Dessen Augen blitzten auf.
Erik sah Blitze vom Abbild des Rotbärtigen auf seinen Vater springen. Er klammerte sich an das Eisen und war im Begriff, um sich zu schlagen. Sowohl um sich als auch seinen Vater zu verteidigen. Aber auch, um seine Furcht zu bekämpfen.
Dann reckte sein Vater seine Hand erneut zum Himmel. Und er schleuderte sie mit großer Kraft und lautem Heulen nochmals auf das Antlitz von Thor hinab.
Die Hand seines Vaters traf. Ein Funke sprang aus einem Auge des Rotbärtigen auf die Hand seines Vaters. Mit einem erneuten Aufheulen – diesmal triumphierend – legte sich sein Vater über die Pfähle. Er atmete tief ein und stieß die Luft anschließend aus.
Seine Hand hatte das Feuer entfacht.
Aus dem Stoffbündel stachen kleine Flammen hervor, die Eriks Vater behutsam in seinen Händen hin und her bewegte, während er ihnen kleine Neckereien zuraunte. Dann hielt er das flammende Bündel vor Erik, der zögernd zusah.
Sein Vater legte das Knäuel in ein kleines Behältnis am Ende der Eisenstange und blies anschließend noch mal in die zarten Flammen. Das Feuer erfasste nun das gesamte Ende der Stange. Darauf nahm er Eriks Handgelenk und hob dessen Hand mit dem Eisen gen Himmel.
- Asgards Beschützer! Mit deinem Feuer weihen wir diese Stätte. Behüte uns gut!
Der Ausruf seines Vaters zum Himmel war rasend wie eine Drohung und es lag auch kein Bitten in ihm, als er fortfuhr.
- Rotbart! Dein Feuer möge dieses Gelände umsäumen. Beschütze es!
Noch bevor er das letzte Wort ausgesprochen hatte, ging er in Richtung Strand hinunter. Mit dem hoch erhobenen Feuereisen in der einen Hand und mit der anderen Eriks Handgelenk fest umschlossen.
Erik folgte ihm auf seinem Weg.
Zunächst trugen sie das Feuer zum Ufer hinunter. Anschließend in nördliche Richtung am Wasser entlang, bis sie die ersten Klippen erreichten. Dann bogen sie unterhalb des Felsens ab und liefen südwärts an der senkrechten Felswand entlang, bis sie einen Damm aus herabgestürzten Steinen erreichten, der sich von der Südseite der Wiese bis zum Fjord erstreckte.
Die Wanderung endete, als sie an jene Stelle zurückkamen, wo Erik das Land mit den Pfählen betreten hatte. Jetzt kehrten sie zur Feuerstelle, den Stangen und der wartenden Ansammlung von staunenden Gesichtern zurück, die ein Kreis um sie bildete.
Torvald ließ von Erik ab. Mit flinken Händen nahm er den Deckel des rotbemalten Kübels ab, den Ulf von Bord geholt hatte. Daraus entnahm er eine kleine Schale mit zerkleinertem Speckstein. Dann einen kleinen Lederschlauch mit einem aus Knochen geschnitztem Stöpsel. Er zog den Stöpsel einen Spaltbreit hinaus und schüttete ein dickflüssiges Öl in das Gefäß, woraufhin er das Feuereisen erhaben daran hielt.
Die bläulichen Flammen sprangen bereitwillig auf das Gefäß über.
Der Schein des Feuers überstrahlte den Sonnenschein, und der flackernde Widerschein zeichnete sich auf den vielen Gesichtern ab, die um den Feuerplatz standen.
Torvald ließ das kleine, brennende Gefäß zwischen die zwei Pfähle stellen. Er rammte die Eisenstange in die Erde und steckte anschließend beide Fäuste in den Kübel. Als seine Hände wieder auftauchten, waren sie voll von Erde. Er hielt einen großen Klumpen dunkle, feuchte Erde zwischen beiden Handflächen.
Während er wieder begann, seinen düsteren Gesang anzustimmen, zerrieb er die Erde zwischen seinen Fingern und ließ sie auf die Wiese fallen. Der dunkle Mutterboden fiel in kleinen Klumpen zwischen den Fellen und der Feuerstelle auf das Gras.
- Hier stellen wir das Haus auf. Hier sollen die Pfähle stehen. Hier werden wir auf vertrauter Erde ruhen. Hier wird sich der Rotbärtige aufhalten. Hier werden wir alle leben, wenn Erik fährt.
„Mut ist besser
als Erz, das weiß ich,
bei einem Kampf zwischen den Beherzten,
denn einen tapferen Mann
habe ich oft den Sieg erringen gesehen
mit einem stumpfen Schwert.“
Fáfnismál, Island, 9. Jahrhundert
Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben
„Verkriech dich in der Ecke,
weine mit deiner Geliebten!
