Nein«, antwortete der Junge. »Aber es war ein Mann im Auto.« Wieder mit Betonung auf ein , so als wolle er ganz besonders genau sein.
»Das konntest du aber doch von da hinten bestimmt nicht so genau erkennen«, wandte Høyer vorsichtig ein.
»Doch, als er unten auf der Straße vorbeifuhr. Er ist ein Stück rückwärts gefahren, hat dann gedreht und ist dann vorbeigefahren und es war ein Mann.«
»Konntest du auch erkennen, welche Farbe der Wagen hatte?«, fragte Høyer.
Der Junge nickte. »Es war ein roter Mazda.«
Høyer blieb vor Verblüffung fast die Spucke weg, aber der ilektrische Indianer schien überhaupt nicht zu bemerken, welchen Eindruck seine Enthüllung gemacht hatte.
»Bist du sicher?«, fragte Høyer. »Kennst du dich denn mit Autos aus?«
»Ja«, sagte der Junge.
»Und du bist sicher, dass es ein Mazda war?«
Der Junge nickte eifrig. »Ja, ein roter Mazda wie der von meinem Onkel, nur dass der grün ist.«
»Was für ein Auto ist das da?«, fragte Høyer und zeigte auf sein eigenes Auto.
»Ein altes«, meinte der Junge.
Høyer schmunzelte. »Ja gut, aber was für eine Marke?«
»Ein Toyota.«
Der ilektrische Indianer gab ohne zu zögern Auskunft über alle Automarken, die sie sehen konnten, und Høyer musste zugeben, dass er an einen Experten geraten war.
Therkelsen holte seinen Notizblock heraus und studierte ihn einen Moment lang.
»Dann hätten wir noch die beiden Häuser da, Bach«, sagte er. »Das weiße auf der rechten Seite übernehme ich und du kannst dann das nächste nehmen, was meinst du?«
»O.k.«, erwiderte Bach. »Meinst du, du bist in einer halben Stunde fertig?«
»Bestimmt«, sagte Therkelsen ein wenig müde. »Warum sollten sie mehr zu sagen haben als die anderen?«
»Du hast Recht, es wäre gelogen, wenn man behaupten würde, wir hätten eine Menge herausgefunden«, sagte Bach. »Aber wir haben ja noch zwei Chancen.«
Therkelsen, Larsen und Bach hatten die Gäste des Fests untereinander aufgeteilt. Angefangen hatten sie auf dem Hof, auf dem das Fest stattgefunden hatte, und dort die Namen und Adressen aller Jugendlichen bekommen, die dabei gewesen waren. Therkelsen hatte den Eindruck, dass sie alle gleich aussahen. Jeans und T-Shirts, die gleiche Frisur, die gleiche Art sich auszudrücken. Im Übrigen hätten es auch seine eigenen Kinder sein können. Er fand, dass die Jugendlichen von heute in einem verblüffenden Maße uniformiert waren.
Bach parkte den Wagen vor der Einfahrt.
»Ach, du lieber Gott!«, rief er entsetzt aus. »Nur gut, dass ich da drüben reinmuss.«
Ein riesiger Hund kam bellend auf den Wagen zugelaufen.
Therkelsen grinste. Er wusste, dass Bach alles andere als ein Held war, wenn es um Hunde ging, und er fand es ein klein wenig komisch, dass sich ein erwachsener Mann von einem kleinen Hund einschüchtern ließ. Aber hier handelte es sich in der Tat um einen ausgewachsenen Brocken, und wenn er sich nicht darauf verlassen hätte, dass Hunde ihn im Allgemeinen mochten, hätte er vielleicht auch Bedenken gehabt, sich zu ihm hinauszuwagen.
»Hol mich einfach hier ab, sobald du fertig bist«, sagte er zu Bach, während er die Tür öffnete. »Wenn du mich nicht finden kannst, bin ich bestimmt aufgefressen worden!«
Er stieg aus dem Wagen und Bachs Augen verfolgten ihn besorgt. Erst als er sah, dass Therkelsen sich bückte und den Hund streichelte, dem dies offensichtlich zu gefallen schien, ließ er den Wagen wieder an.
Therkelsen sah auf die Uhr, während er darauf wartete, dass jemand auf sein Klopfen reagierte. Halb neun. Es würde spät werden, ehe sie an diesem Tag zum Ende kommen würden.
Die Tür wurde von einem etwa sechzehn Jahre alten Mädchen mit hellen Haaren geöffnet. Die gleiche Kleidung wie bei allen anderen, mit denen er gesprochen hatte. Therkelsen seufzte innerlich. Es kam ihm vor, als würde er schon jetzt den Ausgang des Gesprächs kennen. Aber da irrte er sich.
