Marlene konnte nicht anders, sie fiel erst der dicken, kleinen Tante, dann dem großen Onkel um den Hals; und in ihren Augen standen Tränen.
Sie versprach: „Wenn ich Malte in acht Tagen wiedertreffe, erzähle ich ihm, daß ihr alles wißt, und bringe ihn hierher.“
Frau Staufen wehrte ab: „Aber nicht in die Wohnstube, führe ihn gleich oben ins Herrenzimmer. Da stehen doch unsere besten Möbel.“
Ihr Mann schlug sich belustigt auf die Knie.
„Hast also doch einen Fimmel, Muttchen, was? Wenn der Graf ein natürlicher, netter Kerl ist, gefällt es ihm hier in der Stube sicher ganz gut, die an Gemütlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Aber schließlich, wozu hat man ein Herrenzimmer? Das ganze Jahr über komme ich nicht hinein, wenn nicht mal bei ganz besonderen Gelegenheiten. Dann kann Mutter mit den geschnitzten Möbeln dicke tun, und die Tür nach der Eßstube, die wir sonst nicht benutzen, steht offen und man schnabuliert vornehm. Die Geschichte kann ja wieder mal aufgezogen werden, wenn dein Graf kommt. Also in acht Tagen rede ich mit ihm. Dann bringst du ihn uns, Mädel.“
Frau Gerhard befand sich bei Fräulein Marrholz und unterhielt sich mit ihr, der besten und teuersten Schneiderin der Stadt, über eine kleine Änderung an einem erst vor kurzem angefertigten Kleid.
Fräulein Marrholz, sehr schlank und elegant, versprach, die gewünschte Änderung ausführen zu lassen. Dann erzählte sie von einem Kleid, das sie für eine Dame der Stadt gearbeitet, die gerade Trauer bekommen hatte, als es abgeliefert werden sollte, und die es nun durch ihre Vermittlung verhältnismäßig billig abgeben würde. Sie sagte geschäftstüchtig:
„Ich schlage Ihnen vor, das Kleid einmal anzuprobieren. Die Maße stimmen nämlich gerade mit den Ihren überein, Frau Gerhard. Man findet das selten! Und das Kleid ist bildschön und billig. Die Dame behielt es gern selbst, aber sie fürchtet, bis ihre Trauerzeit herum ist, wechselt inzwischen die Mode. Der Stoff war schon viel teurer, als sich jetzt für die Käuferin das fertige Kleid stellen würde.“
Sie öffnete einen Schrank und entnahm ihm ein über einen Bügel hängendes wirklich schönes Kleid, bei dessen Anblick Else Gerhards eitles Herz sofort rasch schlug. In ihren Augen irrlichterten Flämmchen auf.
Es handelte sich um ein Jackenkleid aus moosgrüner dünner Seide mit schmalen, weißen Samtaufschlägen. Gar nicht rasch genug ging es Frau Gerhard mit dem Anziehen.
Dann stand sie vor dem Spiegel, und die Schneiderin schritt um sie herum und bewunderte:
„Ganz großartig sitzt die Jacke! Und das Kleid erst! Wie für Sie geschaffen. Oh, wie die Farbe den Goldglanz Ihres Haares hebt. Einfach fabelhaft! Ein Kleid wie für Ihren Typ von Haller-Tann entworfen. Haben Sie schon von dem gehört? Natürlich, welche Dame kennt den Namen nicht!“
Frau Gerhard hatte keine Ahnung, wer Haller-Tann war, der Kleider entwerfen sollte.
Fräulein Marrholz lächelte süßlich: „Ich hatte das große Glück, Hans Haller-Tann in Berlin kennenzulernen. Bei Steenkopp, wo ich mich um ein Modellkleid bemühte. Er ist ein noch junger Mensch mit gebräuntem Gesicht und natürlichen Wellen im dunklen Haar. Er guckt eine Dame nur an und dann zeichnet er auf, was sie tragen soll, was sie kleidet. Und so einfach und nett ist er, trotz seiner Berühmtheit! Das Jackenkleid hier würde ihm gefallen, er würde sofort zu Ihnen sagen: ,Gnädige Frau, das müssen Sie nehmen. Wenn Sie es nicht tun, wäre es eine grobe Unterlassungssünde gegen Ihren nicht alltäglichen Reiz.‘“
Fräulein Marrholz kannte ihre Kundinnen und daher auch Else Gerhard.
