Es schauderte Erik. Liegend vernahm er die Verwünschung, verletzt und außerstande, seine eigene Furcht zu durchdringen. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte er seinem Vater all die heiteren Gedanken erläutern wollen, die er während der Bootsfahrt um die Landspitze herum gehabt hatte. Darüber, wie er in seinem Inneren über den Anblick, der sich ihm darbot, gejubelt hatte. Über das Land, das er dort entdeckt hatte. Er hätte seine Freude mit seinem Vater teilen wollen und sich daran ergötzt, sich in dessen Lob zu sonnen.
Nun stand der gedrungene, dunkle Mann im Schein des flackernden Lichts da und erklärte ihm, dass er sterben müsse. Hier und jetzt. Eriks Lippen wollten eine Art Fürbitte formen, doch er brachte keinen Laut heraus. Sein Schädel wurde von allerlei Lärm und Pein bedrängt.
Groa zog sich erschrocken in die Dunkelheit zurück. Sie war Sklavin und kannte ihren Platz, weil sie genau wusste, wann sie sich entfernen sollte. Sie wagte auch nicht, hinauf zu ihrem Herrn zu blicken.
Erik stützte sich mit seinem schmerzenden Oberkörper auf den Ellbogen, und ganz verwirrt darüber, was er mit seinen Händen tun sollte, ließ er sie hinauf zum Hals gleiten, wo sie begannen, die kleine, schwere Bronzefigur an der Kette hin und her zu drehen.
- Du fürchtest um deinen Hals und dein Leben, denn das ist ein- und dasselbe.
Sein Vater sprach mit erhobener Stimme, als wäre es eine große Versammlung, die Befehle erhalten sollte.
- Mörder meines Sohnes bin ich jedoch nicht. Doch wenn es mit uns soweit gekommen ist, dass du nicht mehr auf meine Befehle hörst, meine ich, dass es am besten ist, wenn wir nicht gemeinsam auf einer Landzunge leben. Sobald das Frühjahr anbricht, werde ich dich fortschicken.
Erik sank wie ein Sack feuchter Weizen auf die Felle hinab. Er hatte sich kaum hingelegt, als sich sein Vater umdrehte und das Zelt verließ. Mit ihm verschwanden das Feuer und das Licht, und er hinterließ eine hasserfüllte Leere. So schnell das flackernde Licht durch die Zeltwand verschwunden war, so schnell waren Groas Hände wieder in Eriks Nähe.
- Nimm mich mit, guter Erik, nimm mich mit dir. Weg von hier. Überall hin werde ich dir folgen und das Beste für dich tun. Lass mich mitkommen. Es wird schon gutgehen. Nicht wahr? Guter, kühner, roter Erik.
Ihre warmen Hände strichen durch sein Haar und über seine Stirn. Sie taten es mit größtmöglicher Behutsamkeit und Erfahrung. Zugleich sprach sie mit ihrer hastigen Zunge, die immer noch nicht richtig Norwegisch gelernt hatte.
Als sie redete, wurde die Wand des Zelts erneut aufgeklappt. Sie sahen einen dunklen Umriss. Keiner von ihnen atmete. Sie sahen, dass es ein Mann war. Im schummrigen Licht machten sie Torhal aus.
- Ist mein Freund Erik bereits tot oder nur schwer verwundet?
- Es heißt, dass ich kaum länger der Sohn meines Vaters bin. In dieser Hinsicht bin ich wohl tot.
- Ja, aber so wie ich die Welt kenne, ist man entweder tot oder nicht. Und du bist nur verletzt!
- Mein Vater findet, dass dieses Gelände zu klein ist, um uns beide zu beherbergen, daher bat er mich, meinen Platz hier zu räumen. Außerdem gab er mir zu verstehen, dass er mir dafür kein ausgesprochenes Gelingen wünscht.
- Wie schnell sollst du abziehen?
- Sobald es das Frühjahr zulässt.
- Ja, ja. So etwas in dieser Art konnte man ja erwarten. Aber, aber, aber, man hat dich nicht darum gebeten, dich in die Berge zu verziehen oder dich vollständig zu verkriechen. Das ist alles denkbar. Nicht wahr?
- Vielleicht. Er hat mich nicht darum gebeten, in die Berge zu ziehen, nein. Aber vielleicht ist es genau das, was ich tun sollte, Torhal. Ich sage dir: Ich habe die Landspitze im Norden umrundet und dort habe ich eine Wiese, einen Liegeplatz, eine Aue und Hänge gesehen, die weit bessere Möglichkeiten bieten als dieser Ort hier.
