»Herr Meister scheint ja einen echten Traumjob zu haben. So ein verdammter Glückspilz. Ich hoffe, er bekommt für seinen Einsatz heute wenigstens ein großzügiges Trinkgeld.«
Cäcilie schnaubte. »Darauf würde ich nicht wetten. Einige hier sind nicht nur stinkreich, sondern haben auch noch einen Igel in der Tasche.«
Wie überaus sympathisch.
Die schöne Fassade dieser Luxusresidenz bekam in meiner Wahrnehmung erste Risse. Lebte hier etwa ein Haufen bornierter Snobs, die glaubten, die Angestellten herumscheuchen zu können? Bäh. Was gab ihnen das Recht dazu? Ihr Geld? Wohl kaum. Aber Herzensbildung konnte man sich halt nicht kaufen.
»Ach, Cäcilie, das gilt wirklich nicht für jeden. Etliche sind äußerst großzügig, Lucia zum Beispiel, oder Elisabeth. Was soll Loretta nur von unseren Mitbewohnern denken? Sieh nur, jetzt hat sie prompt schlechte Laune gekriegt«, sagte Käthe bekümmert. »Loretta, das wollten wir nicht.«
Ich riss mich zusammen. Mit einem Lächeln winkte ich ab. »Ist ja nicht eure Schuld. Selbst wenn nur zwei oder drei von ihnen sich so hochherrschaftlich verhalten: Da muss ich an Zeiten denken, als Angestellte wie Leibeigene behandelt wurden und rund um die Uhr zur Verfügung stehen mussten. Dafür sind selbst die Bewohner dieser Filmkulisse eindeutig zu jung, was allerdings kein Hinderungsgrund zu sein scheint. Wenn die mit allen so herablassend umgehen, lebt der eine oder andere hier gefährlich, schätze ich mal.«
Zwischen Käthe und Cäcilie flogen die Blicke hin und her wie ein Tennisball beim Finale in Wimbledon.
Sah ganz so aus, als hätte ich ins Schwarze getroffen.
Käthe und Cäcilie wittern ein Verbrechen, und Loretta soll es aufklären – aber wie?
»Ich mache uns einen schönen Mokka«, sagte Käthe, als wir wieder in der Suite der Schwestern waren. Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie in der winzigen Küche.
Mittlerweile wusste ich, dass die beiden Damen dort einen Kaffee-Automaten stehen hatten, dessen Kaufpreis ich im vierstelligen Bereich vermutete. Die Maschine war zwar relativ klein und kompakt, konnte aber das, was unter dem Oberbegriff Kaffee lief, in vierundzwanzig Variationen produzieren, Knopfdruck genügte. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass mich bei unserer ersten Begegnung eine tiefe Zuneigung zu diesem Gerät ergriffen hatte, was Käthe und Cäcilie ziemlich amüsiert hatte.
Ich stellte mich an eines der bodentiefen Sprossenfenster, von denen zwei auch als Terrassentüren fungierten. Der Ausblick auf den Park konnte sich sehen lassen, und das zu jeder Jahreszeit, wie ich annahm. Selbst im Winter musste die Anlage ihren Reiz haben, zum Beispiel, wenn alles mit Raureif überzogen war.
Da ich den Gebäudekomplex schon früher einmal umrundet hatte, wusste ich, dass es vier dieser Terrassen gab, die vermutlich sämtlich zu Suiten gehörten, wie die Schwestern sie bewohnten. Optisch unterschieden sich diese Außenbereiche stark voneinander: Die vor meiner Nase war von einer hüfthohen Buchenhecke mit einer seitlichen Lücke zum Durchschlüpfen umgeben. Bei meinem ersten Besuch hatte ich mich gefragt, ob ich mich mit einer höheren Hecke wohler fühlen würde, die mir etwas mehr Privatsphäre gewähren konnte. Aber es hatte sich herausgestellt, dass die Leute normalerweise die weiter entfernten Pfade benutzten und nicht – wie ich – quer über den Rasen latschten, um den Weg abzukürzen.
Bei den anderen Terrassen gab es keine Hecken, sondern lediglich vereinzelte am Rand platzierte Kübel mit affig geschnittenen, unecht wirkenden Buchsbaumskulpturen: Kugeln, Spiralen oder Kegel, die genauso gut aus Plastik hätten sein können. Im Sommer waren diese Bereiche mit geschmackvollen Gartenmöbeln und Sonnenschirmen ausgestattet gewesen, die alle gleich aussahen und wahrscheinlich zur Ausstattung der Suiten gehörten.
