- Wir können nur darauf hoffen, dass Eriks Gesicht nicht mehr so zerschunden ist, wenn er von Schild-Bjarne zurückkehrt. Es ist wie eine beschwerliche Wanderung über einen Felsen, doch es wird sich in der Zeit zeigen, ob diese Murid bei Schild-Bjarne so kundig ist, wie er uns zu verstehen gab. Wir werden es sehen, wenn Erik heimkehrt.
Während er sprach, beugte er sich zu dem Hund und begann, ihn zu streicheln. Möglicherweise, um den anderen zu trösten und von dessen deprimierenden Worten abzulenken. Vielleicht aber auch, um sich selbst aufzumuntern. Er tätschelte mit seiner schlaffen Hand geistesabwesend die Flanke des großen Tieres, das sich nachlässig und zärtlich an sein Bein schmiegte. Torvald bemerkte nicht die Unruhe, die sich in Ulf eingeschlichen hatte.
Er hörte auf, den Hund zu streicheln, als vor ihnen am Rand des ansonsten friedvollen Bildes des ruhigen Wassers in der Bucht und des Treibeises in der Ferne ein kleines, braunes, verwittertes Fleckchen Erde auftauchte. Sie wandten sich beide dem Meer zu. Ulf hatte in Torvalds Blick gesehen, dass das eine oder andere eine eingehendere Betrachtung verlangte. Da Torvalds Sehkraft nicht mehr so ausgeprägt wie früher war, kniff er die Augen zusammen.
Es war kein Tier, das sie sahen. Das wusste er sogleich. Er stand ruhig da und spähte hinaus, während er den Hund wieder gedankenverloren streichelte. Alle konnten jetzt sehen, dass es ein Boot war, das die Landzunge in nordöstlicher Richtung umrundete. Es näherte sich in kleinen Zügen und voller Fahrt. Torvald richtete sich auf. In der Kühle drehte er sich zu Ulf um.
- Erwarten wir Besucher aus dem Norden?
Ulf antwortete ihm ein wenig nervös und verwirrt.
- Es ist Erik.
Nach einer kurzen Pause fuhr er noch etwas zögerlicher fort.
- Er kam von Schild-Bjarne zurück, als du auf dem Felsen warst. Ich erlaubte ihm, mit dem Beiboot hinaus zu rudern. Er wollte die andere Seite der Landspitze sehen und die sieben Klippen besuchen, die er ständig im Kopf hat. Er versprach, vor dem Morgengrauen zurückzukommen.
Torvald drehte sich ruckartig um.
- Du lässt den Burschen hinaus aufs Meer rudern, das keiner von uns kennt. Du hast doch gesehen, dass es mit Eis übersät ist, das weder du noch ich kennen. Du widersetzt dich meinem eindeutigen Befehl. Du hast dir einige Freiheiten herausgenommen, als ich unterwegs war, Ulf!
Der Wortschwall brach herein über Ulf, der nur allzu gut Torvalds Zorn kannte. Trotzdem nahm der Verwalter all seinen Mut zusammen und baute sich in voller Größe vor seinem Hausherrn auf. Als er sah, dass kein anderer in der Nähe war, streckte er mit gezwungener Ruhe seine Brust heraus und versuchte, sein Ansinnen durch das Gewand durchscheinen zu lassen.
- Du weißt genauso gut wie ich, dass der Junge ungestüm und rastlos ist. Du verlangst, dass ich ihn aufhalten soll, obwohl du selbst deine Mühe damit hast, genau das zu tun. Wenn du weiterhin Herr auf deinem eigenen Hof bist, wirst du ihn sicherlich aufhalten können. Und dann gerne auch für mich.
Die Worte trafen Torvald.
Sein Verwalter und Freund verletzte ihn damit, doch andererseits war Torvald an den rauen Ton des Mannes gewöhnt, mit dem er seit vielen Jahren verbunden war. Wären es nicht ausgerechnet diese vielen Jahre gewesen, wären ihm solch harte Worte teuer zu stehen gekommen. Sie hätten Ulf seine Gesundheit kosten können.
Ulf wusste dies besser als die meisten anderen. Er hatte in den vielen Jahren seines Lebens Torvald wütend und mit aufgestautem Groll erlebt. Nun sah er den Ärger in Torvald wüten, doch er wurde nicht jähzornig. Er ließ Ulfs Worte sacken und er sah allmählich ein, dass die Wahrheit wohl so aussah. Darüber hinaus hatte er ja selbst angedeutet, dass es eine traurige Tatsache war, dass sein Sohn schwer zu zähmen sei.
Wie ein brummender Bär trabte er zum Ufer hinunter, wo die zwei Ruder des kleinen Bootes nun eingezogen wurden, während es über die mit Tang bedeckten Steine hinwegglitt und mit einem reibenden Geräusch anlegte.
