1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 - Ja, dort unten beobachtet jeder den anderen. So, als säßen sie im Scheißhaus.
Schild-Bjarne setzte ein breites Grinsen auf. Um ihn herum standen seine Knechte, die von ihrer Statur und ihrem Aussehen ganz anders waren als diejenigen, die Erik auf den Höfen im Breiðafjord gesehen hatte. Trotz ihrer Größe wirkten sie weniger von der Gegenwart des Großbauers eingeschüchtert. Sie standen ebenbürtig um ihn herum. Doch konnte jeder sehen, dass keiner von ihnen daran zweifelte, wer das Wort führte. Und Erik bemerkte, dass sie alle ihre Waffen sichtbar trugen.
- Torvald Asvaldsson, kennst du meinen guten Freund Thor, der mich in vielem berät und an der Seite der Ehrbaren steht?
Es war Schild-Bjarne, der sich unerwartet und direkt an ihn wandte. Torvald antwortete zustimmend und mit hörbarer Zufriedenheit, die ihre Übereinstimmung unterstrich.
- Er ist ein ebenso guter Freund von mir.
- Das klingt nach einem guten Anfang. Daher lasst mich sagen: In diesen Gegenden brauchen wir die Vorsehung und Einsicht des Rotbärtigen. Sollte es deine Absicht sein, dich hier niederzulassen, so vertraue auf ihn. Sonst wird es dir weniger gut ergehen.
- Dies ist meine Absicht, Bjarne.
Schild-Bjarne riet ihnen dann, dass sie nach ein paar Tagesreisen die etwas südlich vom Fjord gelegenen Inseln und dessen kleinen Hof umfahren sollten. Draußen im Meer sollten sie die Stöcke mit Thors Antlitz ins Wasser werfen und ihnen dorthin folgen, wo sie angeschwemmt würden. Auf diese Weise werde Torvald zu dem besten Platz für seinen Hof geführt.
- Aber beratschlage dich mit deinem Freund Thor, damit die Stöcke nicht unten am Húnaflóifjord angetrieben werden. Ich kann dir nämlich sagen, dass dort teilweise Leute leben, die es daheim im Breiðafjord nicht schafften. Und diese Sorte Mensch ist am schlimmsten.
- Wir lassen uns von Thor guten Rat geben, antwortete Torvald.
- Wenn du eine Feuerstelle auf deinem Grundstück hast, werde ich dir einen Besuch abstatten und diejenigen Ratschläge geben, die man im Gewandärmel haben sollte. Und übrigens. Du solltest zusehen, dass das Gesicht deines Sohnes in Ordnung kommt. Es schickt sich nicht für ein ehrbares Geschlecht, dass der Nachkomme mit blauen Flecken und zerschundenem Gesicht herumläuft.
Er lachte wieder, lauthals und gutmütig.
- Solltest du keine heilkundigen Frauen mitgebracht haben, so kannst du einen Knecht zu mir schicken. Gewiss wird meine kleine dunkle Murid seine blauen Flecken gerne einschmieren und sein Gesicht in Ordnung bringen.
Seine Miene und Haltung deuteten an, dass die Plauderei beendet war. Er war bereit, Torvald und die ganze Ladung von Freien und Sklaven beim Essen zu treffen.
Einige Tage später ließ Torvald seinen Versprechungen Taten folgen. Er war fröhlich gestimmt, als die Knorr aus Schild-Bjarnes Bucht auslief und den Kiel südwärts steuerte. Hinaus auf das Meer, vorbei am Bjarnefjord. Dort warf er Axt-Torers altehrwürdige Hochsitzstangen ins Meer und folgte aufmerksam ihrem Tänzeln und Schaukeln in den Schaumkronen, während sie immer weiter in südliche Richtung trieben – in den Húnaflóifjord.
Die Stangen umrundeten schließlich eine beeindruckende Landspitze, wo sich erhaben aufgereihte Klippen scharfkantig in das Meer erstreckten. Hoch, schlank, dunkel und spitz. Die blanken Felsen zeichneten sich scharf am Abendhimmel ab. Die größte Klippenspitze befand sich landeinwärts und die kleinste lag draußen am Ufer.
Der Anblick machte Erik schwindelig und er seufzte mehrmals.
- Torhal, Torhal. Schau. Sieben Klippen. In einer Reihe. Wahrlich ein gutes Zeichen.
