Daniel Koerfer - Kampf ums Kanzleramt

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Verborgener Machtkampf zwischen zwei Gründungsvätern der Bundesrepublik
Ludwig Erhard und Konrad Adenauer – zwei Politiker, die gegensätzlicher nicht sein konnten, prägten die Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland. Doch während Adenauer idealisiert wird, tritt die Rolle Erhards in den Hintergrund – obwohl er jahrelang Adenauers Mitstreiter und schließlich sein Nachfolger war.
Der renommierte Historiker Daniel Koerfer legt sein großes Standardwerk zur deutschen Nachkriegsgeschichte in einer aktualisierten und erweiterten Ausgabe vor. In einem neuen Kapitel untersucht er auf der Basis neuer Quellen Erhards Tätigkeit während der Nazi-Diktatur, unter anderem als Gutachter für die NS-Haupttreuhandstelle. Neu hinzugekommen sind des Weiteren Kapitel über sein Verhältnis zu Wilhelm Vershofen, seinen Kontakt zu Carl Goerdeler, der intensiver als bisher angenommen war, und seine tragende Rolle bei der Einführung der dynamischen Rente.
– Hintergründe und Details zum politischen Kräfteringen zwischen dem «Alten» aus Röhndorf und dem «guten Menschen vom Tegernsee»
– Das Standardwerk zur deutschen Geschichte der Nachkriegszeit: vollständig durchgesehen, aktualisiert und erweitert
– Konrad Adenauer verklärt, Ludwig Erhard weitgehend vergessen: Eine kritische Auseinandersetzung mit der historischen Darstellung
– Von erfolgreichen Partnern zu erbitterten Rivalen: Ein Sachbuch, das sich so spannungsreich und dramatisch wie ein zeithistorischer Roman liest
Insgesamt schildert Koerfer in seinem Sachbuch minutiös die spannungsreiche Beziehung des ersten Bundeskanzlers zu seinem Wirtschaftsminister. Er liefert Hintergründe und Details zum politischen Kräfteringen zwischen dem «Alten» aus Röhndorf und dem «guten Menschen vom Tegernsee»
Ein Sachbuch, das sich so spannungsreich und dramatisch wie ein zeithistorischer Roman liest.
Erhard und Adenauer: ein Stück deutscher Zeitgeschichte aus der Perspektive zweier Schlüsselfiguren
Adenauer, der kühle Taktiker, und Erhard, der noble Idealist – so gegensätzlich die beiden Politiker sind, so ideal ergänzen sie sich. Beide kämpfen für die Freiheit: nie wieder Diktatur, Rassenwahn und Klassenkampf. Somit ist die Ära Adenauer ebenso eine Ära Erhard.
Daniel Koerfer gibt in seiner Analyse Einblick in die Adenauer'sche Kanzlerdemokratie. Er wertet exklusives Archiv-Material aus, durchleuchtet den umfassenden Briefwechsel zwischen Adenauer und Erhard und führt Interviews mit Zeitzeugen. All das fließt in diese Doppel-Biografie ein, wird sorgfältig erläutert und in den zeithistorischen Kontext eingeordnet. So entsteht ein facettenreiches und authentisches Bild zweier großer deutscher Politiker, deren politisches Erbe bis heute fortwirkt!

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Berg holte zum Generalangriff aus. In einer langen, temperamentvollen Rede verurteilte er die von Erhard, Schäffer und Vocke angekündigten oder bereits durchgeführten Schritte – ohne die Initiatoren namentlich zu erwähnen. Den Zollsenkungsplan des Wirtschaftsministers, die Zahl von 30 Prozent nannte er »maßlos« und »konjunkturpolitisch verfehlt«, weil eine konjunkturelle Überhitzung momentan überhaupt nicht bestehe – auf keinen Fall könne die Industrie einem solchen Vorhaben zustimmen. 118Natürlich sprach Berg hier als Interessenvertreter: Die Zollsenkung erhöhte zwangsläufig den Konkurrenzdruck auf dem inländischen Markt und machte Preissenkungen erforderlich – daran konnte den Unternehmen nicht gelegen sein. Darüber hinaus wehrte sich Berg gegen alle geplanten Einschränkungen der Abschreibungsmöglichkeiten, drohte auch hier »schärfsten Protest« an, forderte andererseits umgehend einen Steuerabbau, eine Steuerentlastung für die Industrie, um die »Eigenkapitalbasis der Unternehmen zu stärken«. Schließlich wandte er sich gegen die Diskontpolitik der Notenbank, weil durch die wiederholte Erhöhung des Diskontsatzes Kredite auf unvorhersehbare Weise teurer, mithin alle Finanzplanungen der Industrie über den Haufen geworfen worden seien. Während die kapitalschwachen deutschen Unternehmen unter Geldmangel litten, betreibe die öffentliche Finanzwirtschaft eine von der Notenbank unterstützte »Hortungspolitik«, wodurch – eine etwas überraschende Schlussfolgerung – »die Entwicklung zum Staatssozialismus gefördert« werde.

