1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Alle drei sprangen auf, und Eckel machte als Dienstältester Meldung.
Der Zivilist nickte lässig: ›Warum denn am frühen Morgen schon so aufgeregt, Hauptsturmführer?‹ fragte er und streifte uns mit einem Blick ohne jedes Interesse: ›Wer sind diese Leute?‹ fragte er.
›Abraham und Esau‹, erwiderte Eckel. ›Der Stolz des gelobten Landes.‹
›Und?‹
›Brüder‹, sagte Eckel giftig. ›Als ob nicht einer von denen schon genug wäre.‹
›Zahlungsverzug‹, schaltete sich Dumbsky ein. ›Im Interesse eines reibungslosen Geschäftsablaufs sollten wir natürlich diese Terminüberschreitungen nicht ins Uferlose …‹
›Dann erhebt einen Säumniszuschlag‹, erwiderte der Mann.
›Längst geschehen. ‹ Dumbsky lächelte schief: ›Und in durchaus angemessener Höhe.‹
›Na also‹, entgegnete der Besucher. ›Mit den Herren geht es wie mit dem Wein: der wird auch jeden Tag wertvoller.‹
›Wenn er nicht verdirbt‹, maulte Eckel. ›Ich muß mit Ihnen reden, Sturmbannführer. So geht’s nicht weiter …‹
›Apropos Wein‹, erwiderte der Chef. ›Ihr seid vielleicht schlechte Gastgeber geworden. ‹ Er ging voraus, öffnete die Tür zum nebenan liegenden Konferenzzimmer, auf dem Weg zum Getränkeschrank.
Keiner kümmerte sich um uns. Wir blieben wie vergessen zurück. Wir konnten hören, daß sie tranken, alten Cognac am frühen Morgen, und wir verfolgten jedes Wort des Gesprächs durch die offene Tür, denn keiner der Teilnehmer wußte, daß wir deutsch wie Deutsche sprechen konnten.
›Santé!‹ sagte der Chef der Menschenhandelsgesellschaft zu seinen Lieferanten: ›Also, dann schießen Sie mal los mit Ihren Beschwerden, Eckel. ‹
›Sie haben leicht reden, Sturmbannführer‹, entgegnete Eckel. › Was meinen Sie, wie mich unsere Abteilung IV B 4 ständig löchert. Die schmieren mir jeden Häftling einzeln aufs Brot. Ich muß melden, was aus diesen Scheißkerlen geworden ist. Ich muß sie namentlich ausbuchen. So oder so.‹
›Habt ihr denn so wenige?‹
›Bei uns gibt es ein Soll, Sturmbannführer‹, erwiderte Eckel, ›und das Soll ist ein Muß.‹
›Sie sind ein ganz sturer Kommißkopp, Eckel‹, entgegnete der Chef belustigt. ›Sie sollten nicht so achtlos mit unseren Devisenbringern umgehen. Sportsfreunde‹, wandte er sich an die anderen, ›das ist doch wohl die reinste Wehrkraftschädigung, oder nicht?‹
Sie lachten und lärmten.
›Wenn wir nicht mehr Köpfchen hätten‹, sagte Linsenbach, ›dann würde demnächst kein deutscher Düsenjäger in die Luft steigen und bald auch keine Lokomotive mehr fahren. ‹
›Warum?‹ fragte Eckel stumpfsinnig.
›Weil die Dampfloks Kupferteile haben und wir das Kupfer bringen …‹
›Das Geld für die beiden Greenstones ist sicher längst unterwegs‹, warf Saumweber ein.
›Drei Tage könnten wir ja vielleicht noch prolongieren‹, schlug Dumhsky vor.
›Da mach ich nicht mehr mit‹, erwiderte Eckel.
› Sie sturer Bock‹, entgegnete der Chef gutgelaunt. › Ihnen zuliebe werde ich vielleicht das Angebot halbieren und den Erlös verdoppeln.‹
›Prima Idee, Sturmbannführer, erwiderte Dumhsky. ›Wir werfen einfach ’ne Münze: Kopf oder Zahl. Joseph oder Nathan. Jesum oder Barnabam.‹
›Da weiß ich etwas viel Besseres‹, versetzte Eckel, der Bluthund: ›Die sollen doch selbst entscheiden, wer weiterleben darf.‹«
Feller stockte beim Lesen. Es wurde ihm schlecht. Die Buchstaben tanzten vor seinen Augen wie Fliegenschwärme. Er stand auf, ging an den Schrank und vergriff sich an der Gästeflasche Bourbon, obwohl selbst für die leitenden Angestellten der Firma während der Arbeitszeit striktes Trinkverbot herrschte. Feller trank, aber er konnte den widerlichen Geschmack nicht hinunterspülen. Der alte Roskoe würde ihm unter diesen Umständen die Alkoholfahne verzeihen.
