- Jetzt kapierst du´s, Ulf. Und du merkst auch, dass du dich im Garn verfangen hast. Daher rate ich dir, dass du dich schleunigst selbst auswickeln solltest, indem du mit meinem Vater darüber sprichst.
- Du verlangst viel, Erik. Du lockst mit noch mehr. Doch am schlimmsten ist es, dass deine wiederhergestellte, stolze Nase jede kleinste Regung aufspürt und du ohne Scham alles ausnutzt, was du bemerkst. Wärst du nicht so stolz, wäre das alles leichter für mich.
- Sicher wird es schwer, Ulf. Aber das Gelände nördlich der sieben Klippen wird dich dafür umso mehr entschädigen. Denk daran, wenn du gleich zu meinem Vater gehst. Ich merke doch an dir, dass du bereits deinen Entschluss getroffen hast.
- Ja, aber wenn es mir nicht gelingt, deine Gedanken zum Leben zu erwecken, werde ich selbst derjenige sein müssen, der über sich richtet. Denn das wird dein Vater gewiss nicht tun.
Mit diesen Worten verließ Ulf das Zelt. Seine Bewegungen waren immer noch wie die einer Katze und beide Zurückgebliebenen im Zelt wussten, dass sie richtig gehandelt hatten. Denn seine Anerkennung würde scharfe Klauen erfordern, die sowohl geschmeidig als auch listig sein müssten.
Erik und Torhal packten sich gegenseitig mit den Händen an die Köpfe. So saßen sie sich mit leuchtenden, heiteren und von Stolz erfüllten Gesichtern gegenüber, als Torhal zu singen begann:
Der wütende Hund,
so wild er auch war
vermochte nicht Erik
den Weg zu weisen,
hinfort vom Hof,
entfernt vom Vater.
Mit gewöhnlichem Garn
siegte Eriks Wille.
Verblüfft zog Erik seine Hände zurück und versuchte, eine Fassung zu erlangen, die zu seiner Verwunderung und Heiterkeit passen könnte.
- Bei allen guten Göttern und Thor, ich glaube, du hast einen Schluck von dem Skalden-Met genommen, Torhal. So lange deine Verse meinen Erfolg beflügeln, so lange darfst du singen – wenn wir allein sind. Erheb deine Stimme niemals vor anderen, denn du könntest jemanden verschrecken.
Sie verharrten in ihrem gegenseitigen Lächeln und teilten ein Geheimnis über sieben prächtige Klippen.
„Mit seinem Freund
möge man Freund sein,
mit ihm und dessen Freund;
aber mit dem Freund des Feindes
sollte kein Mann
Freund sein.“
Hávamál, Island, 10. Jahrhundert
Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben
„Gehen soll man,
nicht als Gast
angewurzelt sitzen bleiben
im selben Haus,
wenn man vergisst
aufzubrechen aus
dem Heim eines anderen.“
Hávamál, Island, 10. Jahrhundert
Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben
Es wurde ein grimmiger Winter.
Alles zeigte sich anders als Erik es erwartet hatte. Das Land, die Leute, der Hof, sein Vater und das Meer. Die See fror zu. Sein Vater wurde krank. Der Hof bot ihm Schutz. Die Leute verrohten. Das Land gefiel ihm.
Bereits als der Winter auf die Wiese hinaufgekrochen kam und sowohl die Geräusche wie auch die Geschäftigkeit dämpfte, hatte sich sein Vater niedergelegt. Viele Tage lang hatte er im Fieber vor sich hin gedöst, während alle mechanisch umherliefen und das Schlimmste befürchteten.
Zwei dunkelhäutige Mädchen hatten abwechselnd bei ihm gesessen. Ihr Wohlwollen für diese Tat wurde nicht bezweifelt, obwohl Torvalds Güte ihnen gegenüber kaum ausgeprägt gewesen war.
Nach dem Fieber hatte der große Mann bleich und erschöpft auf dem Stroh gelegen und in die Nische der Bettstatt gestarrt. Er lag in dem, was er inzwischen sein neues Haus nennen durfte. Er sprach ausschließlich mit Ulf und nur über Haus und Hof. Er wollte nicht, dass das Fieber wiederkam.
Dafür hätte es viele Gründe gegeben. Dem ehemals so stattlichen Großbauern aus Jæren ging es schlecht damit, auf dem Stroh zu liegen und alles seinem Verwalter zu überlassen. Auch ging es ihm schlecht damit, dass der Nachbar, Schild-Bjarne, eben diesem Verwalter neue Ideen in den Kopf gesetzt hatte. Zudem machte es ihm Sorgen, dass nun alle auf dem Hof wussten, dass er friedlos war und nur seinen Verwalter hinter sich hatte. Und schließlich quälte ihn noch, dass der Verwalter allein dem ungestümen Wesen seines Sohnes ausgesetzt war.
