Jetzt kapierte ich gar nichts mehr. Was ging hier ab? Galoppierende Paranoia? Die Schwestern waren fasziniert von Kriminalfällen, wie ich wusste, und deshalb waren sie auch regelrecht aus dem Häuschen gewesen, als sich vor einigen Monaten in ihrem Lieblingscafé direkt vor ihrer Nase ein Todesfall ereignet hatte. Die gesamte Kavallerie war aufmarschiert, sie hatten ihr Glück kaum fassen können. Mit diesem Erlebnis hatten sie in ihrer Seniorenresidenz sogar zwei oder drei unterhaltsame Vortragsabende gestaltet, die sie dort zu Superstars gemacht hatten.
Ich roch die Gefahr, dass sie nun dazu neigten, vermeintlich Kriminelles in völlig harmlosen Vorgängen zu suchen, und da kam ich ins Spiel. Da ich besagten Todesfall aufgeklärt hatte, hielten sie mich nun für eine oberschlaue Super-Detektivin, die der Polizei mal eben zeigte, wo der Frosch die Locken hatte. Obwohl ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, ließen sie sich nicht von ihrer Meinung über mich abbringen.
Und jetzt hatte ich den Salat.
»Wer soll uns denn eurer Meinung nach nicht belauschen können?«, fragte ich sanft.
»Wissen wir nicht.« Käthe zuckte mit den Schultern. »Wir sind allerdings ganz sicher, dass die Wohnungen verwanzt sind. Vielleicht nicht alle. Aber zumindest diejenigen, in denen was zu holen ist.«
Sag ich doch: galoppierende Paranoia. Dennoch schien es mir geboten, sensibel damit umzugehen und sie nicht etwa auszulachen.
»In Ordnung«, sagte ich. »Ihr habt bestimmt einen sehr guten Grund für eure Vermutung.«
Erneut warfen sie sich einen dieser Blicke zu und nickten synchron. Dann winkte Käthe mich näher zu sich und raunte: »Heribert besaß eine sehr kostbare antike Kaminuhr aus Porzellan, die stets auf seinem Vertiko gestanden hat. Seit seinem Tod ist sie verschwunden. Stattdessen hat man dort ein billiges, ähnliches Modell platziert, damit das Fehlen des Originals nicht auffällt. Auch sein persischer Teppich wurde ausgetauscht. Weiß der Himmel, was noch alles geklaut worden ist.«
»Könnte es nicht sein, dass irgendwelche Verwandten, also seine Erben, die Uhr und den Teppich genommen haben?«
Vehement schüttelte Käthe den Kopf. »Nie und nimmer. Der Heribert hatte keine Familie mehr. Außerdem: Warum sollten Erben die austauschen? Wenn sie die Sachen doch sowieso erben?«
Das stimmte natürlich.
»Sein Besitz sollte nach seinem Tod einem guten Zweck zugutekommen«, fuhr Käthe fort, »das hat er uns erzählt. Einem Hospiz oder einem Waisenhaus oder dergleichen. Genau hat er sich dazu nicht geäußert.«
»Verstehe. Seid ihr sicher, dass diese Gegenstände wirklich so überaus wertvoll waren? Oder hat er vielleicht nur ein bisschen … Ihr wisst schon.«
»Auf dicke Hose gemacht?«, fragte Cäcilie amüsiert. »Nee. Er hatte dafür sogar Expertisen, die hat er uns gezeigt. Irgendein Zar hat die Uhr irgendeinem von Heriberts Vorfahren geschenkt; für besondere Verdienste oder so. Und der Teppich war ein uraltes Stück aus einem Königspalast. Er hatte uns mal auf eine Tasse Tee eingeladen, dat war kurz vor seinem Tod. Eigentlich lebte er sehr zurückgezogen und lud niemals zu sich ein, aber«, sie kicherte kokett, »ich glaube, der alte Knabe hatte sich in mich verguckt. Ich habe – aus reiner Höflichkeit – die Uhr bewundert, die ich in Wirklichkeit potthässlich fand. Der Teppich war allerdings sehr hübsch, muss ich zugeben. Ich hab ihn gefragt, ob er diese Sendung kennt, die mit diesem kleinen Kerl mit dem Zwirbelschnäuzer. Da kann man hingehen, wenn man Sachen begutachten und schätzen lassen will. Außerdem sind da noch ein paar Antiquitätenhändler, die auf die Gegenstände bieten können.«
Sie blickte mich fragend an, und ich schüttelte den Kopf. Der Tag, an dem ich mich für Antiquitäten interessierte – seien es echte oder vermeintliche –, musste erst noch kommen.
