Der Kommissar erklärt kurz und höflich, alles Land und die Bodenschätze darin gehörten dem Staate.
Die Leute murren: „Wir gehören also wieder mal an den Galgen! Hört ihrs!“
Der Syrjäne lächelt fein und geringschätzig.
Der Wogule hat es vorgezogen zu verschwinden.
Tinser lässt die Männer zurücktreten und fragt nach den Bedingungen, zugleich darauf hinweisend, dass es nicht leicht sein würde, mit Gewalt in die Senke einzudringen.
Der Kommissar gibt das zu, und es wäre seine Absicht auch nicht. Sie sollten den Sommer über noch geruhig dem Ertrag ihrer Schurfen obliegen und ihn auch ungekürzt behalten als Entgelt für die Entdeckung und Räumung. Denn vor nächstem Sommer wären die Bagger nicht zur Stelle, sie könnten gerne auch als Arbeiter bleiben. Und er lässt seinen Blick über die armseligen Werkzeuge und über die trübe Gräberstadt der Schuttkegel streifen.
Tinser teilt den Leuten das Gesagte mit. Sie sind einverstanden, aber als Arbeiter wollen sie nicht bleiben. Sie wollten im Herbst nach Hause.
Da stünde nichts im Wege, antwortet der Syrjäne. Und er beschreibt den Weg, den sie nach Koshwa zu machen haben.
Danach nimmt er eine Holzbüchse aus seinem mit gefärbtem Leder besetzten Pelzkittel. Die Runde erstarrt in Andacht. Er bietet wahrhaftig wie ein Gentleman in Berlin oder weiss der Teufel wo Tinser eine fertige Zigarette an, nimmt selber eine, zieht eine Streichholzschachtel, entzündet ein Streichholz und gibt es an Tinser. Aber Tinser sieht die Augen der anderen, er tut nur einen Zug, dann gibt er die winzige Lustrolle an Brammer weiter. Wie der Syrjäne das sieht, schüttet er ihnen lachend den Inhalt seiner Büchse hin. Er verspricht auch, in einiger Zeit Tabak, Tee und Konserven heraufzuschicken.
Als der Mann wieder weg ist, kommt Stoi. Tinser ahnt, dass er vergebens einen Aufstieg an der Geröllhalde versucht hat. Nur ein bescheidener Stummel ist noch für ihn übriggeblieben.
„Eine englische Marke!“ sagt er bestürzt und geniesst es kaum.
Danach beschliessen Tinser und er und schlagen es auch den Leuten vor, es sollte jemand hinuntergehen, um sich bei den betreffenden Stellen zu versichern, damit sie wirklich im Herbst ungehindert nach Deutschland kämen.
Aber der Genesene quengelt dazwischen, in Deutschland wäre gar kein Platz für sie. Alles, was aus Russland käme, würde an der Grenze niedergeschossen, solche Angst hätte man dort vor den Bolschewikis, hätten die Soldaten gesagt. Es wäre besser in der Mandschurei, da gäbe es ein angenehmes Leben und jeden Tag zwei Tscherwonzen Löhnung, und das wäre mehr als zwanzig Mark.
Stoi brüllt ihn heftig an, er sollte das erstunkene Gewäsch sein lassen. Aber Tinser fordert sie auf, besorgt um ihr Schicksal, alle gemeinsam und sofort den andern Tag aufzubrechen, er wollte sie führen, wie er sie oft geführt hätte. Er sieht ihre Hände, ihre Gesichter, ihre zerschabte Kleidung, ihre verkrümmten Gestalten, ihre armen Geräte, die gottverlassene Einöde, die ewige Nässe, ihre Gier, ihr menschenunwürdiges Dasein. Sie sollen nach Hause kommen, kein Haar soll ihnen gekrümmt werden, jedermann müsste sich erbarmen über sie und ihr Los.
Aber er redet nicht überzeugend. Denn er fängt einen Blick Stois auf, und da muss er an die morsche Stelle in jenem Berggipfel denken, der hoch über seinem Haupte und über den Wolken lauert. Sie sind noch nicht wieder oben gewesen.
Sein Vorschlag wird auch überstimmt. Sie wären genugsam mit Feuer gewaschen, nun wollten sie erst mal ein wenig ernten, solange das Wetter reichte. Nun, wo sie Konserven und Tabak heraufbekommen sollten.