Zu gern hätte die eitle Frau sofort das Kleid gekauft, aber sie war gerade äußerst knapp bei Gelde und ihr Mann hatte in letzter Zeit mehrmals schon gesagt, sie gäbe zu viel aus für Modenfirlefanz. Ja, wenn nicht morgen die Miete fällig gewesen wäre! Die hätte eben gereicht für das Kleid, das ihr über die Maßen gefiel. Am Mittwoch hätte sie dann damit nach dem Tanneneck gehen können, wo während des Sommers die Damen der Stadt ihren Nachmittagskaffee tranken, während die ausgezeichnete Kapelle des beliebten Geigers Udo Bering dazu weichwogende Walzer und feurige Tangos spielte. Fein wäre es, wenn sie den vielen aufmerksamen Frauenaugen das geschmackvolle und kleidsame Kostüm vorführen könnte. Sie zitterte bei dem Gedanken an den Triumph.
Ihr eng umgrenztes Hirn malte sich ihren Einzug im Tanneneck aus, wie sich ein großer Künstler vielleicht nicht einmal seinen schönsten Erfolgstag vor großem Publikum vorzustellen wagt.
Aber das Geld für den Einkauf würde sie nicht aufbringen. Ihr Mann genehmigte ihr sicher vorläufig kein Kleid mehr, und Kredit wollte sie nicht in Anspruch nehmen. Sie hatte da ein paarmal Erfahrungen gemacht, die jetzt als Warnungen vor ihr standen. Wenn dann die Mahnungen kamen und man sich nicht mehr an den Geschäften vorbeiwagte — —
Nein, wenn sie das Kleid nähme, wollte sie es auch sofort bezahlen.
Fräulein Marrholz blinzelte schlau.
„Eine Dame wie Sie sollte sich doch nicht erst den Kopf zu zerbrechen brauchen eines Kleides wegen, das ihr hinreißend steht. Kein junges Mädchen könnte neben Ihnen bestehen, wenn Sie das Kleid tragen. Ein weißer Hut, Seidenfilz mit ein paar weichen, wie zufällig wirkenden Kniffen paßt dazu. Die Pritzack hat ein paar derartige Modelle im Fenster. Wenn es Ihnen recht ist, lasse ich sie holen, und Sie überzeugen sich gleich, wie ausgezeichnet ich Sie beraten habe.“
Sie klingelte. Ein Lehrmädchen mußte fortgehen, die weißen Filzhüte mit den „Zufallskniffen“ holen. Nach einer Stunde verließ Else Gerhard mit „hochgeschwellter Brust“ über den Erwerb des schicken Kostüms mit passendem Hut Fräulein Marrholz, die Bezahlung hatte sie für die nächsten Tage versprochen.
Als Kleid und Hut geschickt wurden, war gerade ihr Mann im Wohnzimmer. Er schalt:
„Hast du dir vielleicht schon wieder solchen Modeplunder für eine dreistellige Zahl zugelegt? Ich wiederhole, ich bezahle nichts mehr.“
Sie lachte etwas gezwungen.
„Reg’ dich nicht auf, verehrter Otto, dein Körperumfang könnte darunter leiden, und das möchte ich nicht auf mein Gewissen laden. Ich habe mir das Geld für das neue Kleid zusammengespart, mein Lieber. Nicht wahr, da guckst du? Aber ich habe krampfhaft die Groschen zusammengehalten, weil ich wußte, im Sommer brauche ich noch ein Extrakleid.“
Sie packte es aus.
„Es muß dir ja gefallen. Ich werde jedenfalls viel darum beneidet werden.“
Er beguckte das moosgrüne Kleid und schüttelte den Kopf.
„Wie eine Spinatwachtel wirst du darin aussehen!“ sagte er nicht gerade höflich.
Sie warf ihm einen Blick voller Empörung zu. „So kannst nur du dich ausdrücken. Jetzt hast du mir die ganze Freude verdorben! Aber daran liegt dir natürlich nichts.“
Er zuckte die Achseln. „Du hast schon so viele Kleider, und ich finde, eins sieht aus wie das andere. Kümmere dich lieber mehr um Hansis Kleider. Sie ist ein junges Mädel und normale Eitelkeit schadet ihr nichts. Sie ist leider zu gleichgültig in den Dingen, die du zu wichtig nimmst. Du aber willst nicht, daß sie besonders hübsch wirkt, weil du Angst hast, dann abzufallen. Jedes Mädel und jede Frau mag sich so hübsch wie möglich machen, deshalb braucht sie noch kein Modeaffe zu sein.“
Er wandte sich ab. „Ich habe einen wichtigen Gang vor und keine Zeit mehr.“
Schon war er zur Tür hinaus, und sie lächelte ärgerlich hinter ihm her. Ihr war mit einemmal gar nicht mehr so froh zumute wie vorhin, als sie Fräulein Marrholz verlassen hatte.
Sie ging in ihr Schlafzimmer und zog das neue Kleid an, drehte sich darin langsam vor dem Spiegel hin und her. Abermals stellte sie fest, daß en wirklich äußerst schick und eigenartig war. Auch den Hut setzte sie auf und rückte ihn etwar ver wegen zur Seite.
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