Wie das duftete! —
Schier betäubend weht der süsse Odem um sein Antlitz, und er atmet so tief und schwer, als berausche ihn der süsse Hauch. Ebenso wie dieser, nur viel traumhafter und weniger stark, duftete der welke Blumenzweig, welcher neben Lakmehs dunkler Locke in dem Briefumschlag lag. —
In seinem Taschenbuch ruhen die kostbaren Schätze, welche er am Tage seines Scheidens von ihrer heimatlichen Erde hier zurücklassen oder in die blaue Flut des Bosporus versenken will, damit der schmerzensreiche Liebestraum jener kranken Taube, welcher hier unter dem magischen Silbermond zwei junge Herzen so leidenschaftlich entzückte, im Lande der Märchen sein Ende finde.
Die Locke und der Orangenzweig dünken dem jungen Offizier zwei heilige Vermächtnisse, welche er vor profaner Hand beschützen muss.
Und wie der Duft der frischen Blüten seine Sinne umstrickt, deucht es ihm, als ob aus den wogenden Silberschleiern der Nacht das süsse, todtraurige Antlitz der sterbenden Lakmeh tauche, dass es ihm zulächle unter Tränen — dass weisse Arme ihn geheimnisvoll hinabwinken an die Ufer des blau glänzenden Meeres, dahin, wo Prinkipo wie ein paradiesisches Gefilde aus den Wogen steigt, wo goldene Minaretts über stillen Marmorhallen leuchten .. Und doch ... nein! es ist nicht Lakmeh ... es ist das stolze, spottende Angesicht jener zauberschönen Prinzessin aus dem Märchenbuch, welche ihm wieder und immer wieder versichert, dass sie ihn niemals lieben werde ...
— — — — Am nächsten Mittag schlendert Mortimer von der Marken harrend auf der Neuen Brücke hin und her, den Freund erwartend, mit welchem er den Dampfer besteigen will, der auf der inneren Seite der Brücke angelegt hat und in einer Viertelstunde nach Haidar-Pascha und den Prinzeninseln abdampfen soll.
Wieder liegt Konstantinopel im grellen, glühendheissen Brand der Mittagssonne, und die Wasserverkäufer mit ihren wunderlichen, langen, sackartigen Gefässen machen gute Geschäfte, ebenso die Obstverkäufer, welche die köstlichsten Früchte zu wahren Bergen aufgestapelt haben und für wenige Paras oder einen Gurusch so verschwenderisch davon geben, dass der deutsche Offizier staunend stehen bleibt und mit beinah’ wehmütigem Lächeln an das Körbchen voll Kirschen, Stachel- oder Erdbeeren denkt, welches Tante Gustel ehemals vom Markt heimgebracht. Währenddessen fallen ihn zerlumpte Bettler wie die Hyänen an, glutäugige kleine Judenkinder kichern und deuten ungeniert auf die ungewohnte Kopfbedeckung des Fremden, ja, ein paar freche, kleine griechische Bengel knipsen sogar mit Obstkernen danach!
Lastträger, welche geradezu Unbegreifliches leisten und enorme Kolli auf Kopf und Rücken tragen, stampfen vorüber; Verkäufer aller Arten und Nationen bieten laut schreiend ihre Waren an, ein alter, sehr bunt und malerisch gekleideter Türke bietet strohgeflochtene, korbartige Taschen und Pfauenfedern feil und ein paar verschleierte Frauen, von sehr ernst dreinschauendem Perser begleitet, handeln und feilschen ohne Ende mit ihm, bis ein paar kräftige Neger sich mit buntem Glitzerkram, Ketten, Spangen und Nadeln dazwischendrängen.
Welch ein Leben und Treiben!
Es ist kaum möglich, all das unendlich Mannigfaltige mit dem Blick zu umfassen. Matrosen von Kriegs- und Handelsschiffen fast aller Nationen hasten lachend und schwatzend vorüber, jüdische Schnorrer schreien und preisen ihre Waren an, Araber, Derwische, elegante Europäer mit Frau, Kindern und Dienerschaft, Armenier, Griechen, katholische Mönche, eilige Touristen ... alles schiebt und windet sich in schier sinnverwirrender Weise durcheinander.
Die Zeit fliegt trotz der drückenden Hitze wie ein Traum. — Mortimer hatte die Uhr gezogen, um zu sehen, ob es sich noch lohnen würde, unter das bunte Zelt eines türkischen Kaffeehauses zu treten, als sich eine Hand auf seine Schulter legt und Hans Schlüchtern ihn in seiner lebhaften, herzlichen Weise begrüsst. Neben ihm steht ein sehr distinguiert aussehender Herr in weissem Flanellanzug, mit einem breitrandigen Strohhut, welcher ein sehr blasses, von dunkelblondem Bart umrahmtes Gesicht beschattet, aus welchem ein paar kluge, aber ersichtlich müde Augen äusserst liebenswürdig dem jungen Offizier entgegenschauen ...
