»Ich möchte jedenfalls bei dieser Forschung nicht ein Baustein sein, der dazu beiträgt, dass die Menschheit von einem völlig veränderten Erbgut überrollt wird, dass man Versuche mit Babys macht und Viren manipuliert, die dann nicht mehr kontrollierbar sein werden.«
Ramon nahm ihre Hände. »Sophie«, sagte er und sah sie zärtlich an. »Du bist einfach eine Idealistin und ein Gutmensch, aber manchmal siehst du die Dinge vielleicht zu extrem. Ich verstehe genau, was du sagen willst. Aber schau, wenn du den Termin mit Mateo absagst, dann wird das für die Genforschung nichts, aber auch gar nichts ändern. Mateo Ramirez wird trotzdem weiterforschen und bestimmt einen anderen Weg finden, die Vererbung von Erlebnissen der Vorfahren zu beweisen. Aber für dich und ihn wird es etwas ändern. Menschlich wird es etwas ändern, weil ER enttäuscht sein wird, und DU wirst nie erfahren, was es mit deinem Traum auf sich hatte.«
Sophie nickte und schwieg.
»Egal wie du dich entscheidest, Sophie, zwischen uns ändert das nichts. Aber vielleicht für dich. Du hast die einmalige Chance, ein Teil der guten Forschung zu werden und etwas zu erleben, was andere niemals erleben können.«
Sophie nickte. »Das stimmt, Ramon. Ich glaube, ich hab einfach Angst davor, wieder in eine Vergangenheit einzutauchen, weil ich nicht weiß, ob es so gut läuft, wie das letzte Mal.«
»Das verstehe ich, Sophie, aber andererseits kannst du etwas über dich und deine Ahnen erfahren, was du sonst niemals wissen würdest. Und noch dazu bekommst du den wissenschaftlichen Beweis, dass es wahr ist.«
»Das habe ich so noch gar nicht gesehen«. Sophie musste lachen.
» Du bist doch die Historikerin hier. Du sagst doch immer, dass man die Vergangenheit von Menschen kennen muss, wenn man sie wirklich kennen will und dass man eine Welt und ihre Länder nur verstehen kann, wenn man auch ihre Geschichte kennt. Jetzt hast du die Chance ganz viel über dich und die Welt zu erfahren.«
Sophie umarmte Ramon impulsiv und küsste ihn.
»Danke! Du hast recht. Ich werde Mateo nicht absagen.«
Sie saßen im 49steps , bis die Sonne unterging, und redeten und lachten. Und die Welt sah so friedlich aus.
Freitag, 3. August 2018
Palma, Hotel Can Alomar
Sie hatte, trotz des harmonischen Abends und der guten Gespräche mit Ramon, miserabel geschlafen und fühlte sich gereizt, als sie das Hotel betraten.
»Ramon, du passt wirklich auf mich auf, okay?« Sophies Stimme klang rau, als sie durch das schwarz-weiße Marmortreppenhaus hinauf zu Mateos Zimmer liefen.
»Sophie, was glaubst du denn? Natürlich mach ich das. Aber wenn du so große Bedenken hast, dann kannst du auch jetzt noch den Termin absagen.« Sie standen vor der Zimmertür der Junior Suite, die der Wissenschaftler bewohnte.
»Nein.« Sophie schüttelte den Kopf und richtet sich auf. »Ich zieh das durch.«
Sie klopfte und Mateo öffnete die Türe. »Ich danke Ihnen, dass Sie sich dazu bereit erklären, diese wissenschaftliche Studie mit mir durchzuführen.« Er deutet ihnen mit einer Geste, einzutreten. »Ich weiß wohl, dass es für Sie keine leichte Entscheidung war, aber Sie werden sehen, dass es auch für Sie eine Bereicherung sein wird.«
Sophie lächelte angespannt, aber erfreut über die verständnisvolle und dankbare Begrüßung.
Das Zimmer lag hell und freundlich in Creme- und Terracottatönen vor ihr. Vor den hohen Balkontüren raschelten die Platanen des Passeig del Born im Sommerwind und warfen ihr Schattenspiel an die Wand.
Mateo hatte schon einige Apparate und Reagenzgläser auf dem dunklen Teakholzschreibtisch bereitgestellt. »Ich werde Ihnen aus der Fingerspitze etwas Blut entnehmen«, erklärte der Wissenschaftler, nachdem Sophie auf dem bequemen, weichen Sofa Platz genommen hatte. »Dann werde ich das Gleiche tun, während Sie schlafen und noch einmal, wenn Sie wieder wach sind. So kann ich die unterschiedliche Wickelung in bestimmten Abschnitten Ihrer DNA am Besten erkennen.«
Ramon reichte Sophie die Thermoskanne mit dem vorbereiteten Tee aus der Wurzel, die ihm vor Jahren sein afrikanischer Freund Tajo geschenkt hatte. Sie trank ihn langsam und schluckweise. Es gab kein Zurück mehr.
