Ich wusste genau, worauf sie hinauswollten. »Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte es keine Notwendigkeit gegeben, die Gegenstände auszutauschen, dann wären sie einfach weg gewesen. So wurde zumindest auf einen flüchtigen Blick der Eindruck erweckt, dass sich nichts verändert hat. Und deshalb denkt ihr auch, dass …«
»Dat jemand unser Gespräch mit ihm belauscht haben muss«, raunte Cäcilie. »Wir waren in seiner Suite, alle Fenster und Türen waren geschlossen, auch die Wohnzimmertür. Und wir haben natürlich nicht herumgekreischt wie hyperaktive Kindergartenkinder. Selbst wenn jemand an der Wohnungstür gelauscht haben sollte, konnte man uns nicht verstehen, da bin ich sicher.«
»Haben alle Suiten denselben Grundriss?«, fragte ich.
Die Schwestern nickten.
Das bedeutete: Wie hier gelangte man vom Wohnzimmer in einen Flur, von dem zwei Schlafzimmer und das Bad abgingen. Es war schlicht unmöglich, von der Wohnungstür aus durch die geschlossene Wohnzimmertür ein Gespräch zu belauschen, das war Fakt.
»Deshalb denkt ihr also, dass die Wohnungen dieser Residenz verwanzt sind. Vielleicht hätten wir uns dann besser woanders treffen sollen, meint ihr nicht auch?«
Käthe beugte sich nah zu mir und flüsterte in mein Ohr: »Wir haben bei uns schon alles abgesucht und nichts gefunden. Aber man weiß ja nie, deshalb unterhalten wir uns hier und nicht in der Suite. Reine Vorsichtsmaßnahme. Außerdem denken wir, dass vielleicht nur die Wohnungen verwanzt sind, in denen was zu holen sein könnte, und wir haben nicht gerade haufenweise Juwelen rumliegen. Da gibt es ganz andere Kaliber in dieser Residenz. Allerdings auch Bewohner, deren Kinder das Apartment bezahlen.«
Dass sie nichts gefunden hatten, musste nichts bedeuten – es gab sicherlich winzige Abhörgeräte, die nur mit speziellen Geräten aufzuspüren waren.
Und hier draußen? Hatte man uns heimlich verfolgt? Tatsächlich hoffte ich spontan, dass niemand im Gebüsch hockte und wir leise genug geredet hatten.
Huch? Hieß das etwa, dass ich den Schwestern glaubte? Dass es hier tatsächlich einen Fall zu lösen gab?
»Was genau wollt ihr denn jetzt von mir?«, fragte ich die Schwestern.
»Du musst rausfinden, wat mit Heriberts Sachen passiert ist«, erwiderte Cäcilie ernst. »Und ob Heribert wirklich einfach nur gestorben ist oder ob jemand nachgeholfen hat.«
Natürlich hatte ich bereits geahnt, dass es genau darauf hinauslaufen würde. Aber wie stellten sie sich das vor?
Du musst rausfinden … Leichter gesagt als getan.
Am liebsten hätte ich ihnen gesagt, dass ich keine Möglichkeit sah, Heriberts Tod aufzuklären. Wenn es dabei überhaupt etwas aufzuklären gab.
Zudem hatte ich nicht den Hauch einer Idee, wie ich hier in der Residenz irgendetwas herausfinden sollte; schließlich konnte ich nicht einfach von Tür zu Tür gehen und die Bewohner ausquetschen. Oder überall herumschnüffeln. Mit welcher Berechtigung auch?
Beim Personal konnte ich erst recht nichts ausrichten. Was besonders dumm war, denn wo würde ich einen eventuellen Dieb zuerst vermuten? Innerhalb des Personals. Vielleicht nicht fair, aber durchaus naheliegend, wenn ich mich an die Szene vorhin im Speisesaal erinnerte. Vielleicht sollte der Schlagerfuzzi mal nachsehen, ob seine Rüschenhemden noch vollzählig waren.
»Du glaubst uns nicht«, sagte Käthe. »Du denkst, wir haben zu viel Fantasie. Das sehe ich deinem Gesicht an, Loretta.«
»Nein, das ist es nicht«, erwiderte ich. »Ich zermartere mir den Kopf, wie ich unauffällig etwas herausfinden soll. Denn nichts, was ich tun könnte, wäre unauffällig – weder wohne ich, noch arbeite ich hier. Außer zu Besuchen bei euch kann ich mich hier nicht aufhalten, ohne dass Fragen aufkämen.«
»Also kannst du nichts tun?« Cäcilie klang enttäuscht.