Es ist Herr Benno Haulsen, der Chef Schlüchterns, ein reicher Grosskaufmann, welcher schon seit langen Jahren in Skutari seinem bedeutenden Handelshause persönlich vorsteht.
Er begrüsste Mortimer sehr herzlich und lud ihn voll echt orientalischer Gastfreundschaft allsogleich ein, das Mittagsmahl im Kreise seiner Familie in Prinkipo einzunehmen.
„Wir sind zwar mit der Reihe der Jahre schon halbe Türken hier geworden, was Sitten und Gebräuche anbetrifft“ — sagt er scherzend, „aber nur zweimal in der Woche warm zu essen, wie dies selbst bei den reichsten Moslim geschieht, hat meine kleine Frau doch noch nicht fertig gebracht! Ich weiss freilich nicht, ob sie auf einen Gast vorbereitet ist, aber ich hoffe, Herr von der Marken, Sie rechnen heute nur mit dem guten Willen und nehmen mit dem, was da ist, fürlieb!“
Selten hatte eine Bekanntschaft den jungen Offizier so lebhaft interessiert, wie die Haulsens, denn seit Schlüchtern ihm erzählt, dass der Grosskaufmann im Hause Suleiman-Achmeds bekannt sei, war es wie eine geheime Sehnsucht über ihn gekommen, durch diese Vermittlung einmal einen Blick in das geheimnisvolle Innere eines türkischen Haushalts tun zu können.
Unter dem Sonnensegel war es schattig und ein frischer Lufthauch wehte von dem leicht sich kräuselnden Wasser des Goldenen Horns empor.
Das Schiff setzte sich gemächlich in Bewegung, die drei Herren hatten sich Zigaretten entzündet und blickten über die blau sich kräuselnden Spiralen der Wölkchen hinweg nach den Ufern, woselbst die Stadt so lustig, bunt und üppig gleissend lag, dass sie beinah’ die Augen blendete.
Gold und Geglitzer überall!
Farben, Blumen, — flatternde Fähnchen — und ein Leben, so heiss pulsierend wie bei einem Fieberkranken!
Die Hitze war nicht lästig, sie hatte etwas Lösendes, unsagbar Wohliges hier auf den azurfarbenen Wassern, man hatte das Gefühl, die Arme zu dehnen und nichts anderes als nur das eine zu denken: Geniessen! In all dieser Pracht und Herrlichkeit glücklich sein! Ohne Grübeln, ohne Überlegen, — in den Tag hineinträumen wie jene drei Orgelspieler, welche sich unter den dunklen Zypressen ausgestreckt haben und, die Arme unter dem Kopf und den Tschibuk im Munde, den Abend erwarten, wo sie unter den Eschenholzläden der Cadines, der vornehmen türkischen Damen, ihre gutbezahlten Ständchen bringen werden!
Und weiter und weiter glitt das Schiff; die Mehrzahl der bunt zusammengewürfelten Fahrgäste verliess es in Haidar-Pascha und nur das bessere Publikum setzte die Fahrt nach Prinkipo fort.
Bald tauchte das lieblichste aller Eilande aus dem kristallklaren Wasserspiegel empor.
Wundervoll lauschige Gärten zogen sich bis zum Strand hinab.
Dunkle Lorbeeren und Zypressen malten ihre blaugrünen schattigen Konturen gegen den lichtgebadeten Himmel, Mandel- und Myrtengebüsche, Oleander und Granaten mit ihren leuchtendroten Blütenbüscheln webten sich dazwischen und der betäubend starke Duft von vielen Tausenden der köstlichsten Rosen, Nelken, Orangen und Levkoyen schwoll in heissen Wogen über die stille Flut selbst bis hierher an das Schiff.
Inmitten der Insel erhoben sich sanftgewellte Bergrücken zu ansehnlicher Höhe, die romantischen Bauten von Klöstern und Schlössern grüssen herüber, entzückende, weissschimmernde Villen, malerische bunte Kioske mit mächtigem Goldgitter lachen durch die schlanken Palmwedel, und vor den Marmorstufen der Treppen schaukeln sich zierliche Nachen, bereit, die verschleierten Schönen, die verbannten Prinzessinnen aus dem Harem des Suleiman-Achmed in verschwiegener Nachtstunde aufzunehmen. —
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