„Geh hin!“ sagen sie, „geht beide hin und seht vorerst selber nach, ob das Blut schon trocken ist im Gras!“ Und sie sagen auch: „Haltet uns nun nicht länger von der Arbeit ab, denn wir haben keine Zeit, uns umherzutreiben oder Pferdchen zu basteln!“
„Gut!“ brüllt Stoi. „Wir gehen!“
Da gibt Tinser den Schlüssel zum Kompaniespint an Brammer ab, gibt ihm auch das Verzeichnis, das er aus seinem Notizbuch reisst; die Summe wird nachgewogen und verglichen, und alle starren schweigend auf den zarten Haufen in der Schale. Tinser und Stoi haben keinen Schurfanteil daran, und auf das, was ihnen für gemeindienliche Arbeit nach früherem Beschluss zusteht, verzichten sie. Aber man dankt es ihnen nicht gross, man hält sie für grossspurig, und sie hören nur Anweisungen, was sie da unten zu tun hätten, und kaum ein Wort des Bedauerns humpelt ihnen nach.
Brammer und der Genesene, die werden nun ihre Führer und Jäger sein.
Segnungen der Kultur
Sie überlegen, dass es nach Paromesch sechs Tage, nach Kosljansk zehn Tage dauern wird. Und wer weiss, ob sie nicht sicherer sich an die Sowjets wenden. Sie warten die Geschenke nicht ab, die der Syrjäne schicken wird. Eine Flinte und ein halbes Dutzend Patronen, ein Kochgeschirr, einen Becher und zwei zerrissene Zeltbahnen hat man ihnen zugestanden, dazu Röstfleisch für einige Tage. Sie legen es mit auf den kleinen Schlitten, den sie abwechselnd hinter sich herziehen und auf dem sich ein guter Posten Felle befindet, die müssen ihr Reisegeld sein.
Sie klettern abwärts durch die endlosen Wälder, die schlüpfrigen Rinnen hinab. Nach einem halben Tag treffen sie auf Hufspuren. Bis hierher hat der Syrjäne heraufreiten können; der Genesene hat auch ein Pferd gehabt, aber der Wogule ist zu Fuss nebenher gelaufen.
Nach zwei Tagen erreichen sie die Ansiedlung. Der Boden ist zertrampelt, es sind viele Soldaten dagewesen, aber niemand ist zurückgeblieben. Es ist auch nicht viel mehr aufgebaut, als sie sich vom Frühling her erinnern. Fleisch- und Gemüsebüchsen liegen überall verstreut. Sie schnüffeln wie Hunde an den Resten. Abseits, an der mit Steinen eingefassten, umgitterten Stelle finden sie zwei frische Kreuze neben den beiden Dutzend alten. Die drei Kranken, die somit noch übriggeblieben sind, werden also bestenfalls mit den Soldaten davongezogen sein, nach Süden.
Als sie ihr Nachtfeuer entfacht haben, kommt der Wogule. Er ist nicht erstaunt, die beiden zu finden. Er ist verschlagen und gutmütig, seine verkniffenen Augen wissen soviel, wie Raubtiere wissen, die in der Steppe eine Herde beobachten; wer sich absondern wird und allein weiden, wer stark und wer schwach ist, das wittern sie.
Stoi fürchtet Verrat. Tinser jedoch merkt, dass er sich erkenntlich zeigen will von der Tabaksache her, dennoch ist es unleugbar, dass er den Syrjänen geführt hat. Daher ist Stoi wütend und setzt ihm die Flinte auf die Brust und ersucht ihn, ihnen ein anderes Platinlager zu nennen.
Der Arme winselt und fleht, es wäre der einzige Ort bis zum Kap. Tinser schiebt den Gewehrlauf an die Seite, er hätte gehört, dass sie wegen ihrer Götter niemals auf die Berggipfel stiegen. Und Stoi lässt sich die Flinte willenlos aus der Hand nehmen, und Tinser trägt sie von da an.
Der Wogule zeigt ihnen den Weg durch die Steppe, durch das rauhe Grossland. Stoi schiesst einen Fasan und einen grauen Fuchs, und sie verzehren beides. Sie erreichen den Waldstreifen und den Fluss. Der Jäger zieht ein Rindenboot aus einem Krattbusch. Unter den Wäldern gleiten sie dahin, schlafen am hügeligen Ufer. Schon treffen sie Fischerzelte, in denen zerfurchte Komimänner hausen. Sie kreuzen die Petschora, ziehen stromauf, lenken in einen Nebenarm, rollen das Boot auf runden Ästen über einen Hügelwall, setzen auf der anderen Seite wieder ins Wasser und gleiten mit der Strömung. Sie weichen von dem geraden Wege ab.
„Rote Reiter!“ sagt der Wogule.
Nachts unter den spitzen, durchscheinenden Rindendächern hört Tinser den Bayer im Schlaf murmeln: „Sie finden es net! Sie finden es net!“
Wieder geht es aufwärts, und immer wieder nach Westen. Sie müssen waten und treideln. So gelangen sie bis auf den sanften Rücken des Timan. Sie sehen fern die Hütten von Paromesch, aber der Wogule rät ab.
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