»Es hatte sich angehört, als wollte sich der Mann von der Dewakoeinen makabren Scherz leisten, aber als ich den Blick meines Bruders suchte, der mich mit den Augen und dem Gesicht meines Vaters ansah, spürte ich, daß ich unsere angetrunkenen Folterknechte unterschätzt hatte und daß Joseph mit der erbarmungslosen Todeslotterie rechnete. ›Hör zu‹, sagte er leise: ›Ich werde das übernehmen. Du mußt durchkommen.‹
Ich wehrte mich dagegen.
›Denk an unsere Mutten, sagte Joseph. › Wir wollen doch keine zwei Todesfälle in der Familie haben!‹
Er kam nicht weiter, der Posten holte uns ab. Wir wurden in getrennte Zellen geschafft, während oben das Gelage weiterging.
Mutter litt an Herzkranzverengung. Bei der kleinsten Aufregung konnten äußerst schmerzhafte, lebensbedrohende Angina-pectoris-Anfälle auftreten. Ich spürte auf einmal groß und überwältigend die Versuchung, mich hinter dem Leiden meiner Mutter zu verstecken, um die eigene Haut auf Kosten meines Bruders zu retten.
Er war nicht Abel, and ich wollte nicht Kain sein.
Aber ich wollte auch nicht sterben, nicht mit 24, nicht in einer Zelle wie ein stranguliertes Tier, und nicht, ohne mich wehren zu können. Meine Gedanken rannten gegen die Wand, rannten sich den Kopf ein. Und dieser Kopf wollte überleben.
Ein paar Stunden später wurden wir wieder in das Vernehmungszimmer geholt. Diesmal sahen wir nur Dumbsky und Eckel, Saumweber und der Chef waren weggefahren.
›Bedankt euch beim Sturmbannführer, sagte Eckel und grinste. ›Reif seid ihr ja beide, aber in unserer Güte begnügen wir uns mit einem. Was meinst du‹, sagte er und stieß Joseph leicht mit dem Fuß an:
›Willst du auf die Reise gehen? Oder sollen wir lieber ihn schicken?‹
›Mich‹, entschied Joseph.
Dumbsky grinste und drehte sich um: ›Wir sollten den anderen auch noch fragen‹, sagte er. ›Er soll auch seine Chance haben. ‹
Ich schwieg. Eckel deutete auf Joseph.
Ich schüttelte den Kopf.
Er deutete auf mich.
Ich schüttelte wiederum den Kopf.
›Da herrschen noch Unklarheiten‹, sagte Dumbsky mit leiser Stimme. ›Ist ja auch kein Pappenstiel, diese Entscheidung. Komm, Wulf-Dieter, lassen wir die Herren Familienrat halten. ‹ Er stand auf. ›Fünf Minuten. Wir trinken noch einen, dann verkünden uns die beiden Schriftgelehrten ihren weisen und einstimmigen Entschluß. ‹
Sie gingen hinaus. Ich überlegte, ob es einen Sinn hätte, mit einem Satz zum Fenster hinauszuspringen. Joseph zwang mich, stehenzubleiben und ihn anzusehen.
›Paß auf, Nathan‹, sagte er. ›Ich bin auch nicht erpicht auf das, was ich tun muß. Ich hab’s leichter als du. Ich habe keine Angst. ‹
›Keine Angst?‹ fragte ich und verachtete mich.
›Aus einem anderen Grund‹, erwiderte er und sprach so leise, daß nur ich es hören konnte: ›Ich gehörte zum Office of Strategie Service (OSS). Ich bin im Auftrag des Generals Donovan nach Frankreich gekommen. Ich habe die Maquisards aus der Luft mit Waffen und Ausrüstung versorgt, und ich hatte den Befehl, die Invasion der angloamerikanischen Streitkräfte vorzubereiten. Ich bin ein Geheimnisträger ersten Ranges. Und ich ersticke an dem Alptraum, daß sie mich zum Reden bringen könnten. ‹
›Dich doch nicht‹, entgegnete ich.
›Jeden‹, sagte Joseph: ›Sogar noch Steine. Und dann sterben vielleicht zehn, fünfzehn Mann, oder es geht eine ganze Landedivision vor die Hunde. Davor fürchte ich mich‹, gestand er, ›und vor nichts anderem.‹
Er konnte nichts mehr sagen.
Unsere beiden Peiniger kamen zurück.
Dumbsky baute sich vor meinem älteren Bruder auf: ›Und?‹ fragte er genüßlich.
›Es bleibt dabei‹, antwortete Joseph.
›Und du bist damit einverstanden?‹ wandte sich Dumbsky an mich.
Ich nickte mit einem Kopf, der so schwer war, als hätte er den ganzen Erdball zu tragen.
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