Es tat ihm so leid, dass die Sonne nicht schien.
Wenn man selber so fröhlich und guter Dinge ist, möchte man, dass alles mitlacht, vor allem die Sonne am Himmel droben.
Wie schön war das Leben! Schöner als je zuvor.
Wie reich, behaglich und bequem das moderne Leben, wie prunken Wissenschaft und Industrie mit vollendetem Können, wie hat die alte Mutter Erde sich geschmückt mit Blüten und Früchten einer jeglichen Art!
Glühend heiss pulsiert das Leben in dem Weltenkörper, und in rastlosem Schaffen strebt die Menschheit höchsten Zielen und Idealen entgegen.
Sigurds Augen leuchten noch in dem Gedanken an den ungeteilten Beifall, den seine Bilder gefunden.
Die liebenswürdige, so sehr sympathische kleine Amarant hat ihr Köpfchen dargeboten, dass er wie durch ein Wunder etwas unbeschreiblich Schönes und Eigenartiges schaffen konnte.
Leuchtendes Blondhaar auf dem Haupt der Madonna.
Wahrlich, es ist keine Farbe mehr, es glänzt und leuchtet wie göttliche Klarheit.
Bescheiden wehrte er allen Dank ab. „Ein Transparent ist ja an und für sich ein Lichtbild, das bedeutet für mich weder Können noch Ruhm.“
Nun hatte er aber etwas versucht, was noch niemand wusste, auch nicht zu erfahren brauchte, bis es so meisterlich geglückt war, wie er es sich in seiner gottbegnadeten Phantasie verstellte.
Er malt das Bild zum zweitenmal, und zwar diesmal als Ölgemälde auf Leinwand.
Amarant stellt ihm abermals ihr goldiges Köpfchen in der lang gesuchten und endlich gefundenen richtigen Beleuchtung zur Verfügung, und es scheint, als solle er wahrlich das Ideal, das ihm vorschwebt, verkörpern.
Das erfüllt ihn mit einem Gefühl erhebender Schaffensfreude und künstlerischer Genugtuung.
Er hat seinen Säbel, die Uniform zu liebgewonnen, um sich jetzt schon davon zu trennen.
Warum auch?
Noch lassen sich Kunst und Prosa ganz gut vereinen!
Er will den Pegasus gewiss nicht zum trivalen Krempergaul erniedrigen, die feurige „Schecke“, wie Amarant gescherzt, trägt ihn in glücklichem Wechselflug hoch über das Alltagsleben hinaus, von der Erde zum Parnass! Amarant!
Es war wirklich auch noch ein Gnadengeschenk des alten Jahres, dass es ihnen dieses allerliebste Mädel unter den Christbaum legte!
Nun hat ja sein Mütterchen, was sie schon so lange argwöhnisch und vorsichtig gesucht, die allerliebste Gesellschafterin, eine junge Freundin, mit der sie täglich mehr oder völliger zu harmonieren scheint!
Die Kleine hat ein so allerliebstes, frisches, heiteres und doch so vernünftiges Wesen, ganz so, wie es zum Umgang für Frau Agathe passt.
Hoffentlich bekommt sie den Urlaub noch verlängert, dass sie nach ihrem Aufenthalt bei Strombecks noch eine Zeitlang zu gründlichem Kennenlernen bei der Patentante bleiben kann.
Dass es auch ein gründliches „sich gegenseitiges Gefallen“ werden wird, daran zweifelt der Husar keinen Augenblick.
Soeben ist er auf dem Weg zum Photographen.
Er will sich seine neuesten Kabinetts selber abholen, falls sie zu stieselig ausgefallen sind! Er hatte sich letzthin in rechter Katerstimmung verewigen lassen, weil der verflossene Regimentskommandeur gern das Offizierkorps in effigie mitnehmen wollte und männiglich nach dem Liebesmahl noch in das Atelier von Günther & Pfaff zog.
Die erste Aufnahme war direkter Reinfall; die Bilder sollten durch bessere ersetzt werden.
Wollen sehen, ob es diesmal etwas geworden ist. Gerade in umgekehrter Weise besuchte er Günther & Pfaff, als er von der Beerdigung des guten treuen Fräulein Emma kam, ihrer Hausdame, mit der fast seine ganze Kindheit und Jugend verknüpft war. Ein Stück alten, lieben Hausinventars, das die arme Mama und ihn doch recht vereinsamt im Haus zurückliess.
Wie gut, dass Amarant gerade jetzt kam, gerade, als wolle der liebe Gott die Lücke wieder ausfüllen, und für das Verlorene Ersatz schaffen.
