»Keine Fragen zu dem Papier«, sagte Bob, »und es war auch kaum nötig. Wir brauchen dringend einen Soldaten für die Aufgabe, die vor uns liegt, keinen Ladengehilfen wie mich. Ich habe sehr viele Fragen an Sie, aber die beziehen sich nicht auf das Papier.«
Mit der unüberlegten Vertrautheit eines Freundes der Familie griff er zum Whiskeykrug und füllte unsere drei Gläser aufs neue. Seine Erleichterung war wirklich echt, wie ich nur zu gut wußte. Er kommandierte schon damals gern nach eigenem Gutdünken Männer und Dinge herum, angefangen von den Waren auf Tullys Regalen, aber die Aufgabe, die vor uns lag, hatte uns beide, und auch Vincent, überfordert. Wir hatten in einem Buchladen bei den Kais in Cork die Übersetzung eines Waffenhandbuches gefunden, das ein Franzose verfaßt hatte, der behauptete, in Napoleons Grande Armée gedient zu haben, und nachts saß Bob damit fluchend auf seinem Zimmer. Und dazu hatte er auch allen Grund, denn was auf dem weiten Weideland bei Leipzig oder Austerlitz sicher sehr nützlich war, half uns in den Wiesen hinter Knockmany nur sehr wenig. Im Laden hatte es auch die einfacheren englischen Handbücher gegeben, aber Bob wollte mit dem Feind nichts zu tun haben. »Aber alles in allem«, hatte ich einmal ihm gegenüber bemerkt, »scheint Wellington doch gewußt zu haben, was er tat.«
»Wellington war Ire«, sagte Bob.
Die Reinheit unseres Patriotismus, ganz zu schweigen von unserem Fanatismus! Und doch sehe ich es jetzt, im warmen bernsteinfarbenen Licht der Erinnerung, als Unschuld, weil es ein Teil unserer Jugend war. Und Patriotismus und Fanatismus waren durchsetzt von Inkonsequenzen, die wir zu übersehen vorzogen. Schließlich ritt Bob doch immer wieder auf der titanischen Energie der englischen Fabrikanten herum, im Gegensatz zu unseren eigenen schlaffen Handwerkern und Kaufleuten, um sie dann im nächsten Atemzug als seelenlose Materialisten zu brandmarken, mit Höllenfeuersätzen, die er bei Thomas Carlyle gefunden hatte, der nun wiederum ein treuer Gefolgsmann von Königin und Empire gewesen war. Und was mich betraf, galt nicht meine eigene besondere Liebe den Dichtern Englands, Wordsworth und Keats und Tennyson? Und vielleicht sah der Generalissimo in Manchester sich als zweiten Marlborough.
»Ich bin drei Jahre lang Soldat gewesen«, sagte Ned abwertend, um den Ton zwischen uns aufzulockern. »Und das ist wirklich alles, was ich vorweisen kann.« Er hob feierlich sein Glas, erst zu Mary gewandt, dann zu uns beiden anderen. »Nein, das stimmt nicht. Ich habe zwei Jahre bei der Fährgesellschaft gearbeitet, bei der mein Vater angestellt war. Ich habe die Boote vertäut, die nach Weehawken hinüberfuhren.«
Wo immer das liegen mochte. Zweifellos auf der Seite von New Jersey, vor den weiten Wäldern und Prairien, in denen die Roten ohne Sattel herumritten wie die Akrobaten. Aber lockere Unterhaltung fiel ihm nicht leicht; es war allein die Höflichkeit, die ihn zur Geselligkeit zwang. Es war Mary, wie immer, die an diesem Abend das Zimmer lichter machte.
»Wir können jetzt essen«, sagte sie, »und ich hoffe, es ist nur die erste von vielen Mahlzeiten mit uns, Mr. Nolan.«
Ich bin fast sicher, daß es kalten Schinken und Kohl und eine Schüssel gekochte Kartoffeln gab. Ein warmes Zimmer, die Küche mit den warmen verführerischen Kochdüften, die Anrichte, in der Marys bestes Porzellan in drei Fächern lehnte, blau und weiß vor dem polierten gelben Kiefernholz. An der Wand, auf die ich blickte, als ich mich Nolan gegenübersetzte, hing die Anbetung der Heiligen Drei Könige, die wir für zwei Pfund in Milistreet gekauft hatten, als Dr. Sugdens Habe versteigert worden war. Durch Glas vor Rauch und Dampf der Küche geschützt, näherten sich die Könige voller Ehrfurcht und Verwirrung, beladen mit Geschenken, reich und exotisch gekleidet.
