Erik drehte sich verwundert zu dem sonst so schweigsamen Steilbart um, der sich plötzlich aufführte, als sei er sein Vater.
- Ulf bereitet sich auf jenen Tag vor, an dem Torvald Asvaldsson nicht länger Hausherr ist. Ich habe dem Verwalter deines Vaters oft beim Arbeiten zugesehen, daher weiß ich, dass seine Hände nicht friedfertig herumfummeln können. Du musst damit rechnen, ihm in die Augen zu blicken, wenn jener Tag kommt, denn er ist ein Mann der Tat. Das Nachdenken hat er immer deinem Vater überlassen. Jetzt ist alles neu und ungewohnt für ihn.
- Bist du böse auf ihn, Steilbart, weil so viele Worte aus deinem Mund kommen?
- Es liegt nicht an mir, und ich glaube, das weißt du. Ich weiß aber auch, dass Ulf Thor um Rat gebeten hat. Dein Vater steht ja mit dem Rotbärtigen auf gutem Fuß, doch glaube ich nicht, dass Ulf das vermag. Dafür ist er zu schweigsam und stürzt sich stattdessen kopfüber in die Arbeit. Ohne Torvalds Befehle ist er verwirrt.
- Du klingst, als hättest du schon meinen Vater aufgegeben. Das könnte ich beinah als bösen Gedanken auffassen. Aber ich bin mir sicher, dass sich mein Vater erholt, und genauso sicher bin ich, dass das meiste besser wird, wenn wir auf das Gelände im Norden umsiedeln.
Sie schauten beide schweigsam zu Ulf hinunter, der sich immer noch nicht bewegte. Es war, als bräuchte Steilbart einen langen Anlauf, bevor er wieder seinen Mund aufmachen konnte.
- Wer wird die Umsiedlung anführen, Erik? Wenn das Wort deines Vaters uns weiterhin im Unklaren lässt, wird dann Ulf diese Entscheidung treffen, so als wäre sie seine eigene? Was würde dein Vater dazu sagen? Was würdest du sagen, wenn Ulf deine Idee nicht ausführt?
- Schlimmer wäre das auch nicht, Steilbart. Ich kann die Umsiedlung anführen.
- Ja, das vermagst du vielleicht. Wenn du auf gutem Fuße mit deinem Vater stehst. Das wirst du am besten wissen. Wenn du nicht ganz sicher bist, kannst du ja darüber nachdenken, ob es vielleicht Ulf ist, der dich beschützen wird. Wenn die Umsiedlung gegen den Willen deines Vaters geschieht, dann wissen Ulf und wir anderen, dass das zum offenen Zwist zwischen dir und deinem Vater führen kann.
Steilbart scharrte mit seinen Schuhen im Gras, als wollte er Kuhdung von seinen Sohlen entfernen. Erik spürte unterdessen jedoch, dass der große Mann sehr gut eine Antwort auf seine vielen Worte gebrauchen konnte.
- Wenn Ulf so sehr im Unklaren ist, wie du sagst, dann vermag er mir das wohl zu sagen.
- Nein. Das ist das, was er nicht kann. Er ist durch einen Eid an Torvald Asvaldsson gebunden. Es wäre Verrat, mit dir über diese Dinge zu flüstern. Es wäre, als entzündete man einen kleinen Funken Zweifel im Verhältnis zwischen dir und deinem Vater. Und diese Glut könnte zu einem Feuer werden, das euch verbrennen und Ulf das Leben kosten könnte.
Steilbart wartete nicht auf eine Antwort. Er drehte sich um und ließ einen leicht verdutzten Erik zurück, der reichlich zum Nachdenken bekommen hatte. Die folgenden Tage schwirrten Steilbarts viele Worte durch seinen Kopf und er dachte darüber nach, ob sich die Leute auf dem Hof die gleichen Gedanken machten. Und ob sie auch fühlten, dass sie an den Platz gebunden waren, mit dessen krankem Hausherrn, seinem schwierigen Sohn und dem nörgelnden Verwalter.
Erik wusste so gut wie jeder andere, dass keiner den Ort verlassen konnte. Es war unmöglich wegen des Eises, der Klippen, der Kälte und der Gefahren in der Fremde. Andererseits kannte er jedoch nicht die Gedanken, die sich die kleine Schar machte, und das ließ ihn nur noch intensiver nachdenken.
Völlig unerwartet tauchte in ihm der Gedanke auf, dass er gewünscht hätte, mit seinem Vater reden zu können.
Ohne dass Erik etwas dafür tun musste, machte sich eine Verstimmung breit. Die Pfeiler des Hochsitzes waren aufgestellt, aber deren Bemalung wirkte matt. Vielleicht, weil der Tag kurz und das Licht schwach war. Vielleicht wegen der bescheidenen Zukunft, die sich für Torvald abzeichnete. Ulf hatte zwar die Tage bis zur Wintersonnenwende als auch bis zur Mittwinternacht gezählt, doch deshalb wurden noch keine Vorbereitungen für das Julfest unternommen.
