Aber wenn ihr nun unterwegs doch etwas geschah? Als der Jäger in das Innenviereck der Karawanserei trat, stritt man noch immer darüber. Der Spahileutnant sagte eben, sich eine Zigarette anbrennend, das Reitstöckchen schief unter dem Ärmel seiner scharlachroten Jacke: „Es wird nichts übrigbleiben, man muss ihr nachreiten und sie begleiten!“
Er hätte das für sein Leben gern getan und fühlte sich, sehnig und mager wie sein Gesicht und sein ganzer Körper war, auch gar nicht zu müde dazu. Aber anders stand es mit seinem Pferd und dem seines arabischen Kameraden Si Mussa. Die Tiere waren zu erschöpft von dem heutigen Ritt. Sie hatten auch schlecht gefressen und lagen jetzt, alle viere ausgestreckt, stumpfsinnig, wie verendet, in dem heissen Staub des Bodens. Der elegante Leutnant sah sich das ärgerlich an und sagte: „Eine verwünschte Sache! Ich möchte nur wissen, wer ihr zu dieser Nachtreise geraten hat!“
„Ich!“ sagte der Jäger kurz, zog seinen Gaul ohne viel Umstände an der Wassertrense hoch und begann ihn zu satteln.
„Sehr schön, Monsieur! Und wer wird nun das Vergnügen haben, womöglich ein Pferd im Wert von ein paar hundert Francs zu ruinieren, um die Dame auf dieser abenteuerlichen Fahrt zu schützen?“
„Ich!“ wiederholte der Jäger gelassen und schnallte den Bauchgurt seines Pferdes fester. „Übrigens — meinem Schimmel macht das nichts! Ich hab’ ihm schon anderes zugemutet!“
Die Stute bot denn auch, nachdem er sie in zwei Minuten reitfertig gemacht hatte, bereitwillig den Rücken und ging unter ihm im stelzenden Schritt des Vollbluts nach dem Tor. Die anderen schauten hinterher und wussten nichts mehr zu sagen. Schliesslich war es ja so das Beste. Und der Jäger sah auch nicht aus wie ein Mann, der sich durch die Reden anderer viel in seinen Entschlüssen beirren liess.
Als draussen die weite Steppe im letzten Abendgold glühte und flimmerte und ein erster, noch fast unmerklich kühlender Hauch die vertrockneten Alfabüschel fächelte und über die brennend heissen Steinblöcke und Geröllbrocken strich, richtete er sich in den Steigbügeln auf und spähte. Ganz in der Ferne kroch da etwas Weisses langsam dem Sonnenuntergang zu. Das war der Leinwandplan der Arabâ. In einer halben Stunde tüchtigen Trabs konnte er sie erreichen. Aber er tat es nicht. Er wollte unbemerkt bleiben, seine Gesellschaft und seinen Schutz nicht aufdrängen.
Mitten in der Ebene stand ein mächtiger Steinblock. Unwahrscheinlich grosse, bemooste und verwitterte Quadern bildeten die finstere Römerwarte, das Mal versunkener Zeiten. Es gab eine Stelle, wo man von aussen, vorstehende Steine als Stufen benutzend, das schrägliegende, auf der einen Seite tief in die Erde gesunkene Gemäuer erklimmen konnte. Da band der Reiter sein Pferd an und stieg hinauf. Die bröckelige, mit winzigen blauen Blümchen und Halmen bewachsene Fläche oben war noch sengend warm von dem langen Sommertag, der auf ihr gebrannt hatte. Aber zugleich bot sie auch einen Ausblick wie von einem Adlernest in die Weite. Nur im Norden hemmten die hohen, jetzt mit tiefviolett getönten Zacken im Dämmern verschwimmenden Gebirge die Fernsicht. Überall sonst aber verlor sich das Auge in unbestimmten, unendlichen Übergängen.
Wie die Vorposten der eigentlichen Sahara schoben sich ihre ersten kleinen Sandinseln bis weit in die Steppe vor. Wehe dem Fahrzeug, das sie mit langsam mahlenden Rädern durchmessen musste. Es kam kaum von der Stelle. Und eben jetzt war der weisse Punkt in der Ferne, den der Mann auf dem Römerturm nicht aus den Augen liess, in den ersten sandigen Dünenstrich geraten. Es schien, als stünde die Arabâ still. Man musste schon die Augen des Wüstenwanderers haben, um zu erkennen, dass das Fahrzeug sich Zoll für Zoll weiterbewegte. Wer jetzt da nachritt, brauchte sein Pferd nicht zu spornen und war doch, wenn es Nacht und dunkel war, dem Karren nahe, ungesehen und doch bereit, wenn Not am Mann, mit ein paar Sprüngen heranzugaloppieren.
