Den „Samiel hilf“ spielte ein äusserst wohlbeleibter Rittmeister mit flachshaarener Perücke, einem Monokel im Auge und dem neuesten Dienstreglement in der Rocktasche — freundlich und weltmännisch mit der Bitte, die Drachenschlucht erst gehörig zu wattieren, damit er bei seinem dreimalig aufschlagenden Kobolz die Kulissen nicht beschädige!
Die Freikugeln wurden auf hochmoderner, elektrischer Heizplatte gegossen und bestanden aus Mohrenköpfen, Berliner Pfannkuchen und Pralinee, je nachdem Bedarf für Hochwild oder Kammerjägerei in Frage kam.
Bei Kugeln mit verstellbarer Vorrichtung, zum öfteren Gebrauch, bedurfte es noch eines Stückchen Glases aus der Stallaterne des Herrn Oberst, das Hühnerauge eines Luxes, drei Rosshaare aus dem Schweife eines Wiedehopfs, und all des Blechs (nicht Bleies!), das an diesem Abend zutage gefördert wurde.
Kasper sang sein Trinklied auf die zeitgemässere und beliebtere Melodie: „Trink ’mer noch ein Tröpfchen —
Trink ’mer noch ein Tröpfchen
aus dem kleinen Henkeltöpfchen!
Oh, Frau von Strombeck —
wie ist das Leben doch so schön! —
Als gleichzeitig erhebende Ovation für die so liebenswürdige und lachlustige Hausfrau.
Zum Schluss verlobte sich Samiel mit der Agathe, welches Bündnis jedoch wieder auseinanderging, weil er sich nicht kirchlich trauen lassen wollte, und der Kaspar war zur Heilsarmee übergetreten und verkaufte an die anwesenden Zuschauer Broschüren zur Bekämpfung des Alkohols, was bei jeder Einnahme von zehn Pfennigen und Absatz einer der Schriften, den begleitenden Chor zu dem Kanon veranlasste:
Schon wieder eine Seele
vom Alkohol gerettettett ...!
Es war eine schöne stimmungsvolle Aufführung, nur Bill seufzte in Gedanken und flüsterte Sigurd zu: „Wenn es so weiter geht mit dem Modernisieren, sehe ich meine Desdemona allerdings noch in violetter Lackierung! — Das alles treibt dem Ruin der Klassik entgegen und kann nie zu einem guten Ende führen!“
Nachdem man sich etwas die stark abgenutzten Lachmuskeln gekräftigt hatte, stürmte eine Schar von Czikosreitern auf Steckenpferden in den Saal.
Die ungarischen Hirten selber rekrutierten sich aus den besten Parforce- und Herrenreitern des Regiments, und ihren Vollblütern waren Schilde umgehängt, welche die Namen der edelsten und bekanntesten Renner des Turf trugen.
Es war überwältigend komisch, die „hohe Schule“ und den „Springgarten“, die Bahn mit Hecke, Mauer und Graben zu sehen, und dazu spielte die Musik auf kleinen Kindertrompetchen, Mundharmonikas und Pfeifchen ein niedliches Stückchen nach dem andern.
Die Stimmung stieg mit der Fixigkeit eines Liebesthermometers und nun erst, nachdem ihr Kommen würdig vorbereitet war, erschienen die vier heiligen drei Könige aus dem Morgenland!
Nachfrage und Bedarf waren bei heutiger Vorliebe für exotische Gäste derart gross gewesen, dass man sich entschlossen hatte, noch einen weiteren König einzurangieren.
Frau von Strombeck trat in die Mitte des Saals und klingelte.
Als es Ruhe gab, erhob sie ihre Stimme:
„Meine Herrschaften — wir möchten gern die vier heiligen drei Könige aus dem Morgenland, welchen dieser Tag geweiht ist, verkörpern! Darf ich vier der jungen Herrn bitten, mir zur Maskierung zu folgen! Herr von Dellien! Herr von Dallmer-Dalitz — Edler von Needlitz! — Herr von Dillfingen! — Darf ich die Herren bitten, mir zu folgen!“
Frau von Strombeck schwenkte kurz ab und rauschte, gefolgt von den „Eingezogenen“ in den Nebensalon ab.
Von da verschwanden sie.
Man war ein wenig erstaunt.
Eigentlich hatte man geglaubt, es sei eine besondere Überraschung, von wem die maskierten Könige dargestellt wurden! Das nahm dem Scherz eigentlich die Pointe.