»Ja, ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat«, sagte das Mädchen plötzlich. »Aber ich bin jemandem begegnet, der etwas seltsam war.«
»Wann?«, fragte Therkelsen.
»Auf dem Heimweg«, erklärte sie. »Aber das war noch bevor Birthe gegangen ist. Ich muss immer schon um eins zu Hause sein. Das ist ein bisschen blöd, aber ich habe mich daran gewöhnt.«
»Folglich bist du ungefähr um zehn vor eins aufgebrochen«, sagte Therkelsen und warf einen Blick in seine Notizen.
»Ja also, wenn ich ehrlich sein soll, war es wohl schon eins, als ich losfuhr.«
»Mit dem Fahrrad?«
»Ja.«
»Und was ist dann passiert?«
»Also, als ich fast schon zu Hause war, etwa auf der Höhe der großen Pappel, wissen Sie, war da ein Auto, das neben mir anhielt, und der Fahrer beugte sich herüber, kurbelte das Fenster herunter und fragte, ob ich mitfahren wolle.«
»Demnach kam er von hinten?«
»Ja, und das Eigenartige war, dass er ganz plötzlich da war. Ich hatte weder ein Auto gesehen noch gehört, so dass ... Es kam mir irgendwie so vor, als hätte er irgendwo gestanden und gewartet.«
»Hm, hm«, sagte Therkelsen. »Konntest du ihn sehen?«
»Nein, nicht richtig. Ich glaube, er war jung. Und er sprach wie einer aus der Stadt. Ein bisschen hochtrabend, wissen Sie?«
»Wie ging es dann weiter.«
»Ich sagte, dass ich fast zu Hause sei. Aber er ist weiter langsam neben mir hergerollt, so als würde er mich mit dem Auto ein wenig bedrängen, verstehen Sie? Das hat mir absolut nicht gefallen, aber dann kam Dingo angelaufen und machte einen ziemlichen Radau und der Typ ist endlich abgehauen.«
»Dingo, ist das der Hund, dem ich draußen begegnet bin?«, fragte Therkelsen.
»Ja«, sie nickte. »Meine Eltern sperren ihn immer aus, bevor sie ins Bett gehen. Vor allem, wenn ich in der Stadt bin. Er ist ja groß und auch ein wenig bissig. Es ist ein Riesenschnauzer.«
Therkelsen nickte. »Du hast nicht zufällig darauf geachtet, was das für ein Auto war?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, mit Autos kenne ich mich nicht besonders aus. Ich erkenne nicht einmal unser eigenes Auto. Ich meine, wenn ich eines von der gleichen Marke sehe.«
»Die Farbe konntest du auch nicht erkennen?«
»Nein, es war ja dunkel und es war auf jeden Fall ein dunkles Auto, aber ich weiß nicht, welche Farbe es hatte.« Therkelsen saß da und dachte nach. Er hatte das Gefühl, dass der Hund einen riesengroßen Knochen verdient hatte.
Das Mädchen sah ihn an.
»Könnte er das gewesen sein?«, fragte sie. »Glauben Sie, dass er es war?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Therkelsen. »Aber an deiner Stelle wäre ich mächtig froh, dass es den Hund gibt.«
Pastor Villadsen löschte das Licht in der Kirche, ging in die Vorhalle und nahm seinen Regenmantel, den er hier draußen auf der Bank abgelegt hatte. Er ging zur Tür, öffnete das große Kirchenportal einen Spalt breit, um zu schauen, ob es immer noch regnete, und begann dann seufzend, sich den Regenmantel anzuziehen. Es hatte ganz den Anschein, als würde es bis in alle Ewigkeit weiterregnen.
Er knöpfte den Regenmantel sorgfältig bis zum untersten Knopf zu, löschte anschließend das Licht in der Vorhalle, ging hinaus und ließ die schwere Tür hinter sich mit einem Knall, der auf dem verlassenen Friedhof widerhallte, ins Schloss fallen. Dann drehte er den großen schmiedeeisernen Schlüssel im Schloss, zog ihn heraus und blieb einen Augenblick stehen, während sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Das ist auch so ein Gebrechen, das das Alter mit sich bringt, dachte er. Man wird immer nachtblinder. Tante Dagmar, die gute Seele, behauptete zwar steif und fest, dass es an zu viel Tabak und zu wenig Möhren läge, aber sie hatte ja immer die wüstesten Ideen. Nein, es war das Alter, und damit basta. Man hörte nicht mehr so gut, man sah nicht mehr so gut und man roch wahrscheinlich auch nicht besonders gut, dachte er mit einem säuerlichen Grinsen.
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