1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Das wäre schade!
Langsam dreht er den Karton um.
Ah! Doch etwas Schriftliches.
„Samiela“ — und dann ein nicht mehr zu entziffernder Name mit Bleistift gekritzelt. „Hotel Bristol. 12 Kabinett, bis Freitag bestimmt“ — und dann ist alles wieder ausgestrichen.
Ach so! Nach Besichtigung sind selbstredend keine Bestellungen erfolgt, sondern es ist wohl eine andere Aufnahme angefertigt.
Samiela heisst sie.
Der Name ist so eigenartig wie das ganze Bild.
Wer ist es?
Na, Günther muss ja Bescheid wissen und auch ihren Zunamen kennen.
Die Tür wird hastig hinter ihm aufgestossen, und Herr Günther steht auf der Schwelle.
Sein ganzes Angesicht strahlt Vaterstolz und Vaterfreude.
Der Husarenoffizier reicht ihm herzlich die Hand, gratuliert mit liebenswürdigen Worten und hat viel Interesse dafür, dass die Kleine zehn Pfund wiegt.
„Alle Donner! Stramme Leistung!“
Na und dann kommt man auch auf die neueste Aufnahme von Herrn von Savaburg zu sprechen.
Günther ist begeistert.
„Diesmal hat die Sache grossartig geklappt, Herr Baron! Ein Bild so schick, so tadellos, wie ich lange keins herausgebracht habe, wenn Sie gestatten, möchte ich es brennend gern in die Auslage drunten aufnehmen.“
Und der Sprecher reisst erst drei verschiedene Schubfächer auf, durchwühlt sie mit nervösen Händen und hat endlich das kleine Päckchen gefunden, aus dem Sigurds dunkle Augen sieghaft hervorblitzen.
Sigurd lacht.
„Na, wenn Sie glauben, bester Herr Günther, wir können damit in Ehren bestehen, wollen wir die Chose einpacken. Zuvor aber eine Frage: Wer ist die Dame hier auf diesem Bild?“
Der Photograph blickt höflich auf die dargezeigte Aufnahme nieder.
Dann weicht er zurück, als habe er ahnungslos auf einen Frosch gefasst.
„Zum Kuckuck! Da ist ja das ekelhafte Bild immer noch!“ stösst er kurz hervor.
„Nanu? So ekelhaft finde ich es nicht! Die Dame scheint sogar sehr schön zu sein!“
„Eine der grausigsten Aufnahmen, die je gemacht sind.“
„Das kann sein.“
„Wie ein Spuk! — Meine Frau hat ja geschrien vor Schreck, wie sie das Gespenst entwickelte!“
Der Husar lachte leise auf. „Wohl möglich! Es wirkt verblüffend. Aber ich nehme an, dass die Dame mächtig gewackelt hat oder sonst sehr unruhig gewesen ist, just in dem Moment, wo Sie knipsten!?“
„Keins von allem! Wie ein Rätsel ist uns allen diese verquatschte Platte gewesen.“
„Und die Dame selbst? Wie heisst sie denn im Zivilleben?“
Günther sann zerstreut nach.
„Ja, du liebe Zeit, all die Namen! Wer kann sie merken!“
„Niemand aus hiesiger Stadt?“
„O bewahre! Sie wohnte damals in dem Hotel Bristol. Darf ich einmal bitten, der Namen ist wohl auf dem Bild notiert!“
Sichtbar widerwillig griff der Photograph nach dem Kartonpapier.
„Samiela“, buchstabierte er. „Das andere ist beim besten Willen nicht zu enträtseln!“
„Sie graulen sich ordentlich, das Bild anzufassen!“ lachte Sigurd abermals, „und haben es doch selber angefertigt!“
„Das ist das wenigste, Herr Baron, es ist noch etwas anderes mit dem mysteriösen Ding.“
„Sie tun mir einen Gefallen, Verehrtester, wenn Sie alles Nähere darüber erzählen.“
„Viel weiss ich selber nicht. Als die Fremde zuerst kam, war ihr Haar durch das Regenwetter stark gelöst. Ich schlug vor, doch die moderne Schleieraufnahme zu machen, die dem Fehler sogleich abhelfen werde. Einen weissen Schleier wies sie brüsk zurück.
‚Ich würde ja aussehen wie eine Braut, das will ich nicht.‘
Sie war schön und interessant. Ich wagte höflich einzuwerfen: ‚Was noch nicht ist, kann ja noch werden, meine Gnädigste.‘ Ich wusste allerdings nicht, ob sie Frau, Mädchen oder Witwe war, — na, man schwatzt eben aus Höflichkeit so mancherlei.
Sie bekam etwas Starres, Kaltes.
