Die Männer, die Pythiabewachten, speisten und betreuten, wunderten sich nicht, daß ich schon um sieben Uhr morgens im Demonstrationsraum erschien. Ich war schon öfter zu dieser Stunde hier aufgetaucht, freilich nie einer eigentlich mehr persönlichen Nachforschung wegen.
Man ließ mich allein. Niemand brauchte meine Legitimation zu überprüfen. Pythiakontrollierte sich gewissermaßen selbst, und ein Geheimnisträger der Category III konnte Fakten bis zur Geheimhaltungsstufe III abrufen.
Ich nannte mein Code-Wort und rief dann vanessa milesab.
Fehlanzeige.
Vermutlich wurde die Engländerin unter einem anderen Namen gespeichert.
Ich gab ihre Beschreibung ein.
Fehlanzeige.
Entweder war die subversive Ferienfreundin noch nicht im Programm enthalten oder in der Geheimhaltung so hoch eingestuft, daß meine Code-Vollmacht nicht ausreichte. Vielleicht aber hatte ich auch ihre Beschreibung nicht ganz exakt durchgegeben.
Ich präzisierte sie noch einmal.
Es war ja zu erwarten gewesen, daß der große Gregory seine Security-Lady nicht von mir entblättern lassen würde. Vermutlich erführe er jetzt gleich beim Betreten der siebten Etage, daß ich Pythiaaufgesucht hatte, und genösse meinen Reinfall: Die Identität einer CIA-Mitarbeiterin, die mich zu kontrollieren hatte, war ein Tabu und mußte es aus dienstlichen Gründen auch bleiben – aber schließlich gab es ja auch noch persönliche Gründe.
Ich gab mich nicht so leicht geschlagen.
Nach einigem Nachdenken hatte ich eine brauchbare Idee.
Ich rief mich selbst ab.
Verblüffend schnell tauchte auch schon ein Konterfei auf dem Bildschirm auf: Längliches Gesicht, dichte Haare, schräg zueinander abgesetzte Augen, massive Nase, ausgeprägtes Kinn. Das Foto war nicht übertrieben schmeichelhaft, aber es ließ sich auch nicht übersehen, daß es mich darstellte.
Ich rief weitere Daten ab; der Bildschirm behauptete, ich sei verläßlich und zäh, entscheidungsschnell und intelligent, meine Kostenabrechnungen seien korrekt, meine Verdauung sei in Ordnung und mein Auftreten im Privatleben maßvoll distanziert. Dann wurden einige Fälle aufgezählt, an die ich gesetzt worden war und die ich angeblich so diskret gelöst hätte, daß meine Versetzung in den diplomatischen Dienst von der Agency befürwortet würde. Meine deutsche Abstammung wurde ebenso vermerkt wie die Tatsache, daß ich keine näheren lebenden Verwandten mehr hätte. Das Spieglein an der Wand sagte mir dann auch, daß gegen mein späteres Aufrücken in die Category II vorderhand keine Bedenken bestünden. Man hatte mich wirklich fair eingeschätzt, und alles in allem war mein Persönlichkeitsbild eher schmeichelhaft.
Aber das alles interessierte mich weit weniger als die letzte Ergänzung, in der es hieß, daß ich nach Beobachtungen der Kontaktperson Fxix-199 zwar sexuell ansprechbar sei und romantische Neigungen zeigte, sofern die Partnerin den richtigen Ton träfe.
Ich zündete mir eine Zigarette an, um den Tiefschlag zu verdauen. Ich hatte vergessen, daß ich seit Wochen nur kalt rauchte. Und dann rief ich die F-Kontakt-Person ab – F stand für femal, weiblich. Ich zog noch heftiger an meiner Zigarette, denn jetzt erschien Vanessa auf dem Bildschirm.
Sie hieß nicht Vanessa, sondern Madge, und nicht Miles, sondern Fiddler; sie war nicht 29, sondern 32, keine Junggesellin, sondern eine junge Witwe, seit dem plötzlichen Unfalltod ihres Mannes vor drei Jahren in Nicaragua. Sie war keine Engländerin, sondern stammte aus Boston/Massachusetts, und Bali war ihr erster Einsatz gewesen.
Viel mehr gab ihr Karteiblatt nicht her.
Vorderhand genügte mir das, und ich spürte einen wilden Triumph, daß es mir gelungen war, mit Pythias Hilfe den großen Gregory zu übertölpeln.
Entweder wußte er es nicht, oder er ließ es sich nicht anmerken, als ich ihm Punkt neun Uhr in seinem Office gegenübertrat. Diesmal löffelte er keinen Joghurt, sondern Corn-flakes, und zwar so genüßlich, als wäre es Kaviar.
