- Wie üblich bist du selbstsicher, aber denk daran, wer dir in den Rücken gefallen ist. Und denk daran, was Ulf riskieren wird, wenn er es wieder versäumt, den Befehlen deines Vaters nachzukommen.
- Hat mein Vater Ulf befohlen, dass er nicht mit mir sprechen darf?
- Nein. Nein – das hat er wohl nicht. Nicht auf diese Weise.
Torhal war dabei, das Gesagte zu überdenken. Denn er wusste nicht genau, wie er sich verhalten sollte. Er spürte, dass an dem Vorschlag etwas verkehrt war, doch gleichzeitig konnte er in Eriks Tonfall hören, dass dieser seinen Willen durchsetzen wollte. Sie hatten zwischenzeitlich beide vergessen, dass Groa immer noch zusammengekauert im Halbdunkeln dasaß. Im gleichen Augenblick wussten sie, dass sie sie vergessen hatten. Und ihnen war bewusst, welches Wissen sie nun mit ihr teilten. Torhal ließ wie üblich Erik ausführen, was dies bedeutete und was sie damit anfangen sollten.
- Groa möchte nicht hier an diesem Ort bleiben. Daher wird sie ihre Stimme nicht darüber erheben, was im Zelt passiert ist. Nicht wahr, Groa?
Im Halbdunkel sahen sie ihre aufgerissenen Augen und das eifrige Kopfnicken.
- Du nimmst mich mit. Nicht wahr? Guter, kühner, roter Erik.
- Wir werden sehen. Denk dran, dass du Sklavin bist. Vorläufig hältst du deinen Mund. Und Torhal, du schaffst mir Ulf herbei.
Torhal wirkte kein bisschen überzeugt, als er den Rücken umdrehte und aus dem Zelt krabbelte. Kaum hatte das grelle Sonnenlicht ihn verschluckt, als Groas heilende Hände wieder bei Erik waren. Sie setzte die Behandlung seines Nackens fort, auf dem die Salbe immer noch prickelte. Ein vages Wohlbefinden breitete sich in ihm aus und er ließ sich hinabsinken, als würde er durch die Unterlage hindurchfallen. Groa bewegte ihre Hände in langsamen, kreisenden Bewegungen über seinen Körper. Dabei summte sie ein kurzes Lied vor sich hin, das er nicht kannte. Ihre Hände glitten den Brustkorb hinab, bis sie seinen Unterleib und seine Oberschenkel erreichten.
Erik war ganz bei ihrer zarten, summenden Stimme, doch nicht so weggetreten, als dass er nicht seine Augen hätte öffnen können. Er begegnete ihrem Lächeln, das winzigen Fältchen an der Nase hervortreten ließ. Ihr Lächeln war von Zufriedenheit erfüllt. Sie spürten beide das Ergebnis ihrer zarten Behandlung. Eine ihrer Hände lag auf seinem Glied, während die andere ruhig auf seinem Brustkasten lag. Sie drückte ihn nicht hinunter, beruhigte aber seinen erhöhten Pulsschlag. So lange, bis sich seine Lebenskraft in einem kurzen Atemzug auf die Felle ergoss und er trotz seines schmerzenden Nackens den Kopf zurückwarf.
Er lag einen Augenblick schnaufend da und erst allmählich kehrten seine fünf Sinne zurück. Jedoch bloß, um die große Erschöpfung in den nun erschlafften Oberschenkeln zu spüren. So lag er mit der allergrößten Ruhe da, als Groa sich über in beugte und ihn mit ihren breiten, weichen Lippen auf die Seite seiner kurierten Nase küsste.
- Guter, kühner, roter Erik.
Er stützte sich auf einen Ellbogen und betrachtete sie mit einem nachdenklichen Schmunzeln.
- Vielleicht nehme ich dich trotzdem mit. Es sieht ja so aus, dass du die kurzen, unschuldig gesummten Lieder kennst, die beim Singen eine große Wirkung entfachen. Man sagt, dass sie insbesondere bei denjenigen Frauen wirken, die das erste Mal gebären.
Gemeinsam gaben sie ein kleines, einvernehmliches Lachen von sich. Sie teilten ein Geheimnis, dessen deutlichsten Beweis Groa mit unbefangener Eile aus den Fellen entfernte. Sie war gerade damit fertig geworden, als der Vorhang des Zeltes zur Seite geschlagen wurde und sich eine breite Gestalt mit geschmeidigen, katzenartigen Bewegungen in das Zelt schwang. Es war Ulf.
- Hier hast du mich. Und du sollst wissen, dass ich immer noch bewaffnet bin.
Groa zog sich in die Dunkelheit zurück, von wo aus sie Torhal sehen konnte, wie er sich durch die Öffnung bückte. Ulf drehte sich irritiert und zornig um.