Wenn du deinen Vater nicht ehrest,
bist du ein erbärmlicher Sklave;
dann erleidest du die Schmach
wie eine gejagte Ziege;
du wirst fallen
wie ein Schaf, das geschlachtet wird.“
Lied von Ingjald, Island 9. Jahrhundert
Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben
Weit draußen im Norden konnten sie das Eis sehen.
Es war nicht dasjenige Eis, das sie von den heimischen Ufern kannten. Keine vereinzelt umher treibende Schollen, die friedlich das Ufer bedeckten. Dies hier war weit entfernt davon. Kleine schwimmende Berge und kompakte Eisflächen bedeckten lauernd den Horizont.
Keiner auf dem kleinen Gelände hatte zuvor solche Eismassen gesehen, und aus gutem Grund wurde in jenen Tagen viel darüber gesprochen. Die Unsicherheit war genauso groß wie die zunehmende Kälte der Luft. Wenn das Eis im Meer derart viel sein konnte, wie würde dann erst der Winter werden? Diese brennende Frage schwirrte durch alle Köpfe der Menschen auf der kleinen Landzunge und daher ähnelten sie einem Ameisenhaufen, der mit einem Stock aufgescheucht wurde.
Die Verwirrung und Unruhe war durch Torvalds Andeutung, die alle vernommen hatten, nicht geringer geworden. Der Hausherr hatte nicht weiter ausgeführt, was er damit meinte, und daher war die Luft mit Vermutungen erfüllt. Die folgenden Tage vergingen betriebsam mit all den Tätigkeiten, wovon viele einen unglücklichen Ausgang nehmen sollten.
Der Hausbau wurde unaufhörlich von erregten Gesprächen über den fremdartigen Anblick des Eises in der Ferne unterbrochen. Und war es nicht das Eis, so war Erik der Gesprächsgegenstand. Jedes Mal musste Ulf alle zur Arbeit ermahnen. Er nötigte die Leute, mehr Treibholz von der Küste heranzuschaffen. Glücklicherweise gab es darunter schwere, feuchte Stämme. Ohne sie wäre ihre Zukunft noch zweifelhafter gewesen.
Keiner wagte es, das, was an Land wuchs, einen Baum zu nennen. Es waren kleine, verkrüppelte Gewächse, die sich kaum zum Verbrennen eigneten. Dennoch konnten sie sie gut gebrauchen. Denn sie hatten immer noch keine Möglichkeit entdeckt, Torf zu stechen.
Torvald war am Felsen gewesen und schwerfällig trottend zurückgekehrt. Wie er so die Steine an der Felswand träge hinunter watschelte, mit dem Blick genau auf jede Stelle gerichtet, auf die er seine Füße setzte, ähnelte er einem schläfrigen Bären, der zu früh aus seinem Winterbau vertrieben worden war.
Er strahlte großen Missmut aus.
Von den höchsten Punkten aus hatte er eine gute Aussicht auf das Land. Das meiste war braun und grau. Scharfkantig und verwittert. Unwegsam und sonderbar. Voll mit merkwürdig rötlichem Gestein. Und vor allem abweisend.
Auf den Felsen gab es jedoch grüne Flecken, die aber kaum mit Gras bewachsen waren. Die meisten Böschungen waren mit verschiedenen Moosen und Flechten überwuchert.
Und über allem erhob sich eine riesige Eiskappe.
Torvald und Ulf kannten sich mit Gletschern aus und wussten, dass sie selbst im Sommer sicher nicht vollständig verschwinden würden. Doch sie waren nicht mit unnatürlichen oder bösen Kräften bevölkert.
- Aber selbstverständlich lassen wir uns im Schatten bei einem von ihnen nieder.
Torvalds seufzender Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er dabei war, aufzugeben. Kurz darauf stupste Ulf seinen gedrungenen Hausherrn eifrig aufmunternd an.
- Die Gletscher werden uns kein Leid zufügen. Sie dehnen sich aus und strahlen eine große Kälte aus, aber sie stören nicht die Ruhe auf dem Hof.
Torvald schien sich damit zufriedenzugeben. Er richtete den Blick auf das Meer hinaus, wo ihm wieder der Anblick des treibenden Eises begegnete.
- Wir werden sehen, ob das Feuer des Rotbärtigen uns den Winter über beschützen kann. Es sieht nämlich so aus, als würden wir von allen Seiten vom Eis eingeschlossen. Und das Eis draußen auf dem Meer gefällt mir ebenfalls nicht. Es sieht sowohl tückisch als auch wild aus.
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