Eine deutliche, drastische Sprache, gewiss, aber für Berg nicht ungewöhnlich. Tatsächlich wirkten seine Formulierungen geradezu harmlos im Vergleich zu der Rede, die unmittelbar folgen sollte. Der Bundeskanzler ergriff das Wort. Was er sagte, musste als die eigentliche »Sensation des Abends« gelten, wie sich Hans Dichgans, damals in Organisationen der Stahlindustrie tätig, erinnerte. 119Adenauer sagte dabei unter anderem:

»Ich bin, trotzdem ich wußte, daß ich hier in eine etwas geladene Atmosphäre kam, gern hierher gekommen, weil es auch mir am Herzen liegt, zur Klärung beizutragen. Deswegen bin ich Ihnen, Herr Präsident Berg, besonders dankbar für die Offenheit, mit der Sie gesprochen haben. Denn Offenheit ist immer die unumgängliche Voraussetzung, um möglichst der Wahrheit nahezukommen. Ich kann diese Offenheit nicht in allen Teilen Ihrer Rede, aber doch in einem sehr großen Teil Ihrer Rede umso mehr begrüßen, als ich – ich möchte das, meine Herren, sehr nachdrücklich betonen – unbeteiligt bin an den Beschlüssen, die in Frankfurt gefaßt worden sind. Und – meine Herren – namentlich tue ich das, weil ich gesehen habe im Gespräch mit Tischgenossen, daß über das Verhältnis zwischen der Bundesregierung und der Bank deutscher Länder, dem Zentralbankrat, keine Klarheit besteht. Der Zentralbankrat, meine verehrten Herren, ist vollkommen souverän gegenüber der Bundesregierung. Er ist natürlich verantwortlich gegenüber sich selbst. Aber wir haben hier ein Organ, das niemandem verantwortlich ist, auch keinem Parlament, auch nicht einer Regierung … Ich bin, ich sage das in aller Offenheit, heute Abend noch nicht in der Lage, mir ein definitives Urteil zu bilden über die Einzelheiten der Beschlüsse, die da gefaßt worden sind. Aber eines weiß ich schon jetzt: es ist der deutschen Konjunktur ein schwerer Schlag versetzt worden, und auf der Strecke bleiben werden die Kleinen. Und zwar gilt das sowohl für die kleinen Industrien, wie für die kleineren Landwirte, wie für die kleineren Handwerker – kurz und gut, das Fallbeil trifft die kleinen Leute. Und deswegen bin ich sehr betrübt darüber. Ich habe bisher nicht den Eindruck gewonnen, daß eine derartige Maßnahme notwendig war. Ich habe nicht einmal die Überzeugung gewonnen, daß sie den gewollten Effekt erreicht. Ich habe für morgen abend eine Kabinettssitzung anberaumt, in der wir uns mit diesen Fragen beschäftigen werden und in der namentlich der Wirtschaftsminister und der Finanzminister, die an den Beratungen des Zentralbankrates teilgenommen haben, uns darüber Rechenschaft geben werden, warum und was sie dort vorgeschlagen haben … Ich bin Ihnen, Herr Präsident Berg, sehr dankbar, daß Sie stark unterstrichen haben die Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit. Und ich kann, meine verehrten Herren, hier nur sagen, daß bei allen Besprechungen, bei denen Präsident Berg zugegen war, ich immer die Überzeugung gehabt habe, er spricht aus dem Gefühl der Verantwortung für das allgemeine Interesse …