»Ich denke darüber nach, einverstanden? Und ihr schickt mir die Informationen und Fotos. Wer weiß – vielleicht habe ich ja einen überraschenden Geistesblitz.«
»Wer, wenn nicht du?«, sagte Cäcilie, die jetzt wieder lächelte.
Tja, wer?
Perlen subtilen Humors und Spaghetti mit Tomatensauce – es kann viele Gründe dafür geben, mit jemandem zusammen zu sein
Als ich bei Dennis eintraf, hatte er schon einiges im Garten geschafft. Ich hatte wenig bis gar keine Lust, mich körperlich zu betätigen, aber er forderte mich auch nicht dazu auf.
Mit baumelnden Beinen saß ich auf dem Gartentisch, mampfte einen Apfel und berichtete ihm, was die Schwestern mir erzählt hatten, während er mit einem Rechen Blätter und abgeknipste Blüten zu mehreren Haufen zusammenharkte.
Als ich geendet hatte, lehnte Dennis den Rechen an einen Baum und kam zu mir herüber. »Klingt ja abenteuerlich. Glaubst du ihnen?«
Ich zuckte mit den Schultern und warf das Kerngehäuse des Apfels zielsicher auf den nächstbesten Laubhaufen. »Gute Frage – nächste Frage. Sie halten den plötzlichen Tod ihres Mitbewohners Heribert für fragwürdig, das glaube ich ihnen unbesehen. Ob es ein natürlicher Tod war – keine Ahnung. Ich werde kaum zur Küpper gehen können, um sie zu bitten, mal eben seine Leiche ausbuddeln und obduzieren zu lassen.«
Bei der bloßen Vorstellung zuckte ich zusammen. Kommissarin Astrid Küpper würde mich nicht einmal zu Ende erzählen lassen, bevor sie mich aus ihrem Büro jagte. Was die Sache nicht eben besser machte: Sie kannte die Schwestern von ihren letzten Ermittlungen, bei denen sich unsere Wege einmal mehr gekreuzt hatten. Und todsicher erinnerte sich die Küpper an die Leidenschaft der Schwestern für Kriminalfälle.
Ich seufzte. »Wahrscheinlich wird man nie herausfinden können, ob Heribert ermordet wurde oder nicht. Aber …« Ich brach ab.
»Aber?«, fragte Dennis nach, als ich schwieg.
»Das mit den verschwundenen Sachen lässt mich nicht los, um ehrlich zu sein. Das bilden sie sich nicht ein. Die Uhr und der Teppich wurden offenbar wirklich ausgetauscht.«
Er nickte und rieb sich mit der Hand die Stirn, was einen breiten Streifen Schmutz hinterließ. »Wir vertiefen das später, okay? Ich wäre dir ewig dankbar, wenn du mir kurz hilfst, das Laub in Säcke zu stopfen. Der Wetterbericht hat für heute Nacht starken Wind angekündigt, und ich schieße mir eine Kugel in den Kopf, wenn das Zeug morgen früh wieder über den ganzen Garten verstreut ist.«
Ewige Dankbarkeit?
Wie könnte ich mir das entgehen lassen?
Ich hielt die großen Plastiksäcke auf, und Dennis schaufelte die verblühten Pflanzen und abgefallenen Blätter hinein. Die perfekte Arbeitsteilung; außerdem ging es so bedeutend schneller, als wenn er es alleine erledigt hätte. Nach kaum einer halben Stunde waren wir fertig, und Dennis sah sich zufrieden im Garten um.
»Ich füttere noch meine Schätzchen, und dann springe ich rasch unter die Dusche«, sagte er. »Ich bin völlig verschwitzt und stinke wie ein Iltis.«
Er gab mir einen Kuss und ging dann zu seinen ›Schätzchen‹, bei denen es sich um seine geliebten Zwergseidenhühner handelte. Sie residierten in einem großzügigen, teilüberdachten Gehege mit einer luxuriösen Hütte, die eine detailgetreue Miniaturnachbildung von Dennis’ Bauernhaus war. Allein dafür musste man diesen Mann lieben, fand ich.
Von der Küche aus hörte ich ihn liebevoll mit seinen Hühnchen sprechen, die ihm leise gackernd antworteten. Die kleinen Tiere waren so zutraulich, dass sie sich von ihm sogar auf den Arm nehmen und streicheln ließen.
Durch die Hintertür kam er in Haus, nahm erfreut zur Kenntnis, dass ich mit Kochen beschäftigt war, und stapfte die Treppe hinauf in den ausgebauten Dachboden, wo sich Schlafzimmer und Bad befanden. Sekunden später hörte ich die Dusche rauschen.
Читать дальше