1 ...6 7 8 10 11 12 ...27 Scheisspolizei!!
Ein paar Meter weiter führte eine breite Eisentreppe zum Flußufer hinunter, dorthin hat er sich ursprünglich absetzen wollen. Früher, als er es vorhatte, rannte er zum dunklen Wasser hinab. Nichts zu machen, er wird demnächst wieder herkommen, inzwischen muß er sein Äußeres verändern. O ja, das kann er doch jedesmal tun! Wieviel Zeit blieb ihm überhaupt bis zum Zug? Er mußte seinen Arm nahe an die Augen halten, um die Zeiger zu erkennen. Dann bekam er einen Schreck, als die Nacht zum Tage wurde. Haben sie ihn gefunden??
Das Dröhnen der hoch fliegenden Maschinen und das ferne Gebell der Flak beruhigten ihn. Er wußte, daß die Leuchtbomben an den Fallschirmchen die Luftabwehr blenden, doch statt in Angst zu geraten, sah er gebannt dem Reigen zahlloser Stanniolstreifen zu, von denen die Zielgeräte der deutschen Schützen zusätzlich abgelenkt werden sollten.
Mit diesem Feuerwerk hat ihm bestimmt Sie gratuliert.
Morava wurde von dem Lichtzauber bei Jitka überrascht.
«Nehmen Sie sich ein Motorrad, schaffen Sie sie und sich selber heim und morgen früh wieder her!» entschied Beran; die Straßenbahnlinien nach Pankrác waren immer noch unterbrochen, und der Hauptkommissar hatte ein schlechtes Gewissen, weil er die beiden bis tief in die Nacht dabehalten hatte.
Allein der dienstliche Auftrag, mit dem der Chef ihn so unerwartet auszeichnete, brachte Morava aus der Fassung, und die zusätzliche Mission verwandelte den blutigen Tag in einen persönlichen Festtag. Zwei Freuden verquickten sich zu einer, doch selbst deren vereinte Kraft reichte nicht aus, ihm die Scham zu nehmen, die sogar die sprichwörtliche Scheu des Mädchens übertraf.
Bestimmt hätte er sie nur bis vor die Tür des Vorstadthäuschens, fast romantisch in einer der Sackgassen mitten im bewaldeten Felsenhang gelegen, begleitet und sich mit bravem Händedruck von ihr verabschiedet, wären da nicht die Flieger gewesen, die aus rätselhaften Gründen in diesem Moment statt neuer Bombenlasten eine langsam herabsinkende Lichtflut über Prag abwarfen. Offenbar wollten sie sich nur vor einem neuen folgenschweren Irrtum bewahren, Jitka aber sah es als Vorspiel einer Katastrophe an.
«Rasch!» befahl sie ihm mit einer Entschiedenheit, die er nie zuvor an ihr bemerkt hatte, «lassen Sie das Motorrad stehen, und rein in den Keller!»
Natürlich protestierte er nicht, aufgeregt fügte er sich. In einem ganz gewöhnlichen Hauskeller, dessen eilig geräumte Hälfte mit Gartenmöbeln aufgebessert war, warteten sie zusammen mit den vorjährigen Kartoffeln; die Hausbesitzer, ein Kellner und eine Köchin, mit Jitka verwandt, arbeiteten in einem nordmährischen Sanatorium, zur Zeit deutsches Lazarett. Als schließlich die Entwarnung kam, lud Jitka ihn, weil die Küche im Erdgeschoß nicht geheizt war, zum Aufwärmen auf einen Tee mit väterlichem Sliwowitz in ihre Dachstube ein.
Er wärmte sich so sehr auf, daß er endlich den Mut faßte.
«Entschuldigen Sie ...», schon wieder mußte er sich räuspern, um weitersprechen zu können, «entschuldigen Sie die Art, wie ich Sie frage, aber ich habe darin keine Übung ... meinen Sie ... glauben Sie, daß ich Sie ... daß Sie mich ... daß wir uns, daß wir uns vielleicht gut vertragen könnten ...?»
Meckerle hatte wieder mal seine Tage, wie man es bei der Gestapo flüsternd nannte, wenn er schon die Posten am Eingang anschiß. Bald sprach sich herum, warum das heute so war. Der Feuersturm gestern hatte auch die Villa in Dresden weggeputzt, die der Standartenführer vor Jahren arisiert und mit der er sich als sichtbaren Beweis seiner Bedeutung gebrüstet hatte. In seiner Stabsrunde von Offizieren und Beamten war es nur Buback, der nicht vor Angst zitterte.
Er wußte, daß er unter diesen protektionierten Amateuren, darum meist auch Stümpern, der einzige war, der sich auf sein Handwerk verstand. Und er wußte, daß auch Meckerle sich dessen sehr wohl bewußt war. Dafür erkannte er seinerseits an, daß der Riese von SS-Mann, der an den «Bösen Mann» in den Ringarenen der Vorkriegszeit erinnerte, nicht nur zu allem fähig, sondern tatsächlich auch fähig war, die Schlüsselzentrale der Okkupationsmacht zu leiten, notabene in Zeiten, da schon lange nicht mehr gesiegt wurde.