Sie spürte plötzlich ein heftiges Stechen in ihrer Schläfe, ihr wurde schwindlig und dann versank alles in einem schwarzen Strudel ...
Mallorca, etwa 900 v. Chr.
... »Nein, Nunu, du darfst den Riemen nicht loslassen, bevor du nicht genau das Ziel angepeilt hast!«. Kichernd schüttelte Raja ihr langes dunkles Haar. Sie musste über die ungelenken Versuche ihrer Freundin lachen.
»Ich bin eben einfach nicht so geschickt wie du.« Nunu zog einen Schmollmund und warf unwirsch die Schleuder auf den Boden.
Raja bückte sich, hob sie auf und drückte sie Nunu wieder in die Hand. »Du darfst nicht so schnell aufgeben«, tröstete sie die Freundin. »Es ist schwieriger, als es aussieht, und ich habe auch lange geübt, bis ich es endlich konnte. Deshalb hab ich dir extra die kleinste Schleuder gegeben. Damit ist es am einfachsten zu lernen.« Sie stellte sich hinter Nunu und legte ihr die Schlinge und einen Stein in die Hand. »So musst du dich hinstellen und dann beide Arme heben, die Schleuder kreisen lassen und dann darfst du das Ziel nicht mehr aus den Augen verlieren. Schau nicht auf den Stein, sondern nur auf dein Ziel.« Raja trat zur Seite und beobachtet die tollpatschigen Versuche ihrer Freundin. »Du musst schneller kreisen!«
Nunu ließ los, der Stein flog seitwärts und prallte gegen einen Felsen.
»Wenn du den treffen wolltest, dann war das gut«, feixte Raja.
Nunu schüttelte erhaben ihren Kopf, so dass der blonde Pferdeschwanz hin und her schwang. »Ja, das wollte ich.«
»Immerhin hast du getroffen. Das war doch gar nicht schlecht«, bestätigte Raja ihre Freundin, wohl wissend, dass es nicht deren Absicht gewesen war, den Fels zu treffen. »Außerdem machst du es ja aus Spaß und nicht, um zu jagen. Wenn du erst mal verheiratet bist, dann darfst du sowieso die Schleuder nicht mehr in die Hand nehmen.« Raja war froh, dass ihr selbst dieses Schicksal, heiraten zu müssen, erspart bleiben würde.
»Du tust mir leid.« Nunu ließ die Schleuder sinken und sah Raja an. Sie schien einen parallelen Gedankengang gehabt zu haben. »Ich bin froh, dass ich auserwählt wurde, Rano zu heiraten«, sie hob würdevoll den Kopf, »dann brauche ich mich um nichts mehr zu kümmern. Und ich hoffe das passiert bald. Ich bin jetzt schon elf und bald zu alt zum Heiraten.«
Raja lachte hell auf. Das passte zu Nunu. Sie war jemand, der es liebte, im Mittelpunkt zu stehen, bewundert und verwöhnt zu werden. Und das genau war die Aufgabe der zukünftigen Frau des Dorfobersten Rano. Außer der, dass sie ihm Kinder gebären sollte.
Nunu war eine Schönheit, mit ihrem hellen Haar und den blauen Augen und sie wusste es auch. Nicht umsonst hatte der Herrscher Jefe schon vor Jahren den weisen Toro gebeten, die Götter zu befragen, ob der Verbindung von seinem Sohn Rano und der schönen Nunu Glück verheißen war. Toro war der, der den Göttern am nächsten stand. Er war der Vermittler zwischen ihnen und den Menschen im Dorf.
»Ich würde sterben vor Langeweile.« Raja gähnte.
So unterschiedlich sie waren, verband sie trotzdem von klein auf eine tiefe Freundschaft. Die dunkelhaarige, trotz ihrer zierlichen Figur muskulöse Raja war immer schon am liebsten auf der Insel mit der Schleuder unterwegs gewesen, war über Felsen geklettert und hatte Pflanzen und Tiere beobachtet. Nunu dagegen hielt sich lieber in der sicheren Umfriedung der Siedlung auf.
»Ich möchte jetzt eine Pause machen«, bat Nunu.
Raja zeigte auf eine nahegelegene Felsenstelle. »Da vorne kann man gut sitzen. Dort ist der Stein glatt und es ist nicht so steil, dass man abstürzen könnte.« Raja kannte alle Felsen der Umgebung. Bei jedem Tritt wusste sie, wie sich der Stein unter ihrem Fuß anfühlen musste und wo sie ihre Füße setzen konnte. Leichtfüßig sprang sie über die Felsen, wann immer sie alleine war. Nur wenn Nunu dabei war, ging sie vorsichtiger und langsamer.
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