Donnerwetter! — Was ist das?
So lecker sieht doch sonst die feindliche Platte nicht aus?
Lende! Eine mit köstlichsten Edelpilzen und Gemüsen garnierte Lende!
Nein, er träumt nicht, es ist Tatsache. Nach der Lende erscheint noch ein toter Fisch, und nach diesem Birkwild.
Der ominöse Bayonner ist diesmal lautlos und spurlos in der Versenkung verschwunden.
Als man sich erhoben hat und nach dem Tanzsaal zurückflutet, steht Stiebelmeyer an der Portiere.
Bill winkt ihn zur Seite.
„Sagen Sie mal, Siebelmeyer, was war denn das mit dem Bayonner Schinken?“
Die Ordonnanz sieht ganz entsetzt aus.
„Mal wieder ein peinliches Missverständnis, Herr Leutnant! Der Lieferant hatte zu wenig Schinken geschickt, da sollte die dritte Tafel und die erste, wo Herr Oberst mit Erlaucht sitzt, den Schinken bekommen und die zweite als Ersatz die Lende. Nun haben die beiden Bureauordonnanzen die Zimmer verwechselt, und gerade wo Herr Leutnant sassen, kam die Lende hin!“
Bill machte grosse, runde Augen.
Seltsam. — Gerade an dem Tisch, wo diesmal der Ballon Platz genommen, gab es den Schinken, obwohl es eigentlich umgekehrt hatte sein sollen.
Hat der Mensch doch noch seine Schutzengel?
Sereichte es ihm diesmal nun wieder zu Heil und Frommen, dass er den Ballon nicht zum Souper steigen liess?
Bill Unterlüss nimmt meist alles persönlich, erst den Schrillen, dann den Schutzengel.
Als Busse für sein anfängliches Räsonieren und Verzagen an dem Bayonner, geht er schnurstracks hin und wartet bis Valeskas Tänzer nach den ersten Runden des Tischwalzers seine Dame zurückbringt.
Dann bittet er um eine Extratour.
Der Oberst hat gerade sein Augenglas eingeklemmt und mustert die flotte Kampfordnung auf Amors friedlichem Schlachtfeld.
Er hat eine Leidenschaft für Bayonner Schinken, und sieht sehr satt und zufrieden aus.
Da erblickt er Herrn von Unterlüss, wie er mit tiefen Denkeraugen Valeska zu einer Extratour in den Arm nimmt.
Haha! — Unterlüss! —
Es wird sehr flott getanzt.
Ein neuer Walzer wird intoniert.
Sigurd von Savaburg steht neben Amarant.
„Unser Walzer, mein gnädiges Fräulein!“ lächelt er und legt den Arm um ihre schlanke Taille.
Sie blickt so freundlich zu ihm auf wie stets.
„Und gerade meine Lieblingsmusik!“ sagt sie fröhlich.
„Ist’s nicht der Kusswalzer?“
„O nein! Kennen Sie die Donauwellen so schlecht?“
Sie schweigen, — entzückend weich und rhythmisch wiegen sie die Klänge ein. Endlich stehen sie hochaufatmend still.
Er blickt sich schnell um und sieht, wie verschiedene Herren sich im „Rasen von Extratouren“ gefallen.
„Es ist reichlich heiss hier, Fräulein Amarant“ sagt er schnell. „Bis wir wieder tanzen, lassen Sie uns bitte in das Musikzimmer gehen. Dort sitzen nur die älteren Herren am Whisttisch, und man kann mit gedämpfter Stimme plaudern, ohne gegen den guten Ton zu verstossen!“
Sie nickt sehr einverstanden, und Sigurd entführt seine Tänzerin vor raublustigen Attentätern in den entfernter gelegenen kleinen Salon.
Um Exellenz von Linden geschart sitzen die „spielerischen älteren Kinder“ und halten die Karten in der Hand.
Sie sehen kaum auf, als ein seidenes Kleid über die Schwelle rauscht und die Sporen ihres Begleiters aufklingen.
„Da ist ein so behagliches Ecksofa — gänzlich unbenutzt!“
Dort nehmen sie Platz.
Ein Diener erscheint gerade mit einem Tablett voll Bierkelchen und Appolinaris neben den Spieltischen.
Sigurd holt sich, mit höflichem „Pardon“ gegen die älteren Herren, zwei Gläser und stellt sie auf den kleinen Tisch vor Amarant und sich nieder.