Die Sonne war am Wüstenrand verschwunden. Nur ein letztes blutiges Leuchten zeigte noch ihren Zorn. Es ging wie ein Aufatmen über das ganze lechzende Land. Ein leiser Wind flüsterte und zischelte durch das Alfagestrüpp, kleine Staubwolken stiegen auf und drehten sich lautlos wie schattenhafte Gnomen tanzend durch das Dämmerlicht. Seltsame Vogelstimmen, Rascheln am Boden, verflogene Rufe der Steppe wurden wach, dickköpfige schwarze Fledermäuse krochen aus den Fugen des Römerturms und gaukelten und geisterten in Nacht und Tau und Sterngeglitzer. Da verliess auch der Jäger seine Warte. Er schwang sich behutsam, keinen Stein lockernd, um nicht unversehens auf einen Skorpion zu treten, an dem Mauergeklüft hinab zu seinem Pferd. Und als er wieder auf dem Schimmel sass, da klopfte er dem mit langen Zügeln auf den Hals und schnalzte einmal mit der Zunge. Das Zeichen kannte die Stute. Sie wieherte kurz und setzte sich in Galopp. Ross und Reiter flogen in langen Sätzen über die finster gewordene Steppe dahin, dem weissen Wagen in der Ferne nach ...
Die ganze Nacht durch holperte und rumpelte die Arabâ durch die Wüste weiter, und hinter ihr hörte man durch die totenstille, jetzt ganz kühle Luft einen regelmässigen Laut — das Trappeln eines im Schritt gehenden Pferdes. Die Huffchläge klangen in gleicher Entfernung. Sie blieben nie zurück, ob auch Stunde um Stunde der eintönigen Fahrt verrann; sie kamen aber auch nie näher.
Der alte arabische Karrenführer schaute sich zuweilen um. Yvonne Roland war nach kurzer Fahrt ermattet eingeschlafen und wurde zuweilen durch einen unsanften Puff des Wagens halb zum Bewusstsein gebracht. Sie schlummerte dann aber noch fester ein. Sie hörte das Trapp-Trapp des Reiters und träumte allerhand Räubergeschichten, die immer wilder und bunter wurden, je mehr die ursprüngliche Müdigkeit schwand und einer Art fieberigen, unruhigen Dämmerns zwischen Wachen und Schlafen Platz machte. Schliesslich war ihr ganz deutlich, als ob eine vielköpfige Horde von Arabern mit rauhen Stimmen sich näherte. Mit einem hellen Schrei setzte sie sich auf. Der Morgen graute schon stark, einen klaren Tag verheissend; über den ewigen Steinen und spärlich gewordenen Alfabüscheln und breiten Sandflächen brauten die letzten Nachtnebel. Neben der Arabâ hielt hoch zu Esel das erste lebende Wesen, das sie seit dem Verlassen der Karawanserei zu Gesicht bekommen hatte — der arabische Postreiter aus der Oase El-Ariana, langbärtig, die Kapuze seines braunen Burnus gnomenhaft über den Kopf gezogen, die Ledermappe mit den Briefschaften umgehängt. Er hatte mit dem Fuhrmann bei der Begegnung ein paar Worte gewechselt, die hatten Yvonne aufgeweckt. Er ritt nun, sich nach morgenländischem Brauch auf dem letzten Rückenwirbel seines Grautieres im Gleichgewicht haltend, in entgegengesetzter Richtung davon.
Und da vorne standen im fliessenden, feuchtkühlen Silbergrau des Morgens Pappeln, ganz gewöhnliche Pappeln wie daheim. Und zwischen ihnen ein einzelner riesiger Feigenbaum, von dessen Ästchen Hunderte und aber Hunderte von bunten Fetzen und Lappen aller Art wehten, und der in seinem Fastnachtsputz ein Marabu, ein heiliges Ding war. Gleich hinter ihm war schon das erste Ölwäldchen, seltsam knorrige, zart taubenfarben beblätterte Stämme, von stacheligen, mannshohen Kaktusstauden umschlossen. Und über dem hier beginnenden Gras blähte es sich im Wüstenwind auf geschuppten, kurzen, braunhaarigen Säulen von breitem, gelblichem Gefächer und Gefieder. Hier war die Grenze des Reiches der Palmen. Der Fuhrmann wies darauf hin, auf schwärzliche, niedere, weit entfernte Massen, wie von Unkraut oder Farnwedeln. Allmählich begriff Yvonne, dass das alles wohl Dattelbäume sein müssten, Tausende und Zehntausende. Und wenn man weiter in die Ebene hinaussah, dann zogen sich dort dieselben blauschwarzen Mauern und Flächen hin und säumten den Horizont mit neuen dunkeln Kronen und zeigten dem, der durch die Wildnis kam, dass er El-Dscherid erreicht hatte, das gelobte Land, den Garten Tunesiens.
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