»Klein ist er nicht gerade, oder?«
»Du musst ja nicht alles heute erledigen. Und ich könnte dir später noch helfen.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Nach dem Frühstück trödelte er noch ein wenig herum, aber schließlich verabschiedete er sich. Baghira bekam eine winzige Portion vom übriggebliebenen Rührei, die er begeistert verputzte. Als er sah, dass ich den Staubsauer einstöpselte, floh er Hals über Kopf auf seinen Kratzbaum und beäugte von oben aus sicherer Entfernung, wie ich die lärmende Teufelsmaschine durch die Wohnung manövrierte. Als ich das erledigt hatte, putzte ich das Bad, das es mehr als nötig hatte.
Danach brühte ich mir einen frischen Espresso und lümmelte mich damit aufs Sofa. Kaum saß ich, als das Telefon klingelte: Es war meine beste Freundin Diana.
»Huhu!«, zwitscherte sie aufgeräumt. »Ich habe dich doch nicht etwa geweckt? Oder bei etwas gestört?«
Die Art, wie sie dieses Wort aussprach – gestöööhööört – , ließ eine gewisse Schlüpfrigkeit mitschwingen. Prompt ritt mich der Teufel.
»Nee«, erwiderte ich betont brummig. »Bin gerade mit dem Putzen fertig.«
»Putzen? Wie unsexy. Und das am Sonntagmorgen. Ist Dennis nicht bei dir?«
»Dennis? Mit dem hab ich Schluss gemacht.«
Mit diabolischem Vergnügen genoss ich die fassungslose Stille am anderen Ende der Leitung.
Nach einer angemessenen Pause fuhr ich fort: »Je besser ich ihn kennenlernte, desto langweiliger wurde er. Stink-lang-wei-lig. Wir hatten uns rein gar nichts zu erzählen. Was auch? Schließlich sehen wir uns seit Jahren täglich, da werden die Gesprächsthemen knapp. Ehrlich, ich bin zu alt, um meine Zeit mit einem Langweiler zu verplempern.«
Immer noch Stille.
Schließlich wisperte sie: »Du machst hoffentlich Witze?«
»Wieso – hast du Angst, dass du den anderen das Geld aus der gewonnenen Wette zurückzahlen musst?«
Es hatte sich seinerzeit nämlich herausgestellt, dass meine Freunde um den Zeitpunkt gewettet hatten, wann Dennis und ich zusammenkommen würden. Diana hatte punktgenau geschätzt und ordentlich abgeräumt.
»Quatsch, ums Geld geht es mir nicht. Wie kannst du das nur denken? Aber ich dachte, ihr beide … Ich hab mich doch so für euch gefreut!«
»Ich doch auch, Diana. Zuerst jedenfalls. Aber wie sage ich immer: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.«
Wieder schwieg sie einen Moment lang, dann sagte sie: »Moment mal. Seit wann sonderst du denn derartig bescheuerte Phrasen ab? Zumal zu einem so wichtigen Thema! Weißt du was? Ich glaube dir kein Wort! Und ich kriege selbst durch den Hörer mit, dass dein Grinsen von einem Ohr bis zum anderen reicht.«
Ich musste kichern. »Schon gut, du hast ja recht. Keine Sorge, zwischen Dennis und mir ist alles in Butter. Wir haben uns lieb und sind sehr nett zueinander, wie es sich gehört. Aber er hat in seinem Garten zu tun, und ich bin später mit den beiden Schwestern verabredet.«
Ich musste ihr nicht erklären, wen ich damit meinte, denn selbstverständlich war Diana über jedes Detail meiner letzten Mördersuche informiert.
»Ich würde sie zu gern mal kennenlernen«, sagte sie. »Apropos: Okko nervt mich damit, wann ihr endlich mal zu uns an die Küste kommt.«
»Wer – die Schwestern und ich?«
»Quatsch. Dennis und du natürlich. Dennis war zwar auf unserer Hochzeit, aber Okko erinnert sich nur noch an einen Lulatsch in schrägen Klamotten.«
Lulatsch in schrägen Klamotten – das traf es tatsächlich recht gut, wie ich zugeben musste. Dennis war hochgewachsen und schmal, und er hatte eine Vorliebe für die Siebziger. Das führte zuweilen zu modischen Extravaganzen, die wahrlich nicht nach jedermanns Geschmack waren, aber das war ihm so wurscht wie nur was. Schon immer hatte ich das Selbstbewusstsein bewundert, mit dem er seine leidenschaftliche Liebe zu Schlaghosen, Plateaustiefeletten und überbreiten Krawatten auslebte. Oft genug sah er aus, als wäre er auf dem Weg zu einer Bad-Taste-Party, bei der er hundertprozentig den ersten Preis abgeräumt hätte. Das Beste war, dass er über meine spitzzüngigen und spöttischen Bemerkungen zu seinem Äußeren stets hatte lachen können. Ein Mann mit Selbstironie – das allein wäre ja eigentlich schon Grund genug gewesen, mich in ihn zu verlieben.
»Schönen Gruß an deinen Gatten – ein Besuch bei euch steht ganz oben auf meiner Liste.«
»Super. Aber sag Dennis, er soll mir dann nicht wieder damit auf den Keks gehen, dass ich die beste Domina war, die er jemals hatte, und zurück an seine Hotline kommen soll.«
Tatsächlich gehörte es zum Ritual, dass Dennis sie genau darum bat, wenn er und Diana sich begegneten. Wie ernst es ihm damit war, konnte ich nicht einschätzen, aber sicherlich würde er sich gegen ihre Rückkehr nicht wehren. Okko hatte nie ein Problem damit gehabt, dass Diana an der Sexhotline gearbeitet hatte, aber …
»Okko fände es also nur mäßig komisch, wenn Dennis die Telefondomina in dir wieder heraufbeschwören wollte?«, fragte ich amüsiert.
»Mäßig komisch?« Diana schnaubte. »Du weißt selbst, dass er mehr als entspannt mit meiner Vergangenheit an der Sexhotline umgeht, aber … Sagen wir so: Wenn Dennis in seinem Beisein versuchen würde, mich zu überreden, würde Okko ihm wahrscheinlich weit draußen im Watt bei einem Picknick auf einer Sandbank K.-o.-Tropfen in ein Glas Bier geben und ihn bei der nächsten Flut ersaufen lassen.«
»Und das als Anwalt.«
»Anwälte sind auch nur Menschen. Und zuweilen gleichzeitig Ehemänner, die ihre Frau abgöttisch lieben. Aber sie verfügen manchmal über ein profundes Wissen, wie sie den perfekten Mord begehen können.«
»Profundes Wissen? Ich würde das kriminelle Energie nennen, meine Liebe. Aber die Idee ist tatsächlich hübsch. Auf deinem Mist gewachsen?«
Diana kicherte. »Ja, gerade eben. Okkos Beruf scheint mich irgendwie zu inspirieren.«
»Solange du ihm keine Vorschläge machst, wie er meinen Freund beseitigen kann …«
»Das würde ich niemals tun. Dazu mag ich ihn viel zu sehr. Außerdem bist du wieder viel fröhlicher, seit du mit ihm zusammen bist. Süße, ich muss los, Heini wartet schon ungeduldig auf seinen Strandspaziergang. Grüß den Lulatsch von mir.«
Wir legten auf, und ich musste feststellen, dass ich sie nur zu gern auf dem Strandspaziergang mit Heini, ihrem quirligen Terrier, begleitet hätte. Es wurde wirklich mal wieder Zeit, sie zu besuchen. Zusammen mit Dennis.
Eigentlich hatte ich es sogar ihr zu verdanken, dass Dennis und ich jetzt ein Paar waren. Bei ihrem letzten Besuch bei mir war sie zu dem Schluss gekommen, dass ich einsam und unglücklich war, hatte mich an einem sehr angeheiterten Abend zu einem Profil auf einer Plattform für Singles genötigt, auf der auch Dennis aktiv gewesen war …
Der Rest ist Geschichte.
Eine Stunde später parkte ich mein Auto auf dem Randstreifen in der Straße, an der sich die Seniorenresidenz ›Herbstglück‹ befand. Wie üblich waren die beiden Flügel des schmiedeeisernen Tores, durch das man das weitläufige Gelände betrat, einladend geöffnet. Das Laub der malerischen Allee aus Buchen, die zur Residenz führte, schimmerte goldgelb und orange, wie es sich für den Herbst gehörte. Im Sommer nutzten die Bewohner der Einrichtung ausgiebig den schönen Park, der das Gebäude umgab, aber heute konnte ich niemanden entdecken, denn es war trotz der Sonne herbstlich kühl. Für meine Verabredung war ich etwas zu früh dran, also spazierte ich zunächst zum kleinen Ententeich. Sofort kam das Federvieh hoffnungsvoll zum Ufer gepaddelt, drehte aber umgehend desinteressiert wieder ab, als ich keine Anstalten machte, sie zu füttern. Klare Ansage: Du hast nichts für uns, also existierst du für uns nicht.
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