Dennoch war es ständig Ulf, der Befehle von der fiebererfüllten Schlafbank bekam, und jeden Tag trat er hinaus ins Helle, um zu verkünden, welche Order drinnen im Dunkeln geäußert wurde.
Erik verhielt sich schweigsam. Das Wichtigste für ihn war die Neuigkeit, dass sein Vater eine mögliche Übersiedlung in die Gegend nördlich der sieben Klippen akzeptiert hatte. Die Krankheit bekümmerte ihn natürlich, doch in seinen Knochen und in seinem Brustkorb spürte er, dass sein Vater eines Tages wieder aufstehen würde. So war es immer in ihrer Familie gewesen. Alle standen wieder auf. Und was seinen Vater anbelangte, kam es Erik vor, als wäre dieser unsterblich.
Torhal war indes tief besorgt gewesen. Er hatte alles Mögliche über die Ungnade von Thor vorgebracht, das durch das Gerede, neues Feuer zu entfachen, entstanden sei. Und er hatte seine Unsicherheit darüber geäußert, in allen Dingen auf Schild-Bjarne zu hören. Außerdem war er über die Aussicht auf eine Übersiedlung besorgt, bei der nur Ulf Befehle erteilte, die obendrein aus dem Inneren eines dunklen und bedrückenden Raums kamen.
Erik hatte das Ganze nicht ernst genommen. Er war sich seiner Sache sicher: Sie sollten den kompletten Hof nach Norden verlegen. Wie sie genau vorgehen sollten, wusste er nicht. Aber sicher war er. Erik hatte vorläufig nichts weiter unternommen, um seinen neu gewonnenen Verbündeten auszuhorchen. Er war versucht, mit Ulf ein eingehendes Gespräch zu führen, doch seine gebrochene Nase hatte ihm gesagt, dass es klüger wäre, abzuwarten.
Er hatte Ulf unten am Strand auf einem Stein sitzen sehen, der einem Mast in einem Land voll Eis ähnelte. Er war bereits auf dem Weg zu ihm gewesen, hatte aber geahnt, dass dabei nichts Gutes herauskommen würde. Gleichzeitig hatte er eine Art Mitgefühl für den vormals so derben Verwalter empfunden, der nun dasaß und überlegte, wie er alles zusammenhalten und Erik und Torhal auf Abstand halten konnte.
Erik war äußerst zufrieden damit, dass er und Torhal an sich gehalten hatten und dieselben Tätigkeiten ausübten, die die anderen Kerle ausschlugen. Ab und zu brachen sie für einige Tage auf, kehrten aber immer mit Jagdbeute zurück. Deshalb hatte Ulf nie nach ihrem Tun und Handeln gefragt. Torvald lag still auf seinem Krankenlager, und Erik wusste, dass Ulf seinen Hausherrn nicht über seine Ausflüge unterrichtete. Die Leute auf dem Hof betrachteten das Ganze mit Verwunderung und Verwirrung.
Alle schienen sich darüber bewusst zu sein, dass Ulf sich aus Vorsicht auf Abstand hielt und es für ihn eine demütigende Sache gewesen wäre, wenn Erik mit List und Drohungen seinen Willen bekommen hätte. Auf dem Gehöft wussten alle, dass Versöhnung nicht die Sache des Verwalters war, aber sie wussten auch, dass er niemals Torvald im Stich lassen würde, mit dem ihn sein Schicksal verband.
Just an diesem Abend beobachtete Erik aus der Entfernung Ulf, wie er allein dasaß. Unbeirrt näherte sich Steilbart und stellte sich neben Erik. Steilbart war, wie so viele andere aus dem nördlichen Norwegen, ein kräftig gebauter Mann. Er hatte viele Jahre lang treu auf Torvalds Hof gedient. Keiner wusste, wie sein richtiger Name war, daher wurde er wegen seines langen, herabhängenden Bartes eher recht als schlecht Steilbart genannt. Erik war überrascht, als sich der große Mann an ihn wandte. Steilbart war als zurückhaltend bekannt.
- Nun sitzt Ulf dort und denkt darüber nach, dass er auf Gedeih und Verderb mit dir leben muss, Erik. Torvalds unbändigem Sohn. Er kann sich nicht von dir trennen, so wie ein Widder mit seinen Zecken leben muss.
Читать дальше