»Nicht? Da hast du was verpasst. Käthe und ich raten immer, was die Sachen wohl wert sein könnten. Wie auch immer: Mein Vorschlag hat den guten Heribert sehr amüsiert«, fuhr Cäcilie fort. »Alle Händler zusammen hätten nicht genug Geld für seine Uhr dabei, und für den Teppich auch nicht, sagte er. Zack, schon hatte er die Expertisen aus dem Sekretär gezaubert und hielt sie uns unter die Nase. Der war stolz wie Oskar, sag ich dir. Und wat ich da gelesen hab, hat mich glatt aus den Socken gehauen: Die Uhr wurde auf 30.000 Euro geschätzt, der Teppich auf 55.000. Na, wat sagst du jetzt?«
Ich sagte gar nichts. Erst mal musste ich diese unglaublichen Summen verkraften. So etwas hatte ich nicht im Traum erwartet.
Käthe erzählte weiter. »Außerdem besaß er wohl noch eine Sammlung antiker Taschenuhren, die mal irgendwelchen Persönlichkeiten gehört hatten: Zaren, Königen und Politikern. Die sollen ein kleines Vermögen wert sein.«
»Und diese kostbaren Dinge hatte er einfach so in seiner Suite?«, fragte ich ungläubig. »War das nicht sehr leichtsinnig? Ich dachte immer, so etwas bewahrt man in Bankschließfächern oder dergleichen auf.«
»Das haben wir ihn natürlich auch gefragt«, erwiderte Käthe ernst. »Aber davon wollte er nichts wissen. Er wolle seine Schätze um sich haben und jederzeit ansehen können, hat er gesagt. Er wolle die Uhr schlagen hören und den Teppich unter seinen Füßen spüren, das waren seine Worte. Das war ein wenig exzentrisch, zugegeben, aber tatsächlich fand ich das sehr sympathisch. Er besaß diese Dinge, weil er sie wirklich liebte. Und nicht etwa als Geldanlage, die in irgendeinem Tresor vor sich hin schimmelt. Sein Plan war, das alles am Ende seines Lebens in einem Auktionshaus versteigern zu lassen und den Erlös so zu verteilen, wie er es in seinem Testament festgelegt hatte. Oder festlegen wollte.«
Die Schwestern sahen mich gespannt hat, und ich sagte: »Aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Hat er erwähnt, wann er die Dinge verkaufen wollte?«
Synchron wurden zwei silberlockige Köpfe geschüttelt, dann holte Cäcilie tief Luft. »Für ihn gab es keinen Grund zur Eile. Er war ja gesund und fit. Tägliches Powerwalking durch den Park, und zwar bei jedem Wetter. Gymnastik und Training in unserem Fitnessraum, gesunde Ernährung … Sein Arzt hatte ihm gerade erst die Konstitution eines Mannes von höchstens Ende sechzig attestiert – und Heribert war Mitte achtzig. Verstehst du jetzt, warum wir misstrauisch sind?«
»Lasst mich einen Moment nachdenken.« Ich stand auf und ging ein paar Schritte, um das Gehörte zu sortieren.
Tatsächlich war nicht zu leugnen, dass Heriberts Besitz für Diebe durchaus reizvoll gewesen wäre. Ebenso wenig war zu leugnen, dass der wirkliche Wert der Sachen vermutlich nur einem Kunstexperten klar gewesen sein dürfte.
Oder hatte besagter Heribert nicht nur die Schwestern eingeweiht, sondern überall mit seinen Kostbarkeiten geprahlt? Eventuell aber hatte irgendjemand – Personal, Besucher, was weiß ich – Fotos von der Uhr und dem Teppich gemacht und diese dann einem Experten vorgelegt. Aber war es möglich, aufgrund von Fotos wirklich verbindliche Aussagen zu machen?
Ich setzte mich wieder und fragte: »Seid ihr wirklich sicher, dass Heribert mit dem Wert der Sachen diskret umgegangen ist?«
Beide nickten, dann erwiderte Käthe: »Er war kein geschwätziger Mensch, das mal vorweg. Außerdem: Wenn er es herumerzählt hätte, wäre es mit Sicherheit in der Residenz ein beliebtes Tratschthema gewesen – die Klatschtanten hier stürzen sich auf alles, was nur halbwegs interessant ist. Dazu kommt: Bei unserem Gespräch bat er uns dringend um Stillschweigen, da niemand davon wisse. Das sicherten wir ihm natürlich zu.«
»Und woher wisst ihr so genau, dass die besagten Dinge ausgetauscht wurden? Nach seinem Tod durfte doch bestimmt niemand in seine Suite, oder?«
Käthe kicherte. »Man kann durchs Fenster nicht nur raus-, sondern auch reingucken. Wir zwei waren neugierig, das gebe ich gerne zu. Eigentlich gab es nicht einmal einen besonderen Grund, denn wir haben ja erst dann entdeckt, dass dort eine andere Uhr stand. Cäcilie fiel dann auf, dass auch der Teppich anders aussah. Und was bedeutet das wohl, liebe Loretta? Welches eindeutige Signal sendet dein kriminalistischer Instinkt?«
Читать дальше