Hinten am Schiff wehte die isländische Flagge, blau, weiss und rot.
„Hurra!“ riefen wir beide gleichzeitig aus. Denn hier war kein Zweifel möglich: es war unser Dampfer, die „Brúarfoss“.
„How do you like her?“ („Wie gefällt sie Ihnen?“) rief uns der Kutscher zu.
„Oh, very well! Magnificent! beautyful!“ rief Viktor, indem er einige der schönsten englischen Worte, die er kannte, zusammensuchte.
Unser Wagenlenker hatte recht: die „Brúarfoss“ war wirklich das weitaus feinste Schiff, das wir bis jetzt im Hafen gesehen hatten.
Es imponierte weniger durch seine Grösse als durch die peinliche Sauberkeit, die sich von aussen schon kundgab.
Als wir aus dem Wagen stiegen, bemerkte Viktor:
„Wir können auf unser Schiff stolz sein. Es ist zweifellos das sauberste und netteste im ganzen Hafen.“
Während wir den Chauffeur bezahlten, liefen zwei junge Matrosen aus dem Schiff über die Landungsbrücke zu uns her, grüssten mich, indem sie mir den isländischen Titel „Síra Jón“ gaben, fassten unsere Koffer und trugen sie auf das Schiff.
Nachdem wir noch einige Augenblicke die schöne „Brúarfoss“ von aussen betrachtet hatten, gingen auch wir an Bord.
Sobald wir das Deck betreten hatten, empfing uns ein isländisches Schiffsfräulein und bat uns, mit ihr hinabzusteigen.
Wir folgten ihr und wurden nun in ein blitzsauberes Zimmerchen geführt. Da sollten wir während der Überfahrt wohnen.
Dieselbe wohltuende Reinlichkeit und Sauberkeit wie oben.
„Sollte Ihnen etwas fehlen, oder sollten Sie irgend einen Wunsch haben, bitte sagen Sie es mir“, sagte nun in isländischer Sprache das junge Mädchen, indem es sich entfernte. —
Wir schauten uns die Einrichtung unserer Kabine etwas genauer an. Alles war in bester Ordnung. Auch unser Gepäck war bereits hier untergebracht.
Vergnügt, mit fröhlichem Gesicht, liess sich Viktor auf das eine Bett fallen und rieb sich die Hände.
„Jetzt aber geht’s hinaus ... auf das Atlantische Meer! — Wann fahren wir ab?“
„Nach einer Stunde. So steht es auf dem Fahrplan.“
„Gott sei Dank, dass alles bis jetzt so gut gegangen ist. Und nun haben wir das herrliche Schiff! Ich hätte es nicht im Traume gedacht, dass wir auf einem so schönen Schiff nach Island fahren würden. ... Es ist ja pickfein. Sollten wir nicht einen Rundgang machen und uns alles etwas näher ansehen?“
„Gewiss, das können wir ja tun!“
Mit einem Sprung war Viktor an der Kabinentür. Zunächst gingen wir durch den langen, mit schönen Teppichen belegten Gang, der sich nach beiden Seiten vor unserer Kabine hinzog und eine lange Reihe von Türen aufwies.
Auch hier war alles blendend weiss angestrichen, und durch zahlreiche Fenster oben an der Decke flutete helles Licht und goldener Sonnenschein in den Gang hinein.
Wir gingen an allen Türen vorbei bis zum Ende des Ganges. Hier wendete sich Viktor, der den Führer machte, nach rechts, um in einen zweiten Gang an der andern Seite des Schiffes zu kommen.
So machten wir einen Rundgang, bis wir zu unserem Ausgangspunkt zurückgekehrt waren.
Es schien also klar: hier waren alle Passagiere des Schiffes untergebracht.
Wir gingen dann nach der grossen Schiffstreppe und stiegen wieder auf das Deck hinauf.
Auch hier schauten wir uns die Einrichtungen des Dampfers mit grossem Interesse an.
13. Unsere Mitreisenden. — Viktor und die munteren dänisch-isländischen Kinder an Bord.
Hier oben wimmelte es von Menschen: Herren, Damen und Kindern. Es waren aber nicht nur die Passagiere, unsere Mitreisenden auf der Fahrt nach Island, sondern auch eine Menge Freunde und Verwandte, welche von den Islandfahrern Abschied nehmen wollten. Denn noch lag ja das Schiff im Hafen.
Das Gedränge machte es uns schwer, herumzugehen.
Die Matrosen liefen hin und her. Sie waren eifrig mit den letzten Vorbereitungen zur Abfahrt beschäftigt.
