»Haben Sie schon gehört, Lefty«, wechselte Gregory sprunghaft das Thema, »Barry Wallner ist tot.«
››Ich habe es noch nicht gehört, Sir«, erwiderte ich.
»Wie gut haben Sie ihn gekannt?«
»Gut genug, um nicht gleich in Tränen auszubrechen«, antwortete ich.
Barry Wallner war ein vielgelesener Enthüllungsjournalist, der für zahlreiche US-Blätter schrieb und in aller Welt nachgedruckt wurde. Er war ungemein einflußreich, und häufig wurden ihm besondere Beziehungen zum State Department, zu Agency und auch zum FBI nachgesagt. Manchmal sah es tatsächlich so aus, ganz bin ich nie dahintergekommen, aber der smarte Barry war uns auch schon ein paarmal in die Quere gekommen, und es hatte Ärger gegeben. Unser Verein hatte so viele Feinde, daß es nur gut sein konnte, wenn es einen weniger gäbe.
»Schlimme Sache«, fuhr Gregory fort. »Abgestürzt mit einer Privatmaschine.« Seine Redseligkeit machte mich hellhörig. »Vor drei Tagen schon. Ursache ungeklärt. Sein Körper so gut wie unkenntlich. Der Mann war überhaupt nur durch seine Fingerabdrücke zu identifizieren.«
»Bedauerlich«, entgegnete ich gefühlsarm. »Und woher haben wir seine Fingerabdrücke gehabt?«
»Er war mal wegen Trunkenheit am Steuer in eine politische Untersuchung geraten«, erläuterte der CIA-Vice.
»Da sieht man, für was Alkohol gut sein kann«, erwiderte ich.
Entgegen seiner Art ließ mir dieser Puritaner die Bemerkung durchgehen. Er sah mich an mit seinen Augen, die wie kleine Krater in einem erloschenen Vulkan wirkten. Ich nahm nicht an, daß er von mir einen Nachruf auf Barry Wallner erwartete, aber wenn er den berühmten Berüchtigten ins Gespräch gebracht hatte, mußte er seine Gründe dafür haben.
»Noch weiß niemand etwas von dem Unfall«, blieb Gregory hartnäckig bei dem abgestürzten Top-Journalisten Barry Wallner. »Wir haben inzwischen die Untersuchung abgeschirmt. Für mich ergaben sich dabei einige interessante Einzelheiten: Der Mann ist Junggeselle. Er hat keine Kinder, keine Eltern mehr, keine Freunde, die ihm besonders nahestanden, und überhaupt …«
»Und vor allem keine Freundin«, warf ich mit einem gewissen Lächeln ein, denn die homophilen Neigungen des Publizisten waren schließlich jedermann bekannt. Es begann mir zu dämmern, worauf der Vice womöglich hinauswollte. Aber ich wehrte mich dagegen, mir jetzt, kurz vor Torschluß, bei einem letzten Einsatz auch noch eine pinkfarbene Identität verpassen zu lassen. Für die Operation selbst spielte es keine Rolle, denn für die Zeit des Einsatzes sind Frauen und Alkohol tabu und, wie ich annehme, für Angehörige des dritten Geschlechts auf Gays, wie man in den Staaten die Freunde der Gleichgeschlechtigkeit nennt.
»Hat eigentlich der Flugzeugabsturz Barry Wallners etwas mit dem Fall Sperber zu tun?« fragte ich.
»Es ist nicht auszuschließen«, antwortete der große Gregory. »Ein Mann wie dieser Enthüllungsjournalist hat seine Finger in vielen heißen Geschichten gehabt.«
»Dann wäre es also kein Absturz, sondern ein Attentat?«
»Nicht so abwegig, wir überprüfen das gerade.«
»Dann ergibt sich die nächste Frage: Wer hat Barry Wallner aus dem Weg räumen wollen?«
»Da gäbe es diverse Möglichkeiten«, erwiderte der Vice. »Sie reichen vom eifersüchtigen Strichjungen bis zum sowjetischen KGB – falls der Mann tatsächlich aus dem Weg geräumt worden ist«, stellte die springlebendige Mumie klar.
»Warum ist eigentlich die Meldung über Barrys Tod noch nicht bekanntgegeben worden?«
»Weil der Fall noch nicht abgeschlossen ist«, erwiderte der CIA-Gewaltige. »Er liegt genauso auf Eis wie der Tote. Sein Agent und Verlag kommen uns insofern entgegen, als sie den Absturz verschweigen wollen, bis Barrys fast abgeschlossenes Manuskript fertiggestellt ist.« Erst jetzt kam er richtig zur Sache. »In der Tat hatte er zuletzt und seit langem an einer brisanten Geschichte gearbeitet. Er wollte ein Buch über Fluchthelfer-Organisationen schreiben. Dabei ist er mit einigen Firmen, wie zum Beispiel der Zürcher trasco ag, ins Geschäft gekommen. Deren Inhaber, Mauro Dressler, ist ein schillernder Abenteurer, ein bedenkenloser Geschäftemacher und erfolgreicher Hasardeur. Ich nehme an, der Name ist Ihnen schon einmal untergekommen, Lefty.«
»Wiederholt«, entgegnete ich.