‚Ich wüsste nicht wie. Ich habe im Leben nie Liebe gesucht, weil ich nie welche empfangen habe, seit Kindesbeinen nicht, und was man nicht kennt, entbehrt man nicht!‘
Ich beschwichtigte sie lächelnd: ‚Und wenn der Rechte doch noch kommt?‘
Sie sah ironisch aus; aus ihren Augen ging es wie ein grelles Feuer.
‚Ich mache enorme Ansprüche! Sie hörten, nach Liebe frage ich nicht, nach Ehre desto mehr. Wenn ein Mann mir garantiert, mich zu einer weltberühmten Frau zu machen, so könnte ich mich vielleicht in ihn verlieben — vielleicht!‘
Das klang alles so wunderlich.
‚Sie sind auf der Reise, gnädiges Fräulein?‘
‚Ja, ich wohne in Bristol, bin auf der Fahrt nach England und will von dort zu Verwandten nach Amerika.‘
Sie sah so spöttisch dabei aus, als mokiere sie sich über mein neugieriges Interesse.
‚Die Bilder müssen bis Freitag fertig sein, ich muss sie noch etlichen Bekannten hier in Deutschland zurücklassen.‘
‚Fürchten Sie sich nicht vor der weiten Reise über das Meer?‘ fragte ich noch, warum wusste ich eigentlich selber nicht.
Da richtete sie sich in dem schwarzen Schleier hoch auf und ihr Blick sah an mir vorüber ins Leere.
„Nein! Sie meinen, das Schiff könne untergehen? Das ist ja vollkommen gleichgültig. Das Leben hat keinen Wert für mich, denn ich weiss, dass es nach dem Tode erst für mich beginnen wird.“
„Wie verrückt!“ fuhr Sigurd ganz empört auf.
„Nicht wahr? Das fand ich damals auch, Her Leutnant. Na, es muss auch solche Käuze geben.“
„Und was sagte sie zu der Aufnahme, die ihre Worte beinahe illustrierten?“
Günther zuckte die Achseln.
„Nichts. Ich teilte ihr telephonisch in das Hotel mit, dass die Aufnahme verunglückt sei, ein Probebild stehe zu Diensten. Ob nicht sogleich eine andere Aufnahme gemacht werden solle.“
„Sie dankte. Es sei keine Zeit mehr.“
„Und damit entschwand sie und ward nicht mehr gesehen?“
Herr Günther sah aus, als ob ihn etwas sehr Widerwärtiges würge.
„Denken Sie doch, wie seltsam, Herr Leutant, die Dame ist mit der Titanic — Sie entsinnen sich des grossen Schiffsunglücks — untergegangen!“
Sigurd zuckte unmerklich zusammen.
„Donnerwetter!“ Dann sah er abermals nach dem Bild herüber, welches Günther noch in seiner Hand hielt. „Also das Bild hat im wahren Sinne des Wortes ... vorgespukt!“
Die Schelle an der Entreetür rasselte, mit lautem Lachen und Scherzen flutete eine Schar Damen und Herren in das Atelier.
Savaburg kannte sie.
Tänzer einer Rokokoquadrille von dem Polterabend der Gräfin Bork.
Fröhliche Begrüssung, die Stimmen schwirren durcheinander, von allen Ecken und Enden stürmt man auf den sowieso schon sehr zerstreuten Photographen ein.
Sigurd bittet um seine Bilder, und Günther tastet verwirrt hin und her, packt sie eilig zusammen und händigt sie dem Offizier ein.
Savaburg versenkt sie in die Tasche seines Paletots, wechselt noch ein paar heitere Worte mit den kostümierten Herrschaften und empfiehlt sich, um durch den Park seinen Heimweg anzutreten.
„Für mich beginnt erst das Leben nach dem Tode!“ Welch ein unfassliches Wort in dem Mund eines schönen, jungen Weibes, vor dem die weite Welt offen lag.
Er muss wieder daran denken, an dieses gespenstisch schöne Angesicht mit der brennenden Sehnsucht nach dem Glück im Auge.
Ja, nach dem Glück.
Es hat nur für jeden Menschen andere Formen und Gestalt.
Für Samiela verkörperte es die Ehre! Aber der Mann, der ihr huldigend eine Welt zu Füssen legt, den liebt sie auch.
Auf ihre Art.
Ob es auch das Glück dieses Mannes ist?
Als Sigurd in seiner behaglichen, kleinen Junggesellenwohnung ankam, gab es erst noch ein paar dienstliche Schriftlichkeiten zu erledigen, dann wollte er dem „seligen Oberst“ sein neuestes Bild als Ersatz schicken und dann noch ein paar Stunden schlafen bis zu dem grossen Neujahrsdiner, das auch seine Ansprüche an Nerven und Trunkfeuchtfröhlichkeit stellt.
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