„Da ist ja doch ein Ulk bei! Wetten dass die Majestäten in ungeheuerlichem Aufzug erscheinen, so ähnlich wie Menelaus der Gute, Mann der schönen Helena!“
„Langen Sie mal ein Glas Punsch von dem Tablett herüber, Bill! Frau von Bärenhorst will trinken!“
„Ich denke ja gar nicht daran! Ich will ja gar keins!“
„Macht nichts, gnädigste Frau, dann trinke ich es! Bill soll’s nur holen!“
„Aber Heitlingen, Sie sind wirklich frech!“
„Frechheit ist Übercourage! Sie ziert den Helden!“
„Wo bleiben denn die schwarz gebrannten Majestäten?“
„Ah! Sie kommen!“
„Unter grossem Vortritt!“
„Nee — ist mehr Paradeschritt! Für so kleine Schäker aus Marokko und Bessarabien ganz gut gemacht!“
„O herbes Erwachen aus schönem Traum: die Herren sehen ja ganz unverfälscht nach dem Orientbasar aus der Friedrichstrasse aus!“
„Tatsächlich! Wir haben sie übertaxiert, Turban, Zinkenkronen, mächtige weisse und braune Bärte, Kaftans mit Schärpen, den Stern an der Stange in der Hand tragend ...“
„Nanu! Wie oft wandern denn die Könige im Kreise vor dem bewundernden Publikum herum?“
„Der kleine Dicke ist ja Dallmer!“
„Majestäteken! Treten Sie sich nicht auf Ihren Kimono!“
„Sie! Herr Sie! Nennen Sie sich nicht im Zivilleben Dellien?“
„Still ... Ru—he!“
„Es scheint, die asiatischen Beherrscher aller Nubier und Kamele kommen auf Brautschau her ... die Damen werden so scharf gemustert ...“
„Nun bleibt er vor Fräulein von Waldeck stehen!“
„Frech war er ja stets! Manchmal treibt er sogar Missbrauch mit dieser guten Gabe Gottes!“
„Gnädiges Fräulein, ich glaube, Sie sollen ein Gebetchen aufsagen, wie beim Knecht Ruprecht!“
„Singen Sie doch:
Majestät Schmidt,
Majestät Schmidt,
Was bringen Sie Röschen mit?“
Da erdröhnt Delliens Stimme in furchtbar tiefem Bass:
„Mich selber bringe ich dir mit, holdes Schätzchen, als köstlichsten Edelstein, und wenn du mich willst, machen wir heute abend noch die Hochzeitsreise unter die vierzig Palmbäume der Wüste Sahara!“
Tiefe Stille.
Alles stutzt, — richtet sich atemlos entsetzt empor.
„Das geht zu weit!“
„Ist der Kerl verrückt geworden?“ raunen die Herren und furchen die Stirn.
Sigurd Savaburg bekommt einen Kopf wie Zinnober.
Die Ader auf seiner Stirn schwillt, in jäher Empörung will er vorspringen und sich schützend vor Amarant stellen. „Der Mensch muss betrunken sein!“ knirscht er entrüstet.
Gleichzeitig ein einziger, lauter, gellender Aufschrei durch den ganzen Saal.
Die Damen prallen zurück, die Herren stehen sprachlos.
Dellien hat jählings die Arme um Amarant geschlungen und küsst wie ein Wahnsinniger ihr reizendes, jetzt so namenlos entsetztes Gesichtchen.
Schon steht Savaburg neben ihr.
„Dellien!“ schreit er auf: „Was bedeutet das! — Sind Sie bei Sinnen?!“
Da zieht die Majestät aus dem Morgenland, der vierte heilige drei König ganz gelassen die Maske von dem Gesicht und sagt: „Sie irren sich wohl, Herr von Savaburg! — Warum soll ich meine Cousine in der Freude des Wiedersehens nicht ein bisschen umarmen und abküssen? — Gräfin Valeska Plunck!“
Tableau.
Der dritte heilige König aber lüftet ebenfalls die Maske, verbeugt sich sehr tief und kräht persiflierend: „In diesem Kasten steck’ ich, meine Herrschaften, — mein Name ist Balthasar Dellien!“
Ein wahrer Sturm der Aufregung. Ein tolles, jubelndes Tohuwabohu.
„Donnerwetter — das war ein Reinfall!“
„Haha, die Gräfin Plunck!“
„Das war allerdings eine Überraschung! Bravo, Komtesse! Bravo!“
„Das hätte ich mir nicht träumen lassen!“
„Tatsächlich, zuerst habe ich mich wahnsinnig erschrocken!“
„Wie kann man denn nur auf Dellien?“
„Na, weil er so ein Paschadax ist und in seinen Händen der Passepartout einer Maskenfreiheit am gefährlichsten ist!“
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