Die trasco ag(Trans-Commerce-Aktiengesellschaft) war eine Großhandelsfirma im Fluchtgeschäft und machte im Handel keinen Unterschied zwischen Mensch und Geld. Sie schmuggelte Flüchtlinge aus der DDR und importierte illegale Devisen aus Frankreich und Italien in die Schweiz. Der Menschenexport brachte ihr mindestens 30000 pro Kopf; der Geldimport drei Prozent der geschmuggelten Geldsumme. In beiden Fällen hatte der Auftraggeber das Risiko zu tragen, und das hieß gegebenenfalls ein Kopfschuß an der Mauer oder eine mehrjährige Haftstrafe wegen Devisenschiebung.
Mauro Dressler übernahm fast jeden Auftrag; bei ihm ging alles, jedoch nie etwas ohne Geld. Er war nicht der einzige in diesem Metier, doch der erfolgreichste, geduldet im Westen, verhaßt im Osten. Bonn erwog gerade wieder einmal, ein Gesetz gegen seine den Transitweg von und nach Berlin gefährdende Aktivität zu erlassen. Aber das Verbot kommerzieller Fluchthilfe käme sicher aus vielerlei Gründen nicht zustande, und die Zahl der mehr als 700 Flüchtlinge, die die Trascoaus dem sogenannten Arbeiter-und-Bauern-Paradies im deutschen Osten hergeholt hatte – nicht selten auch im Auftrag westlicher Geheimdienste würde sich weiter erhöhen.
Im Machtbereich der DDR galten Leute wie Dressler als Kopfjäger und Menschenhändler. Dem immer wieder von Fluchthelfern übertölpelten Zwangsstaat stand weder moralisch noch juristisch das Recht zu, sich über die gutbezahlten Desperados zu ereifern, die Republikflüchtlingen über die Mauer halfen oder sie durch Minenfelder und Todesstreifen schleusten. Die DDR selbst nutzte im ganz großen Stil die Ware Mensch als Devisenbringer. Es war zu einer Art Waren-Termin-Geschäft geworden, zum Beispiel Häftlinge aus Bautzen gegen harte Währung zum Freikauf feilzubieten.
»Und der Zusammenhang zu unserem No Name Case oder dem Fall Sperber?« erwiderte ich.
»Wird zunächst einmal durch einen Mann namens Forbach hergestellt, der im Auftrag Dresslers Flüchtlinge aus der DDR herausholt, gleichzeitig aber auch für Pullach arbeitet.«
Von ihm hatte der erste, noch sehr vage Hinweis auf einen ganz hochstehenden Überläufer aus dem Osten gestammt.
»Gestern abend aber«, fuhr Gregory fort, »hat Dresslers geschiedene Frau Madeleine einem Spitzenfunktionär des Ostens in einem recht seltsamen Etablissement vermutlich subversives Material übergeben.« Er erhob sich. »Und Max Konopka gehört als potentieller Sperber mit zu unserer ersten Wahl«, stellte er fest.
»Und das Material haben wir?« fragte ich.
»Wir haben es nicht«, entgegnete der große Gregory und erhob sich.
»Sie sehen, Lefty, es gibt viel zu tun, bevor Sie in Ihren neuen Dienst überwechseln und mit dem Whiskyglas in der Hand für Bett und Sternenbanner streiten.« Er reichte mir die Hand. »Den Rest Ihres Lebens können Sie dann ungehindert unter Ihrem richtigen Namen verbringen.«
»Falls er mir wieder einfällt, Sir«, erwiderte ich.
»Sie haben wirklich Einfälle, Lefty«, versetzte Gregory. »Ich freue mich, daß Sie so in Form sind. Irgendwie habe ich Sie doch unterschätzt und nicht damit gerechnet, daß Sie Pythiafür private Nachfragen mißbrauchen könnten.«
Er hatte es also doch erfahren.
»Ich müßte Ihnen jetzt einen Verweis erteilen«, fuhr er fort. »Aber ich werde Sie nicht für einen Fehler verantwortlich machen, der mir unterlaufen ist.«
Es war das seltsamste Eingeständnis, das ich je von Gregory gehört hatte. Ich traute ihm nicht, und doch – wie sich hinterher herausstellen sollte – noch immer zu viel.
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