Man hörte sie kurze, abgebrochene Sätze einander zurufen.
„Was ist das für eine Sprache, die sie sprechen?“ fragte mich Viktor.
Ich horchte. ... Zu meiner Freude hörte ich, dass sie alle isländisch redeten, meine liebe Muttersprache, die schöne, ehrwürdige, altnordische Sprache! Die Sprache der Edda, der Sagas und der Skalden.
Ich sagte es Viktor. Das interessierte ihn, und er horchte nun auch mit grösster Aufmerksamkeit hin, um einige dieser seltsamen Laute sich zu merken.
Wir näherten uns einigen der Seeleute, die mit dicken Schiffstauen zu tun hatten, um einige ihrer Worte aufzufangen.
Wir brauchten nicht lange zu warten, da rief einer einem andern zu: „Komdu hingað, Árni!“
Der andere rief zurück: „Jeg gét ekki. Jeg hef annað að gera!“
„Was haben sie da gesagt?“ fragte mich Viktor.
„Komdu hingað, Árni“, antwortete ich, „bedeutet: ‚Komm hierher, Árni!‘“
„Und was hat der Árni geantwortet?“
„Er sagte: ‚Jeg gét ekki‘, das heisst: ‚Ich kann nicht!‘ ‚Jeg hef annað að gera!‘ (‚Ich habe anderes zu tun.‘)“.
Viktor wiederholte die fremden Worte so lange, bis er sie gut auswendig konnte.
Und nicht genug damit, fing er mit Hilfe dieses etwas beschränkten Wortschatzes sogleich an, mit mir isländisch zu sprechen.
Wenn er mir etwas zu sagen hatte, rief er mir zuerst zu: „Komdu hingað, Síra Jón!“ „Síra“ ist der Titel, den man in der altnordischen Sprache den Priestern gibt.
Und wenn ich ihn zu mir rief, erwiderte er lachend: „Jeg gét ekki. Jeg hef annað að gera!“
Aber nicht nur fing er sofort an, sich mit mir in der isländischen Sprache zu üben, sondern auch mit den Kindern, die wir bei unserer Ankunft auf dem Schiffe vorfanden.
Es war nämlich eine Schar Kinder an Bord, sowohl isländische als auch dänische. Lauter muntere Knaben und Mädchen. Sie kamen teils von Dänemark, teils von England und wollten alle nach Island reisen.
Als Viktor mir zum ersten Mal einen isländischen Satz zurief, lief aus der Kinderschar ein kleiner isländischer Junge zu ihm hin und fragte ihn: „Ertu Íslendingur?“ („Bist du ein Isländer?“)
Da stockte nun das Gespräch. Doch von da an wurde Viktor in die Kindergesellschaft aufgenommen, und zu meinem Erstaunen machte er rasch, ja sogar in den ersten Stunden, solche Sprachfortschritte, dass er sich mit den Kindern ohne zu grosse Schwierigkeit verständigen konnte — und zwar nicht nur in der isländischen, sondern auch in der dänischen Sprache, die doch von der isländischen sehr verschieden ist.
Diese spielende, ungewöhnliche Leichtigkeit, fremde Sprachen zu erlernen, kam mir fast wie ein Wunder vor.
Es waren noch nicht alle Passagiere angelangt. Man wartete daher auf sie, und die Abfahrt des Schiffes wurde etwas verzögert.
Während dieser Wartezeit hatte Viktor sich vollständig auf dem Dampfer eingelebt und verkehrte heiter und ungezwungen ausschliesslich mit den Kindern.
Ich liess ihn ungestört mit ihnen plaudern und spielen und ging meine eigenen Wege mitten unter den vielen Menschen, die sich auf dem Deck bewegten.
Es wurden drei Sprachen um mich herum gesprochen: Isländisch, Dänisch und Englisch.
Die meisten Passagiere waren Isländer. Doch waren auch Dänen, Engländer und Amerikaner da.
Die Amerikaner waren aber fast alle isländischer Herkunft und konnten neben ihrer englischen Muttersprache auch gut isländisch sprechen.
Ich wurde gleich mit mehreren dieser Herren bekannt und hatte grosse Freude daran, mit ihnen zu plaudern.
Sie waren ausnahmslos ausserordentlich liebenswürdig und heitern Sinnes.
So lernte ich einen netten jungen amerikanischen Arzt kennen. Wir stellten uns gegenseitig einander vor und sprachen eine Weile zusammen, und zwar in isländischer Sprache.
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