„Ich möchte bei dieser Gelegenheit“, fährt Amarant ruhig und liebenswürdig fort, „nicht versäumen, Ihnen sehr herzlich für Ihre Hilfe zu danken, die Sie mir während des Fastnachtsscherzes angedeihen lassen wollten!“
„Potz Wetter auch, Baroness! Das sollte ich wohl!“ — sein Auge flammt in der Erinnerung noch heiss und zornig auf: „Wer denkt an einen Scherz, wenn ein junger Herr, der soeben vor unsern Augen, mit der Rolle eines der Könige betraut, plötzlich eine Dame umarmt und abküsst!“
„Mit dem Kusswalzer wollten Sie vorhin auf dieses Intermezzo anspielen? Sie sahen mich dabei so neckend an?“
„Natürlich! Von dieser so stark lyrischen Szene werden Sie wohl noch geraume Zeit hören müssen!“
„Ich resigniere!“
„Sagen Sie, mein gnädiges Fräulein, wussten Sie zuvor von diesem Attentat auf Ihre Wangen?“
„Nicht die mindeste Ahnung hatte ich!“ beteuerte das junge Mädchen, und die blauen Augen spiegelten noch immer den namenlosen Schreck, den sie empfunden. „Valeska hatte der Tante Eni absolutes Schweigen abgerungen, denn — so sagte sie — wenn Amarant nicht aufschreit und schier in Ohnmacht sinkt, ist der Witz nur halb!“
„Das stimmt! Aber sehr gesund und für die Nerven zuträglich ist solch eine Überrumpelung nicht! — Sie sahen in der Tat so echt entsetzt aus, dass ich an eine Verstellung Ihrerseits nicht glauben konnte!“
„Gott bewahre mich!“
„Haben Sie es Komtesse Plunck nicht übel genommen, dass Sie in so fataler Szene mitwirken mussten?“
„Wieso das? — Es galt ja einen Scherz, der alle amüsieren sollte!“
„Zur Karnevalszeit zürnt man kecken Streichen nicht!“
„Wie töricht, hätte ich aus einem Nichts erst etwas machen wollen!“
„Ich weiss, dass Sie jetzt ganz aufrichtig sind.“
Amarant lachte.
„Sie glauben mir auf mein ehrliches Gesicht hin?“
„Das nicht allein. Aber ich mache gern Menschenstudien. Als Sie noch, bebend vor Entsetzen, in das Gesicht Ihrer Cousine blickten und den etwas rücksichtslosen Scherz — Verzeihung! — begriffen, beobachtete ich Sie, — ob Ihr Auge nun in Zorn beleidigtem Stolz oder gar Hass die hinterlistige junge Dame anblitzen würde ...“
„Aber Herr von Savaburg! Welch ein Physiognomienstudium! Ihr Interesse als Maler für wirksame Modelle ging mit Ihnen durch!“
Amarant lacht sehr heiter und hebt ihr Glas:
„A Freud’ muss der Mensch ham,
un der Mensch muss a Freud’ ham,
denn wenn der Mensch nu ka Freud’ hat,
was hat dann der Mensch?
und dies nicht nur zur Karnevalszeit, sondern immer und allzeit! Kein Übelnehmen, sondern leben und leben lassen!“
Mit wundersamem Blick sah er ihr in die Augen.
„In diesem Moment haben Sie mir tatsächlich eine grosse Freude bereitet!“
Er sagte es kurz und schlicht, und obwohl sie erstaunt fragen wollte: Ihnen, wodurch? so schwieg sie dennoch, denn in der Tür erschien Herr von Dillfingen und schaute eifrig nach ihnen aus.
„Ah! Hierher haben Sie sich geflüchtet! So nahe wie möglich an das glückliche Zufallsspiel heran! — Ich suchte Sie schon seit zwei Tänzen, mein gnädiges Fräulein, und bitte gehorsamst um eine Extratour!“
Amarant erhob sich, und Sigurd schaut ihr lächelnd nach.
Dann folgte er dem Paar langsam in den Tanzsaal.
Sein Blick umfasste die vor ihm schreitende junge Dame.
Amarant gefällt ihm so ausnehmend gut, — besser denn je eine andere zuvor. Sie ist nicht nur für seinen Geschmack das anmutigste Geschöpf, sie ist auch in allen Dingen so „zuverlässig“, und das ist mehr wert als Zepter und Krone, mehr als Geld und Gut!
Er trinkt das Glas aus, das ihm im Vorüberschreiten abermals von einem Diener angeboten wird.
Der Sekt schäumt auf.
Warum dies viele Trinken?
Sein Blut treibt bereits im Kreise, auch ohne Champagner.
Wie warm schlägt das Herz in der Brust, wie heiss wallt es in ihm empor. Ist’s draussen die Frühlingsluft, die alle Knospen treibt und die Sehnsucht nach des Lebens Mai und Liebe weckt?
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