1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Und als in diesem Augenblick eine Flasche Rotwein auf den Tisch kam, konnte er sich nicht enthalten, die Geschichte von dem alten Karenke und den zehn Flaschen des Onkels zum besten zu geben, ohne sie jedoch in irgendeiner Weise mit Hannas Liebeswerk in Verbindung zu bringen. Der Pfarrer und seine Frau lachten, sie aber verstand seine Absicht sehr wohl. Sie liess sich jedoch nicht im geringsten aus der Fassung bringen, ja, aus ihren Augen traf ihn ein schneller, kampfesmutiger Blick, der da sagte: Warte nur! Auch meine Stunde kommt vielleicht, dann rechnen wir ab! Gerade das gefiel ihm. Er wollte sie in Verlegenheit bringen, und sie nahm den Fehdehandschuh auf.
Auf weichen Füssen kam der Abend geschlichen. Die Sonne sank tiefer, aus dem Tal stieg das Gold und hing sich in glitzernden Schuppenketten an die weissgraue Wolkenwand, die den Horizont säumte. Einmal noch griff die Sonne mit purpurnen Händen durch und schaute mit feurigen Augen auf die Erde. Die Sperlinge zwitscherten nur noch leise, auch die Tauben waren zur Ruhe auf ihren Schlag in der Bodenkammer gegangen. Es war ganz still auf der Welt geworden, ein leiser Wind zog von der Wiese her und trug herbstliche Düfte herüber. Tiefer Abendfriede deckte das Pfarrhaus, seinen Garten, seine Gehöfte mit weiten, schattenden Fittichen; von der Kirche gegenüber tönte die Abendglocke einige wenige Male, dann verstummte sie.
„Wunderbar,“ sagte da Fritz, der sich bis dahin in schweigender Andacht dieser feiernden Abendstimmung hingegeben hatte, während die andern um ihn ein gleichgültiges Gespräch führten, „wenn man hier so sitzt, inmitten dieser Pfarridylle, dieses Abends, der die Welt mit seiner Sabbatstille erfüllt, dann ist einem, als müsste es immer so auf Erden bleiben, als könnte es nie anders werden. Und wenn man dann daran denkt, wie mit einem Male über diese friedlichen Täler der Krieg ziehen, wie er uns alle aufwecken kann aus der sorglosen Ruhe, dem friedlichen Genuss der Natur!“
Er konnte nicht weitersprechen. Wie ein Feuerfunke waren seine Worte in die kleine Versammlung gefallen. „Krieg!?“ rief Hans. „Wie kommst du mit einem Male auf den Krieg?“
„Krieg!“ sagte gleichzeitig der Pastor, und die Hände nach seiner Art unwillkürlich faltend, fügte er hinzu: „Gott bewahre uns in Gnaden vor ihm!“ Die schwächliche Pastorsfrau aber war totenbleich geworden, ein stammelndes Zucken lief über ihre blutlosen Lippen, sie wollte etwas sagen, aber das Wort erstarb, bevor sie es hervorbringen konnte.
Hanna bemerkte es und streichelte beruhigend ihre Hand: „Lass gut sein, Grossmutter. Der Herr Rittmeister ist heute sehr kriegerisch gesonnen; er war es schon bei seinem Eintritt, aber er meint es nicht böse.“
„Ich weiss gar nicht, warum sich die Herrschaften über mein Wort so erregen. Wir können doch nicht immer im Frieden bleiben, und vorbereitet sein heisst hier alles. Oder wollten wir uns verhehlen, dass wir rings von einer Welt von Feinden umgeben sind, die nur auf den gegebenen Augenblick warten, während wir uns hier noch in die lieblichsten Träume der Liebe und Verbrüderung lullen?“
„Kommt der Krieg, so kommt er von Gott, und wir müssen uns in ihn finden,“ meinte der alte Pfarrer. „Jetzt an ihn zu denken, ist wohl ein wenig verfrüht.“
„Ich weiss auch nicht, Fritz, wie du mit einemmal auf diese Gedanken kommst,“ und mit einem schnellen, verweisenden Blick zeigte Hans auf die alte Pastorsfrau, der die Furcht aus jedem Zuge ihres welken Antlitzes lugte.
Jetzt sah Fritz, was er angerichtet. „Du hast recht,“ sagte er einlenkend, „es war eine Grille, die mir dieser friedliche Abend eingab. Wir leben und denken nun einmal gern in Gegensätzen.“
Nach dem Abendessen ging man in das Wohnzimmer, und die Unterhaltung drehte sich um minder ernste Dinge. Etwas harmlos Frohes lag in der Luft und auf den Gesichtern. Fritz hatte ein kleines Geplänkel mit der hübschen Hanna eröffnet, bei dem ihre Samaritertätigkeit wieder eine Rolle spielte. Und sie antwortete ihm so schlagfertig und mit so gutem Witz, dass ihm dieses heitere Duell eine wachsende Freude bereitete. Ihrer beiden Augen leuchteten vor Kampfeslust, der Eintritt der ernsten Männer, die sich in die veränderte Stimmung nicht gleich zu finden wussten, störten sie wenig, sie beachteten ihn kaum und scherzten in der Unbekümmertheit ihrer Jugend weiter.