Ned war ein herzhafter Esser, aber während er sich mit Messer und Gabel ans Werk machte, wanderten seine Augen rastlos im kleinen Zimmer hin und her, ehe sie endlich am Herd zur Ruhe kamen. Im Wohnzimmer war es genauso gewesen, und, glaube ich, aus demselben Grund. Wenn es keine Heiligenlästerung wäre, dann würde ich eine Verwandtschaft zwischen Ned und den Heiligen Drei Königen andeuten. In all den Jahren seiner Kindheit und Jugend in den Straßen von New York und in seinen Jahren bei der Nordstaatenarmee war Irland eine weit entfernte, unbekannte Heimat gewesen, über der ein Leitstern flammte.
Später, als er mich kennengelernt hatte und mir vertraute, bestätigte vieles, was er sagte, diesen Eindruck. Als er als kleiner Junge Irland mit seinem Vater verlassen hatte, hatte er hinter sich eine tote Mutter, an die er sich nicht erinnern konnte, zurückgelassen, eine Daguerreotypie, die sein Vater ausgeschnitten und auf das Uhrgehäuse aufgeklebt hatte, ein sanftes, verschwommenes Gesicht mit großen Augen. Das Leben seines Vaters hatte nicht nur aus dem Büro der Fährgesellschaft bestanden, wo er die zu bezahlenden Rechnungen in ein Kassenbuch eingetragen hatte. Es hatte die Versammlungen und Demonstrationen und Komitees und die endlosen Pläne der Männer von 48 gegeben. Genau die Pläne, die am Ende zur Fenian Brotherhood und zu dem Plan geführt hatten, der Ned endlich zurück nach Irland gebracht hatte, und der Bob und mich veranlaßte, mit Tolpatschen im Ödland von Knockmany zu exerzieren.
Bob wartete, bis Ned eine gute Portion Schinken und Kohl verzehrt hatte, dann sagte er: »Captain Nolan, einiges in diesem Brief, den wir verbrannt haben, ist mir ein Rätsel. »Die verfügbaren Waffen verteilen‹. Was bedeutet das wohl?«
Ned kaute und schluckte, dann antwortete er mit einer Gegenfrage:
»Was für Waffen haben Sie jetzt?«
»Vielleicht ein Dutzend Schrot- und Vogelflinten. Kein einziges Gewehr. Ich selber habe einen Revolver, und Vincent Tully hat eine elegante Pistole, die er seinem Vater abgeschmeichelt hat. Hugh hat gar nichts.«
»Und wie viele Männer?«
»Zwischen sechzig und siebzig. Einige sind im Laufe der letzten zwölf Monate abgesprungen, andere haben ihre Stelle eingenommen. Es gleicht sich aus.«
»Abgesprungen?« fragte Ned sofort. »Sie haben den Eid abgelegt und sind dann abgesprungen?« Er wollte noch mehr sagen, fragte dann aber statt dessen: »Wie haben Sie mit ihnen exerziert?«
»Mit Piken«, antwortete Bob. »Wir haben Piken hergestellt. Wir sehen aus wie eine Bande von Croppies.«
Das stimmte. Die Geschichte schien die Iren zu einer Ewigkeit von Piken verurteilt zu haben. In manchen Nächten, wenn ich Knockmany Hill den Rücken zukehrte und sie vor dem Horizont sah, hinter ihnen nichts als dornenbesetzte Zweige, dann hatte ich das Gefühl, in den tiefen Brunnen der Geschichte gefallen und auf die Truppen irgendeines Hungerleiders von Clanhäuptling in der Desmond-Rebellion gestoßen zu sein, oder auf die Landbevölkerung, die 1798 in ihr Verderben auf Vinegar Hill marschierte. Owen MacCarthy, der Dichter aus Macroom, beschreibt in einem Gedicht die Piken, die die Männer seiner Zeit trugen, als einen Wald im blattlosen Winter. Und bei uns war es noch immer so, unverändert.
»Haben irgendwelche von ihnen bei der Armee gedient?« fragte Ned.
»Kein einziger. Einer, er ist älter als die anderen, war in seiner Jugend bei der Polizei, ehe sie ihn wegen allgemeiner Unfähigkeit hinausgeworfen haben. Und daran haben sie verdammt recht getan.«
Ned nickte ausdruckslos und schnitt sich eine weitere Scheibe Schinken ab.
»Ich habe mit Piken mit ihnen exerziert«, fuhr Bob fort. »Und mit dem Versprechen, daß die Organisation uns zum festgesetzten Tag Waffen besorgen würde. Aber ich habe keine zu sehen bekommen, ebensowenig wie O’Connor in Cahirciveen oder Timoney in Killarney oder der Mann oben in Millstreet.«
»Dann haben Sie Ihren Leuten gesagt, was ich Ihnen auch sagen werde. Daß die Organisation Pläne hat, vor dem Aufstand allgemein Waffen zu verteilen.«
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