»Guten Morgen, Sir, und guten Appetit«, begrüßte ich ihn. »Sie tun wirklich viel für Ihre Gesundheit.«
»Thanks a lot«, entgegnete er. »Ausgeruht, Lefty?«
»Ziemlich.«
»Sie haben mit Steve Cassidy gesprochen?«
»Ja«, antwortete ich. »Er ist Ihrer Meinung, Sir.«
»Wann fliegen Sie?« fragte er, viel zu selbstherrlich, um sich zu vergewissern, ob ich überhaupt nach Deutschland abreisen würde.
»Sowie Sie es für angebracht halten, Sir.«
»Thanks, Lefty«, entgegnete der Vice, »Ich werde Ihren Eifer bei der abschließenden Beurteilung nicht vergessen.« Er schob seinen Teller beiseite. »Nunmehr sehe ich mich auch in der Lage, einige Ergänzungen nachzutragen«, schönte er die Tatsache, daß er mir gestern ein unvollständiges Dossier zur Analyse übergeben hatte. »Der Verrat Nummer drei in den Flugzeugwerken bei München hat eine natürliche Erklärung gefunden. Ihrem Freund Steve war aufgefallen, daß der anonyme Anrufer nicht – wie bei den vorhergehenden Hinweisen – mit einer neutralen Kunststimme gesprochen hatte, sondern mit seiner natürlichen. In Zusammenarbeit mit den BND-Leuten ließ Cassidy in der Kantine verbreiten, der Informant könne mit einer hohen Belohnung rechnen, wenn er zum Vorschein käme. Schon einen Tag später meldete sich ein Mann aus dem Ingenieurbüro und gab an, der Anrufer zu sein. Er habe nicht als Denuziant seiner Arbeitskollegen dastehen wollen, umgekehrt aber auch nicht zusehen können, wie seine Firma Schaden erleide.«
»Und die Stimme war identisch?« fragt ich.
»Kein Zweifel.«
Ich wunderte mich, daß Gregory trotz dieser eigentlich negativen Sachlage so optimistisch war.
»Aber die Kunststimme hat sich inzwischen wieder gemeldet«, klärte er das Rätsel. »Auf einer Tonbandkassette, die Pullach zugesandt wurde«, berichtete der große Gregory. »Ein Unbekannter hat sich als der Sperber und als ein Stasi-Spitzenmann vorgestellt, der, unzufrieden mit den DDR-Verhältnissen, sich unter Umständen in den Westen absetzen wolle.«
»Welche Umstände?« fragte ich. »Geld?«
»Sie Hellseher«, entgegnete er. »Fünfhunderttausend Dollar.«
»Wo und wie sollen die Übergabeverhandlungen stattfinden?«
»Soweit sind wir noch lange nicht. Es gibt gewisse Hinweise, daß in Bonns Auswärtigem Amt eine undichte Stelle sein muß. Wir werden als Vorleistung die Nennung eines potentiellen Verräters verlangen. Erst nach diesem Test sollen BND und CIA in einer Gemeinschaftsaktion dem Angebot nähertreten.«
»Und wenn es keinen AA-Maulwurf gibt?« fragte ich. »Schließlich sind das ja bis jetzt erst unbewiesene Gerüchte.«
»Dann werden wir einen anderen Test veranstalten. Leider gibt es reichlich Nüsse, die zu knacken sind.«
»Sie wollen also bezahlen, Sir?«
»Unter Umständen«, entgegnete der Vice. »Aber ich will nicht die Katze im Sack kaufen. Ich bin mit Steve Cassidy der Meinung, daß vielleicht Sie, Lefty …«
»Ich übernehme ungern die Verantwortung für eine halbe Million Dollar, die der US-Steuerzahler wahrscheinlich zum Fenster hinauswirft.«
»Das wäre noch das wenigste«, erwiderte Gregory. »Vielleicht geht es um eine ganz andere Größenordnung. Wenn der Sperber im Auftrag von General Lupus handelt, dann wollen diese Hundesöhne noch weit mehr von uns als eine halbe Million Dollar.«
Er sprach nur aus, was ich längst dachte. Es war wirklich eine vertrackte Lage. Lehnte man das Sperber-Angebot von vornherein ab, drohte Gefahr, daß eine einmalige Chance versiebt würde; stieg man ein, mußte man damit rechnen, in eine Falle zu stolpern, deren Ausmaß man nur ahnen konnte. Ich war lange genug in der Branche, um das Dilemma zu erfassen, und das bedeutete fast automatisch, daß es mich natürlich auch reizte.
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