Eriks breites Lächeln erfüllte das Ufer.
- Es ist ein gewaltiger Ausblick, den wir entlang der Landspitze sehen konnten, Vater.
Das rote, geheilte Gesicht strotzte noch von den Anstrengungen des Ruderns und der glühenden Begeisterung. Bevor sein Vater etwas einwenden konnte, fuhr Erik eifrig fort.
- Du weißt doch, dass die mächtigen Klippen direkt draußen im Meer liegen. Sie sind wie Zähne aus dem Unterkiefer eines toten Riesen aufgereiht, und es sind sieben von ihnen. Das ist sicherlich ein gutes Omen. Auch Schild-Bjarne stimmt mit mir darin überein.
Torvald hörte ihm schweigend zu.
- Ich habe jedem verboten, ohne meine Begleitung die Landspitze zu umrunden. Was ich an Regeln aufstelle, gilt für alle. Und besonders für dich.
Noch bevor Erik merkte, was vor sich ging, traf die knochige Rückhand seines Vaters die immer noch lächelnde Wange mit einem kräftigen Schlag. Der war so wuchtig, dass er ins Gras fiel.
Er schnellte umgehend wieder hoch.
Noch bevor er wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stand, konnte man sehen, dass er wie von Sinnen war. Er war ein Tornado aus Händen und Bewegungen. Sein Vater wollte ihn mit einem erneuten ausholenden Schlag zu Boden werfen, aber Erik hatte sich bereits weggeduckt. Gerade als er mit den Füßen zur Seite sprang, um dem Schlag auszuweichen, sprang der Hund aus dem Gras auf. Er bellte und an seiner Kehle lief der Geifer herunter.
Alles auf der schmalen Wiese vorhandene Tageslicht sammelte sich im Schimmer der Klinge von Eriks Dolch, und ebenso überraschend wie der Lichtblitz stürzte er sich auf den rennenden Hund. Er rammte den Dolch in den Bauch des springenden Tiers und fügte ihm mit einem Ruck einen breiten Schnitt zu.
Mit seitlich herausquellenden Eingeweiden fiel das Tier jaulend auf der Wiese um, während Erik in der gleichen rollenden Bewegung an seinem Vater vorbeistürzte und auf den Füßen zu stehen kam. Mit nach vorne gestrecktem Hals, hervorstechenden Augen, gebeugten Knien und gespannten Zehen stand er seinem Vater gegenüber und wedelte mit dem Dolch.
Der grölende Hund im Gras ließ seinen Vater erstarren, während Erik Erregtheit verbreitete. Die Hinterläufe des Hundes wurden von abgehackten Krämpfen durchschüttelt, während das warme Blut glucksend auf das Gras strömte. Erik bemerkte das nicht. Er hatte nur Augen für die Hände seines Vaters. Was mit ihnen passieren würde, würde alles entscheiden.
Dann spürte er einen Lufthauch hinter seinem Ohr. Lautlos fiel er durch einen dröhnenden Schlag um, der seinen Nacken traf.
Einige Sekunden später schlug er die Augen wieder auf. Griff erneut nach dem Dolch, aber da war keiner. Der Gürtel war weg, ebenso sein Gewand. Er bemerkte seinen nackten Leib. Die weichen Felle und die Dunkelheit.
Er lag im Zelt, und er hatte verloren.
Ein Gesicht tauchte in der Dunkelheit auf. Als es sich seinem näherte, konnte er ahnen, dass es das dunkelhaarige Mädchen Groa war. Mit ihrer schlanken, warmen Hand drückte sie ihn auf die Felle zurück. Er wollte sich dem widersetzen, doch dann spürte seine Zunge all die losen Zähne und den metallischen Geschmack von Blut. Sein Hirn wurde vom schnellen Traben vieler Pferde durchschüttelt.
Folgsam und schmerzerfüllt sank er zurück.
Er war kaum in die Felle hinab gesunken, als eine Wand im Zelt zur Seite geschlagen wurde und sein Vater mit einer kleinen Fackel in der erhobenen Hand eintrat. Erik erkannte ihn kaum wieder, wusste aber instinktiv, dass er sich zu fürchten hatte. Es war offensichtlich, dass der dunkle Mann wieder in Besitz seiner Kräfte war, und die ersten Worte, die aus dem Bart herauskamen, ließen daran keinen Zweifel erkennen.
- Derjenige, der eine Waffe gegen seinen Vater erhebt, verrät sein eigenes Inneres. Seit alters her ist es eine bekannte Tatsache, dass einem solchen Mann am besten damit gedient ist, umgehend verurteilt zu werden, so dass er nicht ein Leben lang leiden und ein verkümmertes Dasein führen muss.
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