Die Stangen trieben weiter in südliche Richtung. Auf- und niederschaukelnd steuerten sie zwischen Inseln und verwitterten Felsen direkt auf einen schmalen Strand zu, der vor einer kleinen Wiese lag. Dort ließ Torvald das Schiff an Land ziehen. Eine kleine, dreieckige grasbedeckte Landspitze. Es war ein solch verstecktes Kap, dass kein anderer Mensch Anspruch darauf erheben könnte, so wie es dort mit dem steilen Felsen hinter sich und dem offenen Meer im Osten lag. Der Platz war derart eng, dass nicht einmal alle Zelte aufgestellt werden konnten, wenn auf dem halb verdorrten Gras auch noch die Tiere Platz finden sollten.
Es war an der kleinsten und tristesten der vielen Landspitzen der Nordstrände, wo sie an Land gegangen waren. Torvald hatte beschlossen, dass alle Leute, Sklaven und Tiere vom Schiff sich hier niederlassen und leben sollten. Und mit dieser ernüchternden Aussicht begaben sie sich alle zur Ruhe in dieser Nacht. Es war auch just dort, wo sich am nächsten Morgen alle um Torvalds mächtigen, schweren Körper versammelten.
Er hatte sich auf einen Stein gesetzt und saß nun vornübergebeugt an den letzten Resten des Lagerfeuers. In seinen mächtigen, groben Händen spielte er mit einigen Kieseln, die er von einer Hand zur anderen rollte. Dabei schaute er abwesend zum Strand hinunter, wo die Hochsitzpfeiler halb an Land, halb im Wasser lagen. Es lag eine merkwürdige Mischung aus friedvoller Erhabenheit und nervöser Anspannung auf dem Anblick der kompletten Schiffsbesatzung, die sich unmerklich dem zusammengesunkenen Körper am Feuer zu nähern begann. Selbst ihre Körper schienen davon erfasst zu sein. In ihren Gesichtern war nicht abzulesen, ob sie auf dem Weg zu einem Abschied oder zu einer Verurteilung waren.
Ruhig erhob sich Torvald und betrachtete die kleine Schar. Er trat auf Erik zu, der immer noch mit dem Löffel in der Hand dastand. Er schaute seinen Sohn an, und als der Vater die Hand auf die Schulter seines Sohnes legte und redete, entstand in diesem Augenblick eine besondere Erwartung.
- Erik hat seinen Wert gezeigt, und nun holt er die Hochsitzpfeiler. Gemeinsam werden wir das Feuer herumtragen.
„Sobald ihre Schiffe den Ankerplatz erreicht hatten,
ging jeder von ihnen an Land; sie hatten Brot, Fleisch, Zwiebeln, Milch
und Met dabei und gingen zu einem hohen, aufgerichteten
Holzpfeiler mit einem Gesicht, das aussah wie das
Gesicht eines Menschen.“
Ibn Fadlan, arabischer Gesandter,
Um 920
„Alle Tempel von Thor
und die Heiligtümer der Mächte
gab der kluge Mann
den Menschen zurück
bevor er – der Krieger Thors –
mit dem Schwert von dannen zog
über das Meer und das Land.
Die Götter geleiten diesen Mann.“
Skald Einar Skáleglam,
Die Sage von Jarl Hákon, 12. Jahrhundert
Das Licht blendete in seinen Augen und ließ ihn schwindelig werden. Die Hand seines Vaters lag auf seiner Schulter, jedoch ohne das vertraute Gewicht in der Pranke. Einzig Eriks Oberschenkelmuskeln schienen auf diese leichte Berührung zu reagieren. Sie zuckten kurz zusammen. Ihm war klar, was das bedeutete. Er hatte genau von diesem Augenblick fabuliert. Hatte schwindelnd ungeduldige Träume geträumt und viele Stäbe geschnitzt, während er vor sich hinmurmelte, wie alles weitergehen würde.
Nun passierte es.
Wie ein scheues Tier, das seinen Jäger entdeckt, riss er die Augen auf. Die kalte Luft vom Meer kühlte. Die kräftige Herbstsonne wärmte. Zwischen Vater und Sohn köchelte eine hitzige Spannung. Das war am deutlichsten in Eriks zerschundenem Gesicht zu sehen.
Er trippelte mit den Füßen leicht umher, um die Oberschenkel, Knie und Kiefermuskeln zu entspannen.
Ulf trat einen Schritt in den Kreis hervor. Offensichtlich wollte er etwas sagen. Und es war deutlich, dass er es nicht auf das Nachplappern abgesehen hatte. Er wollte Einwände hervorbringen. Doch ein kurzer, energischer Blick Torvalds ließ ihm bereits das erste Wort im Halse stecken bleiben.
Er verharrte, eingefroren in seiner Bewegung. Dann trafen ihn Torvalds Worte.
- Derjenige, der als verständig angesehen wird, soll seinen Grimm zügeln, wenn der Hausherr spricht.
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