Ihr froher Sinn ging auch über die Sorgen und Leiden der alten Frau hinweg, die, das müde Haupt an ein Kissen gelehnt, in der Ecke des altertümlichen Sofas sass. Nur ab und zu flog ein kurzer, mitleidiger Blick aus den jungen Mädchenaugen zu ihr hinüber. Warum machte sie sich nur so viele schwere Gedanken? Das Leben war doch so schön und reich! Man musste es nur recht sehen und mit guter Zuversicht anfassen! Ihr Los war doch auch wahrhaftig kein leichtes gewesen. Von früher Kindheit an verwaist und mittellos, nur von der Wohltat der Grosseltern erhalten zu werden — nicht jeder würde es so gefasst auf sich nehmen! Aber sie hatte den Mut nie verloren. Und wenn sie einmal ganz allein dastehen müsste, sie wollte den Kampf nicht fürchten. Ob die Grossmutter immer noch an Fritzens ernste Worte vorher im Garten dachte? Aber sie hatte recht gehabt, sie glaubte ihn einigermassen schon zu kennen: er hatte es so böse nicht gemeint. Er gehörte auch zu den Starken und Mutigen, die, wenn es darauf ankam, keinem Feinde weichen würden. Es stand auf seinen Zügen geschrieben. Sie hatte die Männer gern, die ernst und froh zugleich sein konnten, ein jedes zu seiner Zeit.
Er aber schaute mit Wohlgefallen in ihre Augen. Unter den dichten blonden Haaren, die sich fast bis an ihre Brauen schmiegten, leuchteten sie manchmal wie die Kornblumen im stillen Ährenfeld. Es war das Gesunde, Ländliche und das ländlich Reine, das er in dieser frischen Mädchengestalt fand und liebte.
Hans drängte zum Aufbruch. Die Droschke stand schon vor der Tür. Der Onkel lag gewiss schon im Bett. Aber die Hutemach, die nie schlafen ging, bevor alles im Hause war, würde auf sie warten. Fritz konnte seinem Wink nicht länger widerstehen, er erhob sich endlich und verabschiedete sich mit herzlichen Dankesworten von dem Pfarrer und seiner Frau. Nun reichte er auch Hanna die Hand.
„Auf bessere Nachbarschaft von heute ab! Nicht wahr? Und wenn Sie Ihre Pflicht“ — er legte einen leisen Ton auf dies Wort — „einmal wieder nach Bärwalde führt, dann vergessen Sie nicht, dass da im Gutshause ein alter kränklicher Mann wohnt, dem ein frohes Wort und Gesicht ein wenig Sonnenschein in sein Dunkel bringt. Und — dies natürlich nur nebenbei — auch ein junger, dem nach dem schweren Frondienst auf dem Felde ein wenig Aufmunterung gewiss nicht schaden kann. Oder ist das zu gering für Samaritertätigkeit?“
„Ich werde es mir in mein Merkbuch für Besuche schreiben, vielleicht vergesse ich es dann nicht.“
„Einverstanden und Lebewohl! Oder hoffentlich auf Wiedersehen!“
„Ich freue mich, dass meine brüderliche Mahnung auf so fruchtbaren Boden gefallen ist,“ sagte Hans, als sie beide, eng aneinandergelehnt, auf der kleinen Droschke sassen und die fromme Stute in der Erwartung des heimatlichen Stalles einige kühne Sprünge machte, zu denen sie sich sonst nicht verstieg. „Du wirst dich jetzt um deinen Pfarrer hoffentlich ein wenig mehr kümmern.“
Fritz wusste nicht recht: war es aufrichtige Meinung, die aus den Worten des älteren Bruders sprach, oder versteckte Neckerei? Er wollte es für das erstere nehmen.
„Und ich bin dir dankbar,“ gab er zurück, „dass du mich zu diesem Besuch angeregt hast. Es wird nicht mein letzter gewesen sein.“
Es war das einzige, was Fritz auf der Fahrt sprach. Von da ab war er schweigsam, bis sie nach Hause kamen.
Adl. Malkitten, den 15. September 1913.
Lieber Hans!
Ich möchte Dir heute mitteilen, dass ich mich nach längerer Überlegung entschlossen habe, meine Stellung hier aufzugeben. Meine beiden Jungens, die in einer eben abgehaltenen Prüfung gut abgeschnitten haben, kommen jetzt auf das Gymnasium, und mit einem kleinen Mädchen von sechs Jahren allein und aufs neue wieder anzufangen, habe ich wenig Neigung, obwohl man mich dringend darum bittet. Überhaupt hat die Erfahrung meinem ursprünglichen und Dir öfters geäusserten Empfinden recht gegeben: meine Anlagen und Fähigkeiten eignen sich mehr für das weiblich praktische als für das pädagogische Gebiet. Die Erfolge, die ich hier errungen, liegen mehr in der Begabung und dem eifrigen Streben meiner Zöglinge als in mir begründet.
Читать дальше