Erik machte beim Reden eine kurze Pause. Sein Kopf schmerzte noch immer, doch besser als irgendwelche liebevollen Streicheleinheiten war das träumerische Gerede, mit der er Torhals Gehör locken konnte. Mit trockenen Lippen fuhr er fort, seine Erlebnisse auszuschütten.
- Die Klippen sind ein gutes Omen. Sie stehen in einer Reihe von Sieben vor der Küste, und eben aus diesem Grund habe ich diesen Platz bereits Drangar genannt.
- Also dann war es bereits deine Absicht, dich dorthin zu begeben?
- Ich wollte meinem Vater die Neuigkeiten überbringen und ihn bitten, in der Bucht Land zu nehmen. Aber wie du gesehen hast, wurde aus diesem Vorschlag nichts. Nun kann ich wahrhaftig überlegen, das selbst zu tun. Du könntest ja mitkommen?
- Du vergisst, was freie Männer dürfen und was uns unfreien Sklaven befohlen wird.
Torhals Bemerkung kam zögerlich heraus. Sie war ohne Zurechtweisung und Bitterkeit, doch hing sie noch lange in der Luft.
- Du bist mein Freund, fast wie ein Blutsbruder. Wir sind zusammen aufgewachsen, und ich glaube nicht, dass mein Vater, so wütend er auch sein mag, sich selbst auferlegt, dass du hier an diesem Ort gegen meinen Willen bleibst.
- Deinem Vater fehlt es an helfenden Händen auf dem Hof. Mit deinem Vorhaben wäre sein Mangel noch größer.
- Aber es soll sein, wie ich es dir gesagt habe. Das ist es, was ich mir wünsche. Und das ist es, was ich versuchen werde. Und jetzt musst du mir sagen, ob es auch das ist, was du begehrst. Oder ob es das nicht ist.
- Selbst wenn ich nicht sehen kann, wie sich das anstellen ließe, wird es jederzeit mein Wunsch sein, dir zu folgen, Erik. So wird es wohl bis in alle Ewigkeit sein.
Während sie redeten, hatte Groa kniend neben Eriks Kopf gesessen und eine dickflüssige Tunke auf seinen Nacken geschmiert.
- Was tust du da, Weib?
- Sie wendet wohl ihre Zauberkünste an, die diese dunklen Frauen können. Du wirst sie nach und nach kennen lernen. Bist du nicht gerade von Schild-Bjarnes dunkler Murid zurückgekehrt, die dir dein Gesicht wieder so fein gerichtet hat?
Im Dunkeln konnte Erik Torhals Gesichtsausdruck nicht erkennen, doch er spürte indes deutlich die Wirkung der Tunke. Ein durchdringender, süßer Duft breitete sich in seinen Nasenlöchern aus, und er konnte spüren, wie die Luft im Handumdrehen klarer wurde. Bei dem Gedanken, wieder seinen Geruchssinn nutzen zu können, wurde ihm warm. Obendrein war die prickelnde Wirkung der Tunke auf der Haut nicht unbehaglich. Sie tat wohl, im Gegensatz zu dem klopfenden Schmerz, der seine Nackenmuskeln heimsuchte.
Erik erinnerte sich plötzlich an das Sausen hinter dem Ohr.
- Was geschah dort am Ufer?
Er schaute an Groa hoch, doch die Frage richtete sich an Torhal.
- Der Verwalter deines Vaters gebrauchte sein Schwert, doch es war dein Glück, dass er es in der Scheide beließ, als er zuschlug.
- Wenn ich mich recht entsinne, ist die Mannbuße doppelt, wenn der Schlag hinterrücks erfolgt.
Eriks tiefe Tonlage war zurückgekehrt, und sie führte eine lauernde Gefahr mit sich. Torhal ließ sich von diesem Klang oft beeindrucken, aber diesmal nicht. Er seufzte beruhigend und schaute Erik an.
- Verprügelter Stolz lässt sich wohl mit einem toten Hund aufwiegen.
- Du hast vielleicht Recht, Torhal. Mein Vater hat gewiss seinen besten Hund verloren. Aber möglicherweise denkt er darüber nach, ob er nicht mehr als das verloren hat. Meine Sorge ist, dass ich nie ganz herausfinden werde, was ich selbst verloren habe. Und ich bin sehr verwirrt darüber, dass mein Vater nicht im Geringsten Lust hatte, etwas über den Besuch bei Schild-Bjarne zu hören, obwohl ich alles mögliche Gute im Gepäck hatte. Das ist viel mehr wert als mein kuriertes Gesicht.
- Und was sollte das sein, das dein hochgeschätztes und erneuertes Äußeres aufzuwiegen vermag?
- Wenn du dich für meinen Freund hältst, dann sorgst du dafür, dass Ulf den Weg in das Zelt hier findet. Wenn das gelingt, wirst du erfahren, was ich mitgebracht habe.
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