Langsam stieg er die Treppen nach dem Atelier des Photographen empor.
Ein sehr junger Mensch empfing ihn.
„Morgen, Verehrtester, kann ich die neueste Aufnahme meiner Bilder mal sehen? Wenn sie fertiggestellt sind, nehme ich sie gleich mit, — d. h. wenn Ihr Meister diesmal selber mit meiner Physiognomie einverstanden ist!“
Der Jüngling lachte und dienerte.
„Einen Augenblick, wenn ich bitten darf, Herr Leutnant! Herr Günther ist drunten in seiner Wohnung und muss erst gerufen werden. Heute nacht ist ein kleines Töchterchen geboren, und da kann sich der Chef nicht für lange Zeit trennen!“
„Oh, ein Töchterchen! — Na, da kann man ja gratulieren! Herr Günther soll sich nur nicht zu sehr beeilen, komme ja gern noch ein andermal vor.“
„Durchaus nicht, Herr Baron! Bitte nur um einen Augenblick!“
Der Sprecher schoss dienstfertig davon, und Sigurd trat an einen Schrank, dessen Schubfächer weit geöffnet und mit Photographien angefüllt waren, und begann aus Langerweile, um sich die Zeit zu vertreiben, in den aufgehäuften Abzügen zu kramen.
Allerlei bekannte und unbekannte Gesichter.
Ganz amüsant.
Sigurd verfügt über viel guten Humor, manchmal lacht er leise auf, wenn die Pose der Gelichtbilderten allzu theatralisch wirkt.
Donnerwetter!
Sigurd hebt ein Bild empor und starrt einen Augenblick darauf nieder.
Was ist denn das?
Ulk?
Nein, — dazu wirkt die ganze Sache zu düster.
Eine Dame.
Die Mode, sich in Schleiern drapiert verewigen zu lassen, hat er soeben schon ein paarmal in der Hand gehabt.
Günther scheint die reizvolle Umrahmung gern vorzuschlagen.
Alle Wetter, — ein anscheinend sehr schönes, geradliniges, fast klassisches Gesicht, das sich, blass wie Marmor, schier leblos aus den dunklen, schlaff niederhängenden Falten eines schwarzen Vestalinschleiers hebt.
Die Hände sind in den Tüll eingehüllt.
Soweit ist ja alles sehr schön und interessant, aber das Eigenartige ist der eiskalte Schauer, der einem bei dem Anblick dieses rätselhaften Gesichtes über den Rücken läuft.
Ist die Aufnahme verunglückt, oder soll absichtlich eine Art Spuk, zur Abwechslung vielleicht die Illustration zu „Erschein, o schwarze Dame!“ vorgetäuscht werden?
Wie grässlich dieser Anblick trotz aller angedeuteten Schönheit!
Der Apparat scheint gewackelt zu haben, denn sowohl das Antlitz wie Schleier und die ganze Figur haben etwas eigenartig Verwischtes, Unklares.
Grad’ so, wie man sich die Ahnfrau vorstellt, wenn sie nachts durch die mondscheinerhellten Säle des alten Schlosses schreitet.
Dass man sie sieht und doch nicht genau erkennen kann, dass man deutlich empfindet, einer grossen, grabeskühlen Schönheit gegenüberzustehen und es doch nicht zu beschreiben vermag, wie die einzelnen Linien des Gesichtes oder die Augen geformt sind!
Diese scheinen auffallend gross und dunkel zu sein.
Wie tiefe, schwarze Schatten wirken sie in dem Antlitz, und die düsteren Brauen, welche sie noch überwölben, erscheinen zuerst wie die Höhlen in einem Totenkopf.
Erst bei schärferem Hinschauen unterscheidet man die Einzelheiten, dann sieht man, wie auffallend, wie fremdartig schön dieses Weib ist.
Sigurd starrt wie gebannt auf den steifen Karton in seiner Hand hernieder.
Wer ist’s?
Ein menschliches Wesen oder ein Geist?
Eine köstliche Frauengestalt oder ein Dämon?
So etwas ist ja zum Grausen schön und wunderlich!
Viele würden dieses Bild wohl voll Entsetzen in den Kasten hier zurückwerfen und nachts misstrauisch in das Dunkle sehen, ob etwa dieser unheimliche Spuk ihm gefolgt ist?
Mit lebenaufsaugenden Vampyraugen und einem Kuss, der den Tod bedeutet!
Sigurd von Savaburg lächelt.
Wer mag sie sein?
Wenn Günther sie photographierte, muss er sie doch kennen!
Oder sollte es die Reproduktion eines alten Gemäldes sein?
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