Herr Präsident Berg hat eine Fülle von Anregungen gegeben. Und wir werden alle, wie er mir sagte, seine Ausführungen auch gedruckt bekommen. Man konnte nicht alledem folgen oder sofort darauf antworten, was er gesagt hat, aber, meine verehrten Herren, in einigen Punkten, die ich mir notiert habe, kann ich ihm nur recht geben. Und das ist auch das Wort, das er über die Zollpolitik gesprochen hat. Es ist ein sehr zweischneidiges Schwert, mit der Zollpolitik herauf- und herunterzugehen und je nach Bedürfnis in dem Inneren der Wirtschaft mal so, mal so zu machen. Meine Herren, die außenpolitische Lage in der Welt ist noch niemals in den letzten sieben Jahren – ich glaube, man kann noch weiter zurückgehen – so schwierig, so verworren und so unsicher gewesen wie jetzt … Und ich halte mich auch für verpflichtet, das zu sagen, weil ich der Auffassung bin, daß unter Umständen Maßnahmen, wie sie in den letzten Tagen getroffen worden sind, auf die außenpolitische Lage der Bundesrepublik erheblich einwirken werden … Denn, meine Herren, Wirtschaft und Politik sind in unserer Zeit untrennbar miteinander verbunden. Wenn die Wirtschaft nicht stabil ist, kann man keine stabile Politik treiben, und wenn die Politik nicht stabil ist, kann die Wirtschaft auch nicht stabil sein. Und wer deswegen das Recht hat, in der Wirtschaft entscheidende Weichen zu stellen, der muß sich klar sein über diese Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik …

Und nun, meine verehrten Herren, wollen wir die Situation, wie sie nun einmal entstanden ist – und sie ist nach meiner Meinung, ich sage das in aller Offenheit hier, entstanden, weil man die Probleme, die mit einer Vollbeschäftigung naturgemäß verbunden sind – nicht mit der nötigen Kaltblütigkeit betrachtet hat. Nun müssen wir sehen, meine verehrten Herren, das Beste daraus zu machen … Also, wir wollen auch mal versuchen, zu rationalisieren. Wir haben’s verdammt nötig. Ich gebe es ganz offen zu. Wir haben’s viel zu sehr verfeinert bei der Bürokratie. Wir sollten, meine verehrten Herren, einfacher denken. Das sage ich ganz offen und ehrlich. Je einfacher denken, ist oft eine wertvolle Gabe Gottes. Und diejenigen, die so verdreht denken, das sind nicht immer die klügsten Männer. Wobei ich natürlich hinzusetze, ich habe niemanden damit gemeint. Aber nun, ich komme zum Schluß und möchte nochmals das sagen, was ich eben gesagt habe. Die Situation ist da. Die Situation ist auch nach meinem Gefühl ernst …« 120

Was sich im Rückblick streckenweise wie die Persiflage einer Adenauer-Rede liest, brachte im Gürzenich niemanden zum Lachen. Adenauer schlug sich ganz unzweideutig auf die Seite von Berg, nahm – mit schonungsloser Offenheit – gegen Erhard, Schäffer und Vocke Stellung. Die Wirkung seiner Rede war ungeheuer. War es die vorgerückte Stunde, war es die aufgeladene Atmosphäre, deren Spannung sich auf ihn selbst übertrug, oder was sonst hatte den Kanzler veranlasst, so gegen die Notenbank und seine Minister vom Leder zu ziehen? Nachdem er betont hatte, unbeteiligt an den Beschlüssen von Frankfurt, bei der Erhöhung des Diskontsatzes gewesen zu sein, äußerte er sich auffälligerweise zuerst – voll Bedauern – über die rechtlich unabhängige Zentralbank, die nur sich selbst, aber keinem Parlament, keiner Regierung (!) verantwortlich sei. 121Ein wichtiges Indiz. Adenauer hätte nur zu gern seinen Einflussbereich auch auf die Zentralbank ausgedehnt. Mit gutem Grund kommentierte der vorsichtig zurückhaltende Präsident Wilhelm Vocke später: Der Bundeskanzler »konnte … der Versuchung, sich in die Währungspolitik einzuschalten und auch hier die Richtlinien aufzustellen, nur schwer widerstehen. So kam es zu Differenzen mit der Notenbank, die kein Ruhmesblatt in Adenauers Wirken bilden. Gewiß, es ist nichts passiert. Aber doch nur, weil das Gesetz der Notenbank die unbedingt nötige Unabhängigkeit einräumte …« 122

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