Er stimmte mit ihm überein, daß der Mord an der Baronin eine einmalige Gelegenheit bot, die Eingeweide der tschechischen Polizei zu durchleuchten, die sich erstaunlicherweise gegen die Gestapo zu behaupten wußte; von der Existenz geheimer Strukturen zeugte, wie rasch die bislang angeworbenen Spitzel von allen interessanten Informationen abgeschnitten wurden. Noch gestern hatte er die Arbeit seiner kleinen Dienststelle so organisiert, daß sein Vertreter Rattinger sie zu leiten vermochte, ein erfahrener Kriminalist, den er sich aus Belgien mitgebracht hatte. Er wußte von dessen Gelüst auf seinen Sessel, vor allem aber von dem Problem, das dieser Karriere im Wege stand. Rattinger trank, und Buback deckte vorausschauend seine Affären, womit er sich ihn verpflichtete und sich seiner versicherte. Auf jeden Fehler von ihnen beiden lauerte hier das fanatische Gehirn unter dem kahlgeschorenen Schädel Kroloffs, vermutlich überzeugt, daß Leute wie sie für Deutschland den Krieg verlieren.
Den Fall der an sich unbedeutenden deutschen Witwe gedachte Buback im Einvernehmen mit Meckerle aufzublasen, indem er ihn von deutscher Seite aus persönlich im Auge behalten würde. Damit nötigte er seinem tschechischen Gegenüber die gleiche Geste ab. Nur würde er es sein, der sich unter dem Dach des anderen niederließ und dort seine Geheimwaffe, die Kenntnis der Sprache, einsetzte. Bei soviel Jahren Erfahrung in ähnlichen Apparaten konnte ihm nichts entgehen, was nach Vorbereitungen der Prager Polizei zu einem Aufstand gegen das Reich gerochen hätte.
Als der Standartenführer die hohen Chargen genügend zusammengestaucht und anschließend mehr hinausgeworfen als entlassen hatte, blieb Buback unaufgefordert zurück. Wie er vorausgesehen hatte, beruhigte sich Meckerle im Handumdrehen und kredenzte ihm ein Gläschen Cognac, der diese Bezeichnung verdiente. Er vertraute ihm sogar völlig ungewohnt seinen jüngsten Kummer an.
«Schweine!» drohte er den fernen Piloten mit der Faust, «ich hoffe, wir machen möglichst bald ihre Städte platt. Aus dem Führerhauptquartier weiß ich, daß es tatsächlich bald soweit ist, die V-eins und die V-zwei sind Kinderspielzeuge gegen die neuen Waffen. Aber ich hoffe stark, die andern bepflastern dieses Nest da vorher noch ordentlich, damit den ausgewichsten Schlawinern die Lust vergeht, uns in den Rücken zu fallen!»
Punkt acht erschien der Adjutant und meldete, die Tschechen säßen bereits im Warteraum. Meckerle ließ sie dort noch zwei weitere Cognacs lang hocken. Melancholisch zeigte er Buback Fotos seiner Luxusvilla und teilte ihm auf die höfliche Frage, ob sich die Bewohner wenigstens in Sicherheit gebracht hätten, ohne Begeisterung mit, seine Gattin habe sich dank eines puren Zufalls gerade in Prag aufgehalten. Buback wußte wie alle hier von seinem glühenden Verhältnis mit einer kleinen Ballettratte vom inzwischen geschlossenen Prager Deutschen Theater, es herrschte Verwunderung, daß er dieses Fliegengewicht bisher weder zerrissen noch zerquetscht hatte. Sie schwelgten noch eine Weile in Erinnerungen an die Stadt, mit der sie sich beide verbunden wußten, bis der SS-Mensch vor Leid und Wut rot anlief, sich brüsk erhob und die leeren Gläser wegräumte.
«Also, nehmen wir sie uns zur Brust!»
Herein trat eine Dreiergruppe, die dem Auge ein tristes Zeugnis von der Exekutivgewalt des Protektorats ausstellte; der Polizeidirektor, klein und rundlich, an einen Falstaff erinnernd, Hauptkommissar Beran, schlank und rank, ein Don Quijote, und der junge Mann von gestern, breitschultrig und mit roten Wänglein, eine tschechische Märchengestalt, die Buback jetzt um so mehr mißfiel, als er sie in der Kindheit geliebt hatte: der dumme Hans. Von früher her wußte er jedoch, daß bei den Tschechen der Schein trog. Diese unschuldigen und armselig wirkenden Typen hatten im Nu perfide Tücken parat, und die Pfiffigkeit dieser nur scheinbar dummen Hänsel wurde von ihrer Kraft nur noch vervielfacht.
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