In diesem Entschluss sahen sich all diejenigen bestätigt, die eine Art böses Schicksal an Torvald geknüpft sahen, und einige von ihnen begannen zu bereuen, dass sie an ihn gebunden waren. Nur notgedrungen überließen sie sich ihrem Los, behielten sich jedoch zumindest das Recht vor, ihren Unwillen zu zeigen.
Genau zu dieser Zeit begann die üble Nachrede.
Gerüchte über Torvalds mögliches Verbrechen und die Flucht vor seinen Feinden in Norwegen wanderten von Hütte zu Hütte und von Zelt zu Zelt. In den Nächten konnte man ein zischendes Geräusch hören. Es war der Laut von vielen, die durch die Schneidezähne redeten. Ein Geräusch, das keine Zweifel aufkommen ließ, drang aus den Hütten und durch die Zeltwände und mischte sich mit dem Wind und wurde von ihm fortgetragen. Es erzählte jedem, dass auf dem Gehöft in diesem Winter die Zeit für unheilvolle Vermutungen günstig war.
Die Schafe waren in dem großen Zelt eingepfercht, in dem die Knorr auf Stangen den Winter über lag. Die Zeit vor dem ersten Schnee war zu knapp gewesen, um einen Verschlag für die Schafe zu bauen. Und nun versammelten sich die meisten Tiere auf dem engen Platz unter dem Kiel des Schiffes, wo sie jedoch selten allein waren. Wenn die Nacht hereinbrach, konnte man dunkle Schatten über die Wiese hasten sehen. Es wirkte wie ein großes nächtliches Gastmahl, zu dem die Tiere mit ihrem warmen Atem und ihren lauwarmen Ausdünstungen einluden.
Oben am Haus und dem größten der Zelte konnte man andere Schatten sehen. Erik und Torhal wohnten in dem Zelt, und auch sie bekamen Besuch. Nicht selten teilten sie ihren Platz mit Groa, und auch dort drehte es sich meist um den warmen Atem. Aber obgleich bei diesen Gelegenheiten auch leise gesprochen wurde, wechselte man keinerlei böses Wort.
So ging es auf dem Hof den Winter über zu. Jeder versuchte, sich auf seine Weise zu wärmen. Einige, während sie sich mit vielen anderen versammelten, andere, während sie wenige waren. Ulf, während er allein war, und Torvald mit Mühe und Not.
Groas lindernde Behandlungen hatten seit der ersten Einreibung, die sie Erik zuteilwerden ließ, eine sichtbare Wirkung auf ihn gehabt. Während Torhal unablässig davon redete, auf welche Weise zauberkundige Frauen Männer an sich binden konnten, widersprach ihm Erik mit solch einer triumphierenden Miene, die nur ein Abhängiger aufsetzten konnte, der immer noch an seine eigene Freiheit glaubte.
Bereits sehr zeitig im Winter war das Bier aufgebraucht. Dies hatte Auswirkungen auf Ulf, der in Mangelperioden üblicherweise bösartig wurde. Die Leute bekümmerte das, da sie sich davor fürchteten, dass der Verwalter in diesem Winter seine Wut an ihnen auslassen könnte. Es gab viele Vermutungen über die Ursache von Ulfs auffälliger Schweigsamkeit.
Erik sah, wie sich Ulf während der dunklen Tage wie ein mickriger Schatten von Torvald aufführte. Der Verwalter seines Vaters und Schwurfreund tat nicht das Geringste, ohne sicher zu sein, dass Torvald das auch getan hätte. Daher gab es nicht viel, was Ulf in Gang setzte. Und das wenige, was er tat, wurde mit steifen Bewegungen ausgeführt.
Jedes Gespräch zwischen Erik und Ulf mutete aussichtslos an. So verhielt es sich auch an jenem Tag, als Erik mitten während der Arbeit alle zu einer Versammlung mitten auf dem Platz vor dem Haus zusammenrief. Wie die anderen trottete Ulf neugierig zur Stelle hinauf, wo Erik vor dem Eingang zum Haus seines Vaters stand. Und wie bei allen anderen der bleichen Gesichter war seines von erstaunter Bewunderung erfasst, als Erik redete.
Erik sprach darüber, wie weit angenehmer die Freude sei, wenn sie den Erschöpften nach bitteren Erfahrungen erreiche. Er neigte das Feuer zu den Gesichtern hinab und fuhr mit seiner Achtung gebietenden Rede fort, dass ein paar wenige treu Ergebene eine größere Bedeutung für einen Hof hätten als eine große Ansammlung von Doppelsinnigen. Er stampfte ermahnend auf die Erde und erinnerte sie daran, dass der Wolf nahe sei, wenn man seine Ohren sehe, und dass ein Wolf in einer Schafherde gefährlich sei. Er schärfte ihnen drohend ein, dass Lügen ein Land verwüsten könnten und dass nur derjenige, der immer Angst habe, beständig schlechte Neuigkeiten vorhersage.
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