- Wenn du mit mir sprechen willst, brauchen wir doch keine Zuhörerschar.
Genau in diesem Moment wurden sie unterbrochen. Die vier im Zelt hörten alle das Geräusch von polternden Schritten, die auf das Zelt zukamen. Sie wussten, wer jetzt da draußen stand. Und es wurde für sie zur Gewissheit, als Torvald rief.
- Wer ist bei dir im Zelt Erik?
Erik brachte kein Wort heraus, bevor Groa in hastigen Bewegungen über ihn hüpfte und zum Ausgang sprang. Sie schlug die Zeltöffnung zur Seite und beugte sich in die Helligkeit zu ihrem Hausherrn hinaus.
- Ach, du bist es, du kleine Heilerin. Reibst dem Burschen mit was auch immer ein, was?
Torvald lachte, während Groa bekräftigte, dass Erik Behandlung benötigte, so zerschunden wie er sei. Sie erklärte, dass sie seinen Schlaf erleichtert habe und machte Anstalten, Eriks Zelt zu verlassen. Sie gingen zusammen weg, während die drei im Zelt wieder langsam zu atmen begannen.
- Nun glaubt er, dass ich allein bin. Und wir können eine Weile offen miteinander sprechen.
Erik war in seinem Glück gefangen und fuhr fort, ohne die Einwände der anderen abzuwarten.
- Ulf. Ich bin bei Schild-Bjarne gewesen, wie du weißt. Mein Gesicht und meine Nase wurden gerichtet, und ich bin damit zufrieden. Weit mehr bin ich jedoch mit Schild-Bjarnes Äußerungen zufrieden. Er teilte mir mit, was hier an diesem Ort offenbar keiner hören möchte: Es gibt ein großes freies Feld nördlich der sieben Klippen. Es ist frei und es ist unser, wenn wir ein Haus darauf stellen.
- So läuft das nicht, Erik. Du weißt genauso gut wie ich, dass dein Vater Thors Feuer zu diesem Ort gebracht hat, und dass die Hochsitzpfeiler uns diesen Platz gewiesen haben. Wir beide wissen sehr wohl, dass die Verehrung des Rotbärtigen durch deinen Vater alles andere übersteigt.
- Das stimmt. Du hast Recht, aber Schild-Bjarne ist ein ebenso großer Gefährte Thors. Denn es verhält sich so, dass sich Thor in einem Traum an Schild-Bjarne wandte und ihm erzählte, dass das Feuer über den Felsen zu der Wiese getragen werden sollte, die von den sieben Klippen umgeben ist, die ein Zeichen von Thor sind. Das Feuer muss erneut mitgenommen werden, und diesmal nach Norden.
Erik hatte über seine ereifernde Rede beinahe das Atmen vergessen. Mit strahlenden Augen suchte er in Ulfs Antlitz nach derselben Begeisterung, doch dort war vorwiegend nur Nachdenklichkeit und Sorge zu finden.
- Wenn Thor wirklich diese Absicht hat, verhält es sich ja ganz anders. Doch es ist ein großer Nachteil, dass Thor nicht in Torvalds Traum mit genau diesem Hinweis aufgetaucht ist.
Erik hatte vorausgesehen, dass Ulf die Sache auf diese Weise verstehen würde.
- Ich bin der Ansicht, dass sich Thor an Schild-Bjarne gewandt hat, um sich eines mächtigen Boten zu versichern. Außerdem könnte Thor, indem er durch Schild-Bjarne meinem Vater die frohe Kunde übermitteln lässt, Freundschaft zwischen den beiden entstehen lassen und für Frieden unter Nachbarn sorgen.
- Dies ist eine gute Nachricht. Thor hat in alles tiefe Einsicht.
Erik spürte, dass Ulf angebissen hatte.
- Ich wollte meinem Vater diese gute Neuigkeit überbringen, aber wie du weißt, kamen der Hund und das Schwert dazwischen. Ich wusste bereits während der Fahrt zwischen den beiden Orten, dass mein Vater in dieser Sache schwer zu überzeugen sein würde. Aber du, Ulf, kannst mit ihm über die Sache reden.
Erik atmete tief ein, bevor er einen erneuten Anlauf nahm.
- Wenn dir das gelingt, verzichte ich auf die Entschädigung, die ich, wie du weißt, verlangen könnte. Auf die eine oder andere Weise und mit der Kraft, die ich für notwendig erachte.
Nachdenklich und mit zusammengekniffenen Augen blickte Ulf Erik an.
- Du klingst wie ein Gode, der auf dem Thing mit Schicksalen und Versprechen handelt. Und der andere Menschen damit umgarnt und sie darin zappeln lässt, da die Aussicht gering ist, sich aus den Fäden zu befreien.
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