1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 ›Na, also‹, sagte Eckel. ›Dann nehmen wir ihn auch gleich mit.‹
›Sei nicht so roh, erwiderte Dumbsky. ›Schließlich sind sie Brüder und sollen sich voneinander verabschieden.‹
Ich wollte ihm ins Gesicht springen, aber Josephs Blick nagelte mich fest, zwang mich, alles über mich ergehen zu lassen, zu begreifen, daß er einer Vernunft folgte, die für ihn tödlich wäre und mich – vielleicht – am Leben ließe.
Joseph legte den Arm um mich, drückte mich an sich, wie sie es ihm befohlen hatten. Er ging, ohne sich umzudrehen – trotzdem brennt mir heute noch sein Blick im Gesicht.
Ich sah Joseph noch einmal. Am nächsten Morgen. Als mich Eckel abholte, wußte ich, daß er an der Heizung hängen würde. Er hatte ein verschwollenes Gesicht mit blauen Lippen, vielleicht vom Todeskampf. Sein linkes Auge war geöffnet und blickte starr zur Decke, das rechte geschlossen.
›Dein Bruder hat sich leider aufgehängt, heute nacht‹, sagte Eckel. ›So ein blöder Kerl. Wir hätten ihm doch gar nichts getan – war doch alles nur ein fauler Witz. ‹
Ich wußte, daß sie Joseph ermordet hatten.
Vier Tage später erfuhr ich, daß das Geld aus New York in der Schweiz eingetroffen sei. Ich wurde gegen 400 000 Dollar freigelassen und konnte mich später von Lissabon aus in die Staaten einschiffen, wo ich mich sofort freiwillig zur US-Air Force meldete.«
Feller stand so abrupt auf, daß sein Stuhl umstürzte. Er stürmte an verblüfften Sekretärinnen vorbei durch das Vorzimmer. Roskoe blickte auf, er wirkte ernst, würdig und nachdenklich.
»Es tut mir leid, Henry«, sagte er, »ich habe Ihnen die Falle gestellt. Es war unfair. Ich wußte, daß Sie keine Chance hätten, ihr zu entkommen.«
»Okay«, erwiderte der Anwalt. »Ich weiß nicht, was ich tun kann, aber ich werde etwas unternehmen.«
»Sie haben jede Unterstützung von mir«, antwortete der Senior. »Und das heißt, daß Sie sich soviel Zeit nehmen können, wie Sie wollen, daß Ihnen jede Summe zur Verfügung steht und daß ich Ihnen meine Beziehungen –«
Henry W. Feller nickte, ging zurück, läutete einen Kontaktmann beim Geheimdienst in Washington, D. C., an. Er bat ihn, die Akten über die deutsche Firma Dewakoin Paris 41 bis 44 auszugraben.
Kurze Zeit später erhielt der Anwalt einen Rückruf von CIA-General Lionel M. Rings: Ein eingeschlafener Fall war ins Rollen gekommen.
Der Frühling war in den letzten Mai-Tagen wie ein Prahlhans in das Revier eingezogen. Seit Tagen öffnete ungewöhnliche Wärme Fenster und Zapfhähne. Die pralle Sonne beleuchtete eine Landschaft von verzweifelter Schönheit. Die Kühltürme schienen den Atem anzuhalten, und nichts ließ unter diesem blauen Himmel erkennen, daß in den Kohlenpott alljährlich 25000 Tonnen Ruß fallen, der 75000 Eisenbahnwaggons füllen könnte, so viel, daß die Ruhrbewohner, ein kerniger Menschenschlag, geprägt von Maloche und Mutterwitz, sagen: »Wer sich in Essen zweimal schnäuzt, hat ein Brikett im Taschentuch.«
Sabine war nun schon fast vier Monate bei Müller & Sohn, und es schien ihr, daß an ihrem neuen Arbeitsplatz nicht nur in diesen Tagen die Sonne scheine. Jedenfalls hatte sich bisher Nareike als der angenehmste Chef erwiesen, den sie je gehabt hatte, und er war immerhin schon der fünfte, und auch mit den anderen war sie meistens recht gut ausgekommen.
Es war Mittagszeit. Sabine saß an einem für sie reservierten Platz im Casino, das den Mitarbeitern der Direktionsetage zur Verfügung stand. Daneben gab es noch eine Kantine, aber die Speisen kamen aus der gleichen vorzüglichen Küche. Der alte Müller, der nie vergessen hatte, daß er aus kleinen Verhältnissen nach oben gekommen war, verwöhnte seine Arbeitnehmer. Im Grunde kümmerte er sich nur noch um die sozialen Belange und – es war seine Marotte – darum, daß Wasser und Strom nicht vergeudet würden. Die sonstige Geschäftsführung überließ er seinem Bevollmächtigten Werner Nareike.
Sabine lächelte der Kellnerin zu, die ein duftendes Pfeffersteak mit einer großen Salatplatte anschleppte. Sie sah hinter ihr die »resche Zängerin« oder auch »Pralline« – nie hatte sie jemand in diesem Haus anders genannt –; die Sekretärin des Personalchefs zögerte, trat dann an Sabine heran: »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie bei Tisch störe, Fräulein Littmann«, sagte sie. »Bei Ihnen liegt noch die Urlaubsliste, wenn Sie sie bald zurückreichen wollten …«
»Ich werde meinen Chef daran erinnern«, erwiderte Sabine, sie bemerkte das Zögern ihrer Kollegin und lud sie – mehr höflich als erfreut – ein, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Die Zängerin war eine gutmütige, nicht übertrieben intelligente Person, die – wenn der Haustratsch stimmte – von ihren prallen Rundungen reichlich Gebrauch machte. Jedenfalls rühmte man ihr nach, daß sie über ein großes Herz und über ein breites Bett verfüge. Die »Pralline« war weder unbeliebt noch unverspottet. Die Firmen-Fama jedenfalls machte aus den beiden Sekretärinnen der Direktion extreme Gegensätze, und die Männer munkelten, daß sich die Zängerin mit jedem Betriebsangehörigen, und die blonde Sabine mit keinem einlassen würde.
»Gefällt es Ihnen bei uns?«
»O ja, Fräulein Zänger«, antwortete Sabine. »Ich habe mich fraglos verbessern können.«
»Sie machen hier ja auch ganz schön Furore«, erwiderte die »Pralline« lachend: »Sehen Sie, sogar mein lieber Chef bekommt schon Stielaugen, wenn er Sie ansieht.«
»Herr Brill?« erwiderte Sabine, als hätte sie es nicht bemerkt.
»Leider ist er nicht mit Direktor Nareike zu vergleichen«, plapperte die Zängerin weiter. »Gewiß, unser Oberster ist ein komischer Heiliger, aber wenn man sich einmal an ihn gewöhnt hat, kann man prima mit ihm auskommen.«
Sabine wollte den Redefluß stoppen, aber das war nicht so einfach.
»Und manche Dame, die hinter seinem Rücken lästert, tut es nur, weil sie bei ihm nicht gelandet ist. Was meinen Sie, wer hier im Haus schon alles hinter ihm her war – aber er ist kein heuriger Hase.«
Sabine schwieg. Es war ein Tadel, aber die »Pralline« hatte keine Empfindung für Feinheiten: »Und er ist anders als mein lieber Chef«, schwärzte sie Erwin Brill an, »der nach oben bukkelt und nach unten tritt.«
»So schlimm?« fragte Sabine zerstreut, sie mochte Brill auch nicht, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Manche hielten sie für arrogant, weil sie sich so konsequent von ihnen fernhielt, und einige sagten, Sabine könnte nicht besser zu diesem Nareike passen, der kein Privatleben, keine Verwandten, keine Freunde, keine Frau und keinerlei private Neigungen hatte und offensichtlich nur mit seiner Firma verheiratet war, und zwar extrem monogam.
»Hoffentlich gehe ich Ihnen nicht auf die Nerven«, plapperte die »Pralline« weiter. »Aber mir haben Sie gleich gefallen, Fräulein Littmann. Vor allem, weil Sie den Junior so abblitzen lassen.« Sie lächelte leicht vergiftet. »Der alte Müller ist ja ein köstlicher Kerl, aber wenn sein Sohn, dieser Möchtegerm-Playboy, den Laden mal in die Hand bekommt, landet die Firma im Graben.«
»Mahlzeit«, erwiderte Sabine. »Ich habe leider zu tun.« Sie stand auf, ging in ihr Büro zurück und rief durch die offene Tür: »Brauchen Sie mich, Herr Direktor?«
»Erraten, Sabine«, erwiderte Nareike lachend. »Aber es eilt nicht übertrieben, rauchen Sie ruhig noch Ihre Verdauungszigarette.«
Er gab eine Antwort, die typisch für ihn war, er blieb freundlich und auch sachlich, ein Herr mit manikürten Manieren. Sie bewunderte ihn, doch nicht so sehr, daß sie in Gefahr geriete, sich mit ihm einzulassen. Er machte auch gar keinen Versuch, über die Intimität der Bürogemeinschaft hinauszugelangen. Sabine gestand sich, daß sie Nareike mochte und daß sie ihn fürchtete, obwohl er zu ihr, wie zu fast allen anderen Mitarbeitern, stets höflich war, selten ein lautes Wort sagte und auch in peinlichen Momenten über der Situation stand. Sie spürte eine seltsam-lähmende Faszination, die von ihm ausging. Sie wußte, daß sie nicht die einzige war, der es in diesem Hause so erging.
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