Ich hätte jede Wette gehalten, dass Frau von Dillingen es den Bewohnern keinesfalls erlaubte, das Gartenmobiliar selbst auszusuchen. Immerhin würde es den harmonischen Gesamteindruck der Residenz massiv stören, wenn einer sich für einen gestreiften Sonnenschirm begeistern würde und ein anderer für einen mit Punkten – undenkbar, schließlich war man hier nicht auf dem Jahrmarkt. Also bekamen alle einheitlich grüne Schirme, farblich passend zu den Polstern der Sitzmöbel.
Sicherlich gab es Schlimmeres, aber mich hätte es genervt, meine Terrasse nicht individuell gestalten zu dürfen.
Käthe brachte den Mokka herein. »Sooooo«, flötete sie dabei, wie weiland Else Tetzlaff.
Wir setzten uns aufs Sofa. Ich nippte an der zierlichen Mokkatasse, dann sagte ich: »Also, meine Damen: Raus mit der Sprache.«
Käthe schüttelte den Kopf. »Wir genießen jetzt erst einmal unseren Mokka, und dann machen wir drei Hübschen einen schönen Verdauungsspaziergang.«
Da in eine Mokkatasse gerade mal zwei oder drei kleine Schlucke passten, waren sie rasch geleert.
»Seid ihr ganz sicher, dass ihr in den Park gehen wollt?«, fragte ich. »Hier ist es so schön gemütlich.«
Um die Wahrheit zu sagen: Ich war diejenige, die keine Lust hatte, mich durch den Park zu quälen. Nicht nach diesem reichhaltigen Mittagessen. Aber keine Chance – die Schwestern waren unerbittlich. Und wenn ich heute noch herausfinden wollte, was sie mir zu sagen hatten, musste ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen.
Sie zogen sich warme Jacken an, und dann schlenderten wir über die gewundenen Wege. Ich verkniff mir weitere Aufforderungen, endlich auszupacken. Sonst plapperten sie zwar immer wie zwei hyperaktive Kanarienvögel, aber wenn sie nichts sagen wollten, war halt Funkstille. Noch.
»Setzen wir uns in den Pavillon, dort sind wir ganz ungestört«, sagte Käthe und deutete in Richtung der kleinen, verschnörkelten Laube, die hinter einigen rot belaubten Büschen zu erahnen war.
Nun, das wären wir in ihrer Wohnung doch auch gewesen, oder? Dennoch: Ich ahnte, dass sie einen triftigen Grund dafür hatten, unser Gespräch nach draußen zu verlegen. Meine Neugier stieg allmählich ins Unermessliche.
Die verblichenen Korbsessel knarrten, als wir uns setzten. Die Sonne schien, und es duftete zart nach den letzten Rosenblüten an den Ranken, die den Pavillon schmückten.
Cäcilie nickte Käthe zu. Die beugte sich zu mir und raunte: »Hier gehen Dinge vor sich, Loretta.«
Aha. »Was für Dinge? Spukt es etwa in dem alten Gemäuer?«
Ich hatte einen Witz machen wollen, aber Cäcilie zuckte nicht mit der Wimper. »Keinen Schimmer, ob Heriberts ruheloser, rachsüchtiger Geist hier spukt. Würde mich aber nicht wundern. Ich an seiner Stelle würde es tun.«
Heriberts … rachsüchtiger Geist?
»Wer ist Heribert?«, fragte ich. »Und warum sollte sein Geist rachsüchtig sein?«
Käthe atmete tief durch. »Heribert wohnte in Suite C. Vor drei Wochen ist er ganz plötzlich gestorben. Über Nacht. Abends haben wir noch zusammen Bridge gespielt, und am nächsten Morgen lag er tot im Bett.«
Du musst zugeben: Das ist seltsam , sagte ihr Blick, und ich wusste, jetzt war ein gewisses Maß an Diplomatie gefragt.
»Mädels, ich will euch nicht zu nahe treten, aber es soll vorkommen, dass ein alter Mann stirbt, auch mal über Nacht«, erwiderte ich also. »Wisst ihr zufällig, was als Todesursache festgestellt wurde?«
»Angeblich Herzstillstand.« Cäcilie schnaubte verächtlich. »Also echt, wat sagt dat schon aus? Bleibt die olle Pumpe etwa nicht immer stehen, wenn einer stirbt?«
»Das ist schon richtig, aber …« Mich fröstelte plötzlich. Während des Spaziergangs war mir warm genug gewesen, aber mittlerweile … »Sagt mal, warum sitzen wir eigentlich hier und nicht in eurer Wohnung?«
Sie wechselten einen Blick. »Damit man uns nicht belauschen